Pedale, Pistole, Pfefferspray. Von einer echten Verbrecherjagd und nächtlichen Einsätzen gegen Bobbycarfahrer. Ein Tag am Rad mit der Grazer Fahrradpolizei.
Graz, Innenstadt, es wurlt in den Gassen. „Darf ich bitte ein Foto von Ihnen machen?“ Die Anfrage überrascht und kommt seitlich aus einem kleinen Geschäftslokal, wo der Inhaber gerade sein Handy zückt. Objekt der Begierde: zwei Radfahrer in Polizeiuniform. Die nehmen das gelassen, scheinen es fast gewöhnt zu sein und lächeln freundlich. „Wissen’s, mein Sohn macht auch grad die Ausbildung“, sagt der Geschäftsmann mit sichtbarem Stolz und drückt ab. Polizisten als Fotomotive? Wo gibt’s denn so was?
Nicht nur in Wien, wo vor Jahren der Pilotversuch startete, Innsbruck und Linz, auch in Graz gibt es seit ein paar Jahren über die Sommermonate Polizeibeamte, die auf Rädern ihren Dienst verrichten. Und damit nicht gleich das Bild von bikenden Hilfssheriffs auftaucht – sie sind natürlich „echte“ Polizisten. Das sorgt mitunter für ungläubige Blicke, wie eine der Beamtinnen, Inspektorin Johanna Paar, erzählt. „Es kommt immer wieder vor, dass jemand fragt, ob ich eine echte Polizistin bin“, schmunzelt sie. Dann wird das Auge des Gesetzes aber nicht streng und verweist knorrig auf die echte Pistole im Gurt, auf die echten Handschellen, auf Funk, Taschenlampe und die schusssichere Weste, die auch am Rad getragen wird. Nein, dann gibt’s eine freundliche Antwort oder ein gnädiges Nicken.
Und das scheint das Erfolgsrezept der Aktion zu sein. „Auf Augenhöhe“ ist das Zauberwort, das bei der Polizeiarbeit am Zweirad oft fällt. Speziell Radfahrer lassen sich von Polizisten, die selbst am Rad sitzen und sportlich lässige Dienstkleidung samt Radbrille und schnittigem Bike-Helm tragen, offenbar leichter belehren als von Beamten, die sich aus dem Polizeiwagen schälen und zur Amtshandlung schreiten. Auch Fußgänger, Mopedfahrer und Autolenker sind bei der Begegnung mit den Fahrradpolizisten merklich freundlicher und einsichtiger. „Die Kommunikation ist wesentlich einfacher, das merken wir ganz klar“, sagt Gruppeninspektor Andreas Marousek, der längstdienende Grazer Fahrradpolizist.
Das Aufgabenfeld ist groß und geht weit über Radwege hinaus. Im Rahmen der „Sommeroffensive 2020“ waren die neun Grazer Fahrradpolizisten laut Dienstbeschreibung „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit an sicherheitspolizeilich neuralgischen Örtlichkeiten“ genauso zuständig wie für klassische Aufgaben bei Verkehrsschwerpunkten oder der Kriminalitätsbekämpfung bei Taschendiebstahl, der Suchtmittel- und Beschaffungskriminalität. „Für die Fahrradpolizei ist Graz der ideale Einsatzort, vor allem die engen Gassen der Innenstadt“, sagt Marousek. „Da bist mit dem Rad Weltmeister, da hat kein Polizeiauto eine Chance.“ Wenn über Funk eine Meldung kommt und die Radpolizisten dem Unfall- oder Tatort am nächsten sind, radeln sie hin. Kürzlich waren es Beamte der Fahrradpolizei, die nach einer aufsehenerregenden Anschlagserie in Graz mit der Hilfe von Kollegen den Täter am Rad stellten und in Gewahrsam nahmen.
Damit ist klar – und beim Anblick von Inspektorin Paar und Gruppeninspektor Marousek ist das sowieso sonnenklar: Man muss superfit sein als Radpolizist. Beide sind auch in der Freizeit leidenschaftliche (Renn-)Radfahrer, was erstens Verständnis für radfahrspezifische Fragestellungen schafft und die Grundlage für entsprechende Fitness. Nach der freiwilligen Meldung zur Radstreife gibt es eine kurze Einschulung samt Techniktraining. „Wir üben springen, wie man über Stiegen fährt und waren mit dem Mountainbike am Grazer Schöckl“, erzählt Paar. Auch der Umgang mit den SPD-Pedalen mit Click-Mechanismus (und Reflektor!) wird geübt. „Damit ist man einfach schneller“, weiß Marousek. Die dazugehörigen Schuhe sind Mountainbikeschuhe mit weicher, griffiger Sohle.
„Damit kann man gut laufen und kommt bei Einsätzen auch über steile Kellertreppen.“ Das Rad ist ein handelsübliches KTM-Mountainbike mit Federgabel, Scheibenbremsen und vorne einem Lenkertaschenaufsatz für Dienstutensilien. Aufgelegte Frage: Kein Blaulicht? „Gut wäre es schon“, lacht Marousek. Denn nicht selten muss man telefonierenden oder laut Musik hörenden Radfahrern nachsprinten, die die Anhalteanweisung überhört haben. Die staunen dann nicht schlecht, wenn sie von einem Radpolizisten im Vollsprint überholt werden, der sich vorne querstellt. Auch wenn sie gerade „Tuat ma lad, Herr Inspektor“ im Ohr haben.
Radpolizisten sind im Verkehr, in den Parks und auf den Radwegen unmittelbar dran am Geschehen. Zu den häufigsten Beanstandungen zählen ganz klar die Handybenützung während des Radfahrens (Gespräch ohne Freisprecheinrichtung, Textnachrichten), das Fahren gegen die Einbahn, in der Fußgängerzone, am Gehsteig, das Ignorieren roter Ampeln und das Radfahren unter Alkoholeinfluss. „Speziell abends und an den Wochenenden ist Alkohol ein großes Problem“, erzählt Marousek. „Jetzt bin ich extra nicht mit dem Auto unterwegs, damit ich trinken kann“, zähle dann eben nicht als Ausrede. Auch die Grenze von 0,8 Promille (im Gegensatz zu 0,5 im Auto) reicht oft nicht. „Manche sind wirklich stark alkoholisiert.“ Und dann ist es auch mit „auf Augenhöhe“ vorbei, denn unter Alkoholeinfluss zeigen sich die wenigsten einsichtig.
„Wie man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück“, lautet das Credo von Marousek. Ohne Respekt, Freundlichkeit und Einsicht beim Ertappten wird nicht nur der Ton der Beamten strenger, sondern auch das kontrollierende Auge. Und dann summieren sich auch die fehlenden Reflektoren, Katzenaugen, Klingeln etc. zum mitunter teuren Delikt. Vorteil bei den radaffinen Beamten: Rennräder und Mountainbikes brauchen diese Ausstattung nicht – wenn sie als Sportgerät verwendet werden. Und das können die Polizisten klar unterscheiden. „Wenn jemand auf einem edlen Rennrad im Anzug arbeiten fährt, ist das für mich ein Stadtrad. Umgekehrt: Mountainbiker, die klar erkennbar auf dem Weg ins Gelände sind, werden wir nicht wegen fehlender Katzenaugen anhalten.“
Corona hat der Grazer Fahrradpolizei heuer ein besonderes Jahr verschafft. „Zu Beginn des Sommers war es noch sehr leer auf den Straßen und Wegen. Dann hat der Radboom richtig begonnen“, erzählt Marousek. Den E-Bike-Trend sehen die Beamten innerstädtisch hingegen unproblematisch: „In unserer Wahrnehmung sind E-Biker sehr disziplinierte Radfahrer, eher älter und deshalb vorsichtiger.“ E-Bikes als Dienstfahrzeuge lehnt er übrigens ab. „Zu schwer, zu unhandlich.“ Auch E-Scooter und diverse E-Vehikel sind in Graz (noch) kein Problem, weil sehr selten.
Eine besonders absurde Form von Motorisierung bereitet der Grazer Polizei aber hingegen echtes Kopfzerbrechen. Eine Gruppe erwachsener Bobbycarfahrer (!) hat aus den für Kinder gedachten kleinen Plastikautos mit irrem Tuningaufwand motorisierte Geschoße gebastelt. Mit bis zu 70 km/h wurden sie von der Polizei schon gemessen. Im Finstern unbeleuchtet, anstelle einer Bremsanlage verwenden sie ihre Sohlen. „Echte Freaks, kompletter Wahnsinn“, ist Inspektorin Paar fassungslos. Juristen klären gerade, wogegen die Bobbycarfahrer genau verstoßen, denn sie (Daten teilweise bekannt) sehen sich im Recht, weil sie eben nur „Spielzeug“ benutzen. Weiter in der Grazer Innenstadt. Am Karmeliterplatz kürzen die beiden Radpolizisten ihre Route ab und springen über ein paar Stufen auf die Straße hinunter. Die Jugendlichen dort schauen sich ungläubig an. Ihre Lippen scheinen so etwas wie „What? Krass!“ zu formulieren. Und die Polizisten sind vorne längst ums Eck geflitzt.
Sommeroffensive
Die Grazer Polizei stellt im Zuge der „Sommeroffensive“ seit 2012 eine Radstaffel mit rund zehn Beamten. Im Schnitt kommen die Radpolizisten je nach Einsatzort auf 30 Kilometer pro Tag, an Spitzentagen auf bis zu 80 km. Bilanz des Vorjahres: Zehn Beamte radelten im Stadtgebiet in Summe 10.000 km und sparten damit im Vergleich zu den Dienstautos zwei Tonnen CO2 ein. Nach der Offensive versehen die Radpolizisten ihren Dienst wieder auf „normalen“ Dienststellen.
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