Am Anfang war das Bike. Aber jetzt schreiben wir 2017 und E-Bikes bringen den Fahrradmarkt gerade ziemlich in Schwung. Immer mehr Mountainbiker wie auch Tourenradler sind elektrisch unterwegs. Ein guter Grund, einen Blick ins Epizentrum dieser radelnden Revolution zu werfen – und fünf Erkenntnisse über die Motoren im High-Performance-Bereich festzuhalten.
Von Christoph Heigl
Haibike 2016 La Thuile / Bild: Haibike
1. DER MOTOR SITZT IN DER MITTE
Grundsätzlich bieten der Markt und die Technik mehrere Möglichkeiten, den Antrieb ins Zweirad zu integrieren. Der Motor kann in der Vorderradnabe sitzen, oder in der Hinterradnabe. Schaltung und Freilauf des Rades sind dann nicht beeinflusst, die Antriebsleistung ist aber relativ schwach, und das Fahrverhalten für Anfänger ungewohnt. Platzsparend aber selten ist der Elektromotor im Sattelrohr, der von dort auf die Kurbelwelle zupackt.
Als beste und effektivste Lösung hat sich der Mittelmotor etabliert, der im Bereich der Kurbel sitzt. Das Gewicht liegt zentral und tief, das Handling bleibt einigermaßen neutral, die Kraftübertragung effizient. Dabei ist entscheidend, dass sich die Motorunterstützung sofort beim ersten Pedaltritt zuschaltet und dann sanft wegschaltet, wenn man aufhört zu treten. Fazit also: In der Mitte liegt die Kraft.
Shimano Steps Motor Technik / Bild: Shimano
2. ES GIBT MÄCHTIGE PLATZHIRSCHE
In den letzten Jahren war Bosch die klare Nummer eins. Die Deutschen beliefern mehr als 70 Fahrradmarken und sind mit der „Performance Line CX“ die Benchmark, an der sich die Konkurrenz orientiert. Doch die schläft nicht: Der japanische Komponenten-Gigant Shimano erobert Marktanteile mit dem Antriebskonzept STEPS und nutzt geschickt die Systemintegration mit den bestehenden Shimano-Komponenten bei Kurbel und Schaltung. Die Japaner rüsten 16 Marken aus.
Weitere Big-Player sind Brose (z. B. Specialized und weitere 28 Marken), Panasonic und Yamaha, die seit 1993 an Lösungen für E-Bikes tüfteln. Dazwischen tun sich Nischen für Kleinere auf, die Kanadier der Kultschmiede Rocky Mountain haben im Sommer gar ein eigenes Konzept auf den Markt gebracht (Powerplay).
Haibike 2016 la thuile / Bild: Haibike
3. INNOVATIONEN TREIBEN AN
Stillstand ist nicht nur beim Radeln unerwünscht; die Entwicklungsabteilungen arbeiten auf Hochtouren an ständigen Verbesserungen. Bosch hat im Sommer ein Software-Update lanciert, das den bestehenden Antrieben einen neuen Modus spendiert: Oberhalb des Eco-Modus tritt der neue „E-MTB-Modus“ in Kraft, der automatisch, unmerklich und je nach Pedaldruck zwischen den Stufen Tour, Sport und Turbo schaltet und damit ein „natürliches Fahrgefühl“ erzeugen soll. Die Technik ist aufwendig: Drei Sensoren messen 1.000 Mal pro Sekunde (!) die Trittfrequenz, den Pedaldruck und die Geschwindigkeit. Die neuesten Displays von Bosch haben Navi, SMS-Funktion, Fitnessanalysen und Pulsmessung. Beim Specialized Levo kann man sogar eine Wunsch-Pulsfrequenz einstellen (z. B. 135 Schläge) und der Antrieb regelt die Leistung danach. Shimano kann bei seinem STEPS 8000 die Vorzüge der hauseigenen Komponenten nutzen und etwa die elektronische Schaltung Di2 mit dem Antrieb kombinieren.
Die Sensorik profitiert und Experten können mittels E-Tube-Software die Einstellungen per Handy oder Tablet konfigurieren. Für 2018 kündigt Bosch das erste serienreife E-Bike-ABS an (in Zusammenarbeit mit Magura). Haibike verschickt via eConnect Notfall-SMS und bietet eine GPS-Diebstahl-Überwachung. Die Schweizer E-Bike-Pioniere Flyer schwören auf die „Flyer Intelligent Technology“ (FIT). Dabei setzen sie mit Panasonic auf ein internes Zwei-Gang-Getriebe, das für eine größere Übersetzungsbandbreite sorgt. Für 2018 hat Flyer auch Bikes mit einem leichteren, stärkeren Panasonic-Motor (aber ohne zweiten Gang) angekündigt. Ebenfalls 2018 neu bei den Schweizern: Navigation und Herzfrequenzmessung.
E Genius Plus Action / Bild: Bike Scott Sports
4. KEIN AKKU HÄLT EWIG
Die Leistungen der Akkus werden immer besser, allerdings ist stets Vorsicht geboten, um nicht doch einmal ohne Saft liegen zu bleiben. Die Kraftspender der meisten Bikes liefern um die 500 Wattstunden und reichen für mittellange Touren. Um die 75 (Bosch) bis 90 Newtonmeter (Brose) treiben dabei die Kurbel im Maximalfall an. Wichtig für eine lange Leistung des Akkus ist, dass man selten die volle Leistungsstufe ausnutzt, ähnlich dem Spritsparen beim Auto „vorausschauend“ ohne ständiges Bremsen und Gasgeben und mit möglichst hoher Trittfrequenz fährt und damit den Akku schont. Im Idealfall ist er nie ganz voll und nie ganz leer.
In der Theorie ist ein Akkustand zwischen 40 und 60 Prozent für die Langlebigkeit am besten. Was wenige wissen: Die Prognose der Akkuleistung wird (etwa bei Bosch) immer nach den 50 zuletzt gefahrenen Metern berechnet. Deshalb kann sie sich so schnell ändern.
Bosch Drive Unit / Bild: Bosch
5. DAS IST ERST DER ANFANG
Das Ende der Entwicklungen ist noch nicht absehbar. Erstens optisch, denn manch wuchtiges E-Bike erinnert noch mehr an einen Mini-Panzer oder eine Motocross-Maschine als an ein Zweirad. Die Antriebseinheiten werden sicher noch kleiner und eleganter im Rahmen verbaut und die Akkus besser integriert. Zweitens wird sich technisch viel tun: Mit 500 Watt Maximalleistung sind die Motoren zwar jetzt schon ausreichend stark, um jeden herkömmlichen Radler stehen zu lassen, der eine oder andere Hersteller wird aber sicher damit liebäugeln, noch mehr Power ins Paket zu packen. Die Akkus werden stärker und langlebiger, sodass Ganztagestouren im Gebirge ohne Bauchweh absolviert werden können. Die Motoren, die jetzt noch ein leises Summen von sich geben, werden leiser, schlanker und damit kompaktere Rahmenkonstruktionen mit kürzeren Kettenstreben erlauben. Rocky Mountain schafft jetzt schon 425 Millimeter. Die Zeiten der long vehicles sind vorbei, die Bikes bekommen ein besseres Handling.
Wie viel sich beim Gewicht tun wird, ist fraglich. Moderne Antriebe haben jetzt zwischen 2,5 und 3 Kilogramm, das lässt sich schwer unterbieten. Mit dem Akku (rund 2,5 kg), dem technischen Schnickschnack bei den oft flatscreenartigen Displays und der Verkabelung ist man bei einem Systemgewicht von mehr als sechs Kilogramm. An soliden Rädern mit viel Federweg und derzeit boomender Dick- und Fat-Bereifung ist man schnell auf 22 bis 25 kg. Und dann wäre noch die viel diskutierte Frage der 25 km/h-Maximalgrenze und damit einhergehend die generelle Akzeptanz von „E“ in der Radlerszene. Bereits erhältliche Tuningchips (nicht StVO-tauglich, Garantie erlischt!) wirken eher kontraproduktiv. Es wird sich also noch viel tun. Oder wie Flyer wirbt: „And this is just the beginning.“
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