Aktuelle E-MTBs fahren sich mittlerweile fast wie normale Bikes. Von gemütlich bis rasant haben die modernen Spaßgeräte alles drauf. Wie dies alles den Bikesport verändern wird? E-MTB-Experte Christoph Malin gibt seine Einschätzung ab.
Von Christoph Malin
„E-MTBs sind was für Faule ..." Der Standardspruch des schlecht informierten E-MTB-Kritikers hat sich dermaßen abgenutzt, der Bart reicht von Wien bis zum Bodensee. Denn die letzte Saison hat es mehr als deutlich gezeigt: Mehr und mehr Biker steigen aufs E-MTB um oder schaffen sich eins als Zweitrad an, das dann zum Hauptbike wird. Einfach weil diese neue Art des Bikens sehr viel Spass macht und neue Möglichkeiten eröffnet. Woran liegt es?
DIE AKTUELLE E-BIKE-GENERATION
Die meisten Bike-Hersteller haben im letzten Jahr ihre Elektro-Hausaufgaben gemacht. Gesetzt den Fall, dass man ein neues E-MTB mit guter Fachberatung im Handel passend zum Einsatzzweck kauft, gibt es 2017 eigentlich keine „schlechten" E-MTBs mehr. Die Motoren der aktuellen Modelle – egal, ob von Bosch, Brose, Shimano, Yamaha oder anderen Herstellern – sind optimal an die Rahmen angepasst, gut abgestimmt, leistungsstark und trotzdem gut beherrschbar.
Auch die Akkus sind schon sehr leistungsfähig. Mit einem aktuellen 500-Wattstunden-Akku schafft ein sportlicher Biker durchschnittlich in einer Stunde 1.200 bis 1.500 Höhenmeter. Damit kommt man schon gut voran, und wer noch mehr Power braucht, fährt mit Zweitakku im Rucksack. Zusammen mit den guten Fahrwerken und Bremsen und feinen Geometrien ist die E-MTB-Erfahrung in der Regel eine angenehme.
DIGITAL VS. ANALOG
Worin unterscheidet sich das E-MTB (gerne in der Szene auch „digitales Bike" genannt) vom klassischen Mountainbike („analoges Bike")? Was erwartet den Umsteiger? Zunächst einmal die den in Europa vorherrschenden Pedelecs (= „Pedal Electric") innewohnende Kraftverstärkung. Wer beim E-MTB das erste Mal in die Pedale tritt, ist über die Beschleunigung sofort erstaunt. Sanft schiebt der Motor unterstützend an, Rampen verlieren ihren Schrecken, Rückenwind ist ab sofort eingebaut. Beim Pedelec wird die ins Pedal eingeleitete Kraft des Fahrers je nach gewählter Unterstützungsstufe unterschiedlich stark verstärkt.
Zur Eigenleistung des Fahrers von zwischen 100 bis 350 Watt kommen bis zu 600 Watt Leistung des Motors dazu. Abhängig von der Pedalkraft soll die Extrapower möglichst fein dosiert ankommen. Am besten beherrschen diese feine Modulierung derzeit die Motoren von Bosch, Yamaha und Shimano. Es geht hierbei besonders auch darum, dass der Motor in schwierigem Gelände nicht anschiebt, nachläuft und bei nachlassendem Druck an den Pedalen sofort die Leistung reduziert oder umgekehrt natürlich erhöht.
Das ermöglicht eine sehr intuitive Steuerung des E-MTBs am Berg über die eingesetzte Motorkraft. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit nimmt man den Motor eigentlich nur noch durch die spezifische Geräuschkulisse war und auch hier sind manche Modelle leiser oder lauter, je nach Kapselung des Motors. Beim Pedalieren auf Tour fällt der Antrieb dann gar nicht mehr auf, und ist integrierter Bestandteil des Biker-Hybridsystems.
FREUDE AM FAHREN ...
Dann ist da die Fahrdynamik aktueller E-MTBs. Obwohl durch ein deutlich höheres Eigengewicht (bei Fullys) von derzeit zwischen 20–24 kg eigentlich gegenüber einem klassischen Mountainbike gehandicapt, fahren sich die motorisierten Bikes gar nicht so träge. Klar, enge Serpentinen und dergleichen brauchen höheren Kraftaufwand als mit einem analogen Bike gefahren. Doch niedrige Schwerpunkte durch Motor und Batterie und die neuen, kurzen Geometrien vor allem der kompakten Shimano-Motoren spielen der elektrifizierten Variante zu und machen Spaß. Auch sind die Fahrwerke bei E-MTBs in der Regel durch die höhere Eigenaktivierung komfortabler abstimmbar, es fehlt das Losbrechmoment, das so manches Analogfahrwerk bockig werden lässt. Ein angenehmer Nebeneffekt.
Da der Rollwiderstand beim E-MTB eine vernachlässigbare Rolle spielt, können die Hersteller zudem breite und sicherere Reifen spezifizieren. 650B oder B+, Breiten von 2,5 bis 2,8 Zoll sind das Zaubermaß für mehr Spass im Gelände, aber auch mehr Sicherheit auf Schotterstraßen.
... UND AM HANDLING
Zusammen mit den niedrigeren Schwerpunkten und ausgewogenen Fahrwerken, plus den kraftvollen Motoren sind aktuelle E-MTBs richtige Spaßmaschinen, die bergauf argen Rampen den Schrecken nehmen, auch vor Trailabenteuern nicht zurückschrecken und insgesamt viel Laune machen. Am erstaunlichsten bzw. faszinierendsten ist aber ein Effekt des E-MTBs, den man erst nach ein paar Touren richtig realisiert. Da Bergauffahren beim E-MTB richtig Spaß macht und die Quälerei Vergangenheit ist, ist eine E-MTB-Tour eine ganz schön ausgewogene Sache. Erstmals macht mit dem E-MTB das Bergauffahren gleich viel Spaß wie das Bergabfahren. Das ist zunächst einmal verblüffend, aber man gewöhnt sich schnell daran.
SEILBAHN EINGEBAUT
Wer bisher gerne bei seinen Biketouren Seilbahnen als Aufstiegshilfen zur Unterstützung genommen hat, kann darauf auch ruhig einmal verzichten. Bei Höhenmeterleistungen von bis zu 1.500 Hm pro Stunde ist das E-MTB eine echte Alternative – oder eine super Ergänzung zur Seilbahn. Doch wie wird nun das E-MTB unseren Sport verändern? Die dynamischen Veränderungen sind noch gar nicht abzuschätzen, aber werden auf jeden Fall nachhaltig sein. Es können eigene Bergaufstreckenangebote geschaffen werden. Durch die gesteigerte Höhenmeter-/Kilometer-Leistungen sind größere Täler übergreifende E-MTB-Touren möglich. Die Tourismus-Regionen sind gefordert, ihre Streckenangebote zu evaluieren oder anzupassen. Zwei Hütten an einem Tag auf Tour, auch das ist möglich, und macht Spaß.
Auch das Guiding wird sich verändern. Der Guide kann effektiv und schnell reagieren und in der Gruppe da sein, wo er gebraucht wird. Die Mobilität am Berg wird durch das E-MTB verändert, so viel ist klar. Dank eingebautem Rückenwind wird nun vieles möglich.
Der Experte | CHRISTOPH MALIN ist Extrembiker der ersten Stunde mit Hang zu alpinen Höhenlagen, Gründer der legendären Innsbrucker Vertrider-Truppe, des Nordketten-Singletrails (Europas steilste Downhillstrecke), Berater in der Fahrradindustrie mit eigener Consulting GmbH, Ausbildner MTB des OeAV, E-MTB-Fachjournalist und Tester. |
Lust bekommen? Dann gleich hier anmelden ...