Mountainbiken ist Abenteuer, ist die wahre Freiheit auf zwei Rädern. Mountainbiken beflügelt und erdet zugleich. Mit gigantisch breitem Spektrum von Forststraße bis Bikepark, von Genuss bis Adrenalin und von asketischem Racer bis gemütlichem E-Bike waren die Zeiten für ­Biker niemals besser als heute.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Es war ein gewisser Ernest Hemingway, der auf seinen Abenteuern bereits früh erkannte: „Beim Radfahren lernt man ein Land am besten kennen, weil man dessen Hügel emporschwitzt und sie dann wieder hinuntersaust“. Seit Hemingways Tagen hat sich viel getan in der Welt – und so haben sich auch die Räder, mit denen wir heute Hügel emporschwitzen und hinuntersausen, stark verändert. Erst kam das geländegängige Mountainbike und ließ den Aktionsradius der Biker ins Unermessliche wachsen, mit der gerade in Gange befindlichen Revolution explodierte der Fahrspaß. Lenker wurden breiter, Geometrien immer durchdachter, die Reifen größer und die Bikes leichter. Und manch modernes Bike wird mit Carbonrahmen, Akku im Unterrohr und Elektromotor zwischen den Kurbeln gar zum Aushängeschild einer neuen Generation der Mobilität.

Langsam drängt der Fahrtwind die Sorgen des Alltags in die hintersten Winkel des Hippocampus.

Wie früher, nur besser
Hemingway würde staunen, stünde er vor – oder säße er gar auf – einer leichten und effizienten Crosscountry-Waffe mit ihren schlanken Carbonrohren, innen verlegten Zügen und der vom Cockpit aus in ihrer Härte verstellbaren Federgabel. Kaum fassen könnte er, welch Pfade ihn ein leichtfüßiges Trailbike bezwingen, welch Steige ein modernes Enduro dank progressiver Geometrien und endloser Federweg meistern lassen würde. Und sprachlos wäre er ob der sanften Vehemenz, mit der E-MTBs der jüngsten Generation bergwärts drängen – ganz so, als hätte man sich für die Tour weltmeisterliche Beine samt zugehöriger Lungenflügel geborgt. Was Hemingway aber sofort wiederfinden würde, ist die unveränderte Leichtigkeit im Sattel. Meditativ kurbeln die Beine, konstant zieht die Landschaft vorbei, langsam drängt der Fahrtwind die Sorgen des Alltags in die hintersten Winkel des Hippocampus. Zwischen gemütlichen Almtouren, abenteuerlichen Alpenüberquerungen, entspannten Forststraßen- oder flowigen Trailabfahrten und waghalsigen Ausflügen in Bikeparks gibt es unzählige Gründe, sich in den Sattel eines Mountainbikes zu schwingen. Der fesselnden Faszination der rollenden Fortbewegung kann sich keine der Spielarten entziehen.

Rad der unbegrenzten Möglichkeiten
Nicht erst seit der Pandemie und der damit einhergehenden Flucht in die Natur boomt das (E-)Mountainbike wie nie zuvor. Klar, auch heute lässt es sich im und mit Sattel noch wunderbar leiden – bei langen Touren in charakterbildender Witterung, in harten Wettbewerben wie der legendären A-Strecke der Salzkammergut-Trophy oder während schier endlos langen Tragepassagen beim Bikebergsteigen. Der große Vorteil gegenüber den Anfängen des Mountainbikens mit Starrgabeln, schmalen Pneus und wirkungsloser Bremserei: Man darf, muss aber nicht leiden. Wer lange nicht mehr auf einem zeitgemäßen Mountainbike gesessen ist oder gar nur Stadträder und Tiefeinsteiger kennt, dem wird sich – und das ist unser voller Ernst – bereits am Parkplatz eine völlig neue Welt eröffnen. Gefühlt sitzt man 2022 nicht mehr am, sondern im Rad, Gehsteigkanten wie Geländestufen und Wurzelfelder, die unsere bisherige Erfahrung mit „gewöhnlichen“ Alltagsrädern noch als „unmöglich“ kategorisieren möchte, nimmt man ob der aktiven Fahrwerke vor allem auf modernen Fullys – Bikes mit Federung an Gabel und Hinterbau – kaum mehr wahr. Kräftige, standfeste Bremsen geben Sicherheit, im Auge des Novizen beinahe irrwitzig breite Stollenreifen bieten ungeahnte Traktion abseits befestigter Wege. Und besagte Fahrwerke vereinen schließlich auf wundersame Weise das Fahrgefühl eines fliegenden Teppichs über ruppige Untergründe mit mühelosem Vortrieb bergauf. Selbst Hardtails, also ­Bikes mit starrem Heck, sind heute nicht mehr „starr“. Durchdachte Konstruktionen und fortschrittliche Materialien haben auch in die Kletterkünstler den Komfort einziehen lassen. Schummelt sich dann noch der optionale „Rückenwind“ kräftiger Mittelmotorkonzepte in die Gleichung, scheint das Radfahren beinahe neu erfunden.

Nirgendwo lässt sich derart unverhohlen im Schlamm suhlen wie im Sattel eines Mountainbikes.

Kindliche Unbeschwertheit
Und genau in dieser einzigartigen Kombination aus spitzbübischer Abenteuerlust, gepaart mit neuen Technologien liegt wohl auch der unaufhaltsame Erfolg der stollenbereiften Bikes. Mit den ersten Sonnenstrahlen aus der Stadt und hinein in den Wald rollen, nach getaner Arbeit mit den Kumpels und Kumpelinen noch schnell auf die Alm oder hoch zum Einstieg des kleinen, aber feinen Trails am Hausberg. Hier eine Wurzel überrollt, dort die Abkürzung über die Stufen genommen – spätestens nach der ersten Pfütze jubiliert das innere Kind. Ausnahmeevents wie die Wildsau Dirt Runs außen vor, dürfen sich Herr und Frau Gesellschaftsfähig wohl nirgendwo derart unverhohlen im Schlamm suhlen wie im Sattel eines Mountainbikes. Kaum ein Grinsen ist breiter als jenes in dreckverschmierten Gesichtern. Wer das nicht glauben kann, hat zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht. Doch sind wir uns ehrlich, wer hat am Heimweg im sicheren Bürgerkäfig noch nie insgeheim den völlig verdreckten Biker am rechten Fahrbahnrand bewundert. Wo er wohl herkommt, was er wohl gesehen, gespürt, erlebt hat. Auch wenn die Kindertage lange Jahre vergangen sind – wir wollen spielen, wir wollen entdecken. Wir müssen es uns nur eingestehen.

Touren, Trails und Bikeregionen
So gut wie überall in unserer schönen Heimat finden sich Hügel und Berge, die sich stollenbereift erklimmen ließen. Weshalb der Konjunktiv? Beinahe schon traditionell sind Mountainbiker nicht überall gerne gesehen. Viele Forststraßen flankieren recht eindeutige Schilderwälder, die meisten Wanderwege sind für Biker ebenfalls tabu. Ein wenig vorteilhafter Cocktail aus Unfällen, fragwürdigen Gerichtsurteilen zuungunsten von Grundbesitzern, Skepsis unter Jagdpächtern und wohl auch genügend schwarzen Schafe unter der Bikerschaft ließ hier vielerorts die Fronten verhärten. Doch Gemeinden und Tourismus haben den Wert des Mountainbikens erkannt, vielfach wurde es geschafft, regional Wegenetze von Forststraßentouren bis zu echten Trails ins legale Licht zu rücken. Wer sich ein wenig informiert, der findet auch in seiner Nähe legale Touren und Abfahrten, die sich mit gutem Gewissen und vor allem stressfrei befahren lassen.

In den letzten Jahren entstanden so Trailareas und gigantische Bikeparks, aber auch unzählige Kilometer an klassischen Wegenetzen über Forst- und Waldwege. Tief hinein in einsame Täler, hoch hinauf in entlegene Talschlüsse, über Sättel und Joche oder durch tiefe Wälder. Der Tourismus hat erkannt, dass Mountainbiker nicht gleich Mountainbiker ist, hat erkannt, dass es unzählige Schattierungen und Graustufen im stollenbereiften Biken gibt. Im Sattel sitzend kann sich jeder sein ganz persönliches Abenteuer schnitzen. Einsam im Wald oder mit alpinen Weitblicken, mit entspannter Rast auf urigen Hütten oder hektisch Kilometer und Höhenmeter anhäufend; mit Motor in bisher ungeahnte Höhen oder asketisch mit dem Hardtail nach neuen Rekorden jagend; nach Büroschluss auf die Alm oder tagelang über die Alpen; gemächlich über breite Forststraßen talwärts rollend oder über wilde Trails ins Tal surfend. Dank Liftanlagen rund um die großen Bikeparks lässt sich das Radfahren mancherorts gar als sommerliche Fortführung des Skifahrens genießen. Kaum eine Sportart beherrscht derart viele Spielarten wie das Biken. Gut möglich, dass Ernest Hemingway anno 2022 ob der vielen Abenteuer gar nie zu Stift und Papier hätte greifen können.