Camille Balanche war Schweizer Junioren-Meisterin im Fechten, nahm im Eishockey an den Olympischen Spielen teil und spielte in der 2. Liga Volleyball – ehe sie Weltmeisterin im Downhill wurde. Wie geht denn so was? Ganz einfach: Indem man immer schön im Flow bleibt.

Axel Rabenstein
Axel Rabenstein

Camille, dein Vater Gérard war Skispringer im Weltcup. Was hat er dir vom Sport erzählt?
Natürlich hat er mir Begeisterung für den Sport vermittelt. Auch die Einstellung, sich mit anderen zu messen. Er hat mich aber nie in eine Richtung gedrängt. Wollte ich etwas ausprobieren, dann habe ich es immer getan.

Als Mädchen bist du Skirennen gefahren, hast dann mit dem Fechten begonnen, wurdest zweimal Schweizer Meisterin der Juniorinnen. Warum hast du damit aufgehört?
Es hat mich auf Dauer einfach nicht gefordert. Wir trainierten nur zweimal in der Woche, das pushte mich nicht. Damals habe ich gerne auf der Straße und in der Eishalle Hockey gespielt und gemerkt, wie schön der Sport im Team ist. Die anderen waren viel besser als ich. Das hat mich extrem motiviert.

Voll im Flow: Interview mit Multitalent Camille Balanche

Du wurdest so gut, dass du mit der Schweizer Nationalmannschaft an den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 teilgenommen hast. Warum hast du die Schlittschuhe kurz darauf an den Nagel gehängt?
Bis ich 18 war, konnte ich mit den Jungs spielen. Dann musste ich zu den Frauen, und das Dameneishockey ist viel weniger verbreitet. Ich war nicht nur bei den Olympischen Spielen, sondern sogar ein ganzes Jahr in Kanada an der Uni. Aber es hat mir nicht gefallen, ich wollte zurück in die Schweiz auf die Sporthochschule nach Magglingen. Das nächste Team der National League A wäre in Zürich gewesen, 100 Kilometer entfernt. Also habe ich es einfach sein lassen.

Du warst Nationalspielerin und Olympionikin. Hatte das keine Anziehungskraft auf dich?
Nein. Vom Eishockeyspielen kann man als Frau nicht leben. Und die Sporthochschule war genau das, was ich tun wollte. Außerdem standen dort ohnehin vier Stunden Sport am Tag auf dem Programm. Mein Studium war mir wichtiger.

Dort hast du dich dem Volleyballspielen zugewandt, spieltest nach kurzer Zeit in der 2. Liga. Wie kam’s dazu?
Das war Zufall. Die Aufnahmeprüfung an der Sporthochschule beinhaltet eine ganze Reihe an Sportarten, darunter auch Volleyball. Und das fand ich irgendwie cool! Eine Freundin hat mich mit zum Training der Volleyboys Biel genommen, und – na ja, für die habe ich dann gespielt.

Während des Studiums hast du das Mountainbiken für dich entdeckt. Bei einem Sturz brachst du dir drei Halswirbel. Deine Bike-Karriere ging danach aber erst so richtig los?
So ungefähr. Die Verletzung hat den Oberkörper beeinträchtigt, ich hatte für einige Zeit Probleme, den linken Arm zu bewegen. Volleyballspielen war damit passé. Die Beine waren aber in Ordnung. Zuerst konnte ich wieder Ski fahren und dann saß ich vor allem auf dem Bike. 

Das war 2015. Fünf Jahre später bist du Schweizer Meisterin sowie Welt- und Europameisterin im Downhill. Wie konntest du so schnell so gut werden?
Es hat mir Spaß gemacht! Außerdem waren meine Kolleginnen besser als ich. Ich habe versucht, ihnen hinterherzufahren und bin immer besser geworden.
 
Das klingt so einfach. Fechten, Eishockey, Volleyball, Mountainbiken: Was ist der Schlüssel, in so vielen Sportarten so außergewöhnlich zu performen?
Erst einmal weiß ich, dass Leistungssport harte Arbeit ist. Von nichts kommt nichts. Und ich denke, dass sich die Sportarten gegenseitig ergänzen. Im Hockey habe ich viel Explosivität und einen guten Muskeltonus im Oberkörper entwickelt. Der hilft dir beim Biken, um den Lenker im Griff zu haben. Ganz allgemein konnte ich durch meine Erfahrungen in den verschiedenen Sportarten meine Koordinationsfähigkeit verbessern. Vor allem habe ich aber gelernt, mir die spezifischen Bewegungsformen einer Sportart schnell anzueignen.

 Ich versuche eins zu werden mit meinem Bike, mit dem Trail und den natürlichen Gegebenheiten. 

Camille Balanche

Was ist die Bewegungsform des Bikens?
Das ist schwer zu beschreiben, es hat viel mit Gefühl zu tun. Ich lasse mich sehr bewusst auf die Strecke ein. Das Ziel ist immer, in einen Flow zu kommen. Ich versuche eins zu werden mit meinem Bike, mit dem Trail und den natürlichen Gegebenheiten.

Aber reicht das, um Weltmeisterin zu werden? Hast du sonst noch ein Erfolgsrezept?
Vielleicht, dass ich viel beobachte? Ich versuche zu erfassen, warum andere Fahrerinnen schnell sind. Und was man vielleicht besser machen kann. Außerdem analysiere ich meine Fahrten gerne im Video. Die Perspektive zu wechseln, ist sehr aufschlussreich. Wenn ich mir meine Konkurrentinnen beim Biken so ansehe, stelle ich aber vor allem fest, dass sie über eine bessere Grundposition, über bessere grundlegende Skills verfügen.

Du bist trotzdem schneller. Bist du manchmal überrascht von dir selbst?
Ja, ab und zu schon. Das muss ich zugeben. 

Mehr als überraschend war dein EM-Titel 2019 in Portugal, auf einer staubtrockenen Piste. Ein Jahr später wirst du im Matsch von Leogang Weltmeisterin, bei zwei Grad und Schneeregen. Waren das nicht vollkommen unterschiedliche Bedingungen?
Für mich nicht. Mir kam das Fahrgefühl sogar ähnlich vor. In beiden Fällen waren die Trails locker und rutschig. Nur die Temperaturen waren ziemlich unterschiedlich.

Die WM in Leogang war chaotisch. Im Training bist du gestürzt. Deine Lebensgefährtin und Bikekollegin Emilie Siegenthaler hat sich im Training sogar das Kreuzband gerissen. Trotzdem bist du zum Sieg gefahren. Bist du nervlich so stark?
Ich kann mich gut konzentrieren und fokussieren. Das liegt auch daran, dass ich schon so lange an Wettkämpfen teilnehme. Häufig bin ich im Rennen schneller als im Training. Ich weiß, dass ich gut bin, wenn es zählt. Das schenkt mir Sicherheit.

Emilie ist deine erste Freundin, zuvor hattest du männliche Partner. Ist das deine große Stärke? Ganz einfach offen zu sein?
Ja, so ist das wohl. Ich mache, was mir Freude bereitet, ob privat oder im Sport. Das zieht sich schon durch mein ganzes Leben.

Welche Sportart kommt als nächstes?
Mal sehen, vielleicht Synchronschwimmen? Nein, im Ernst: Die nächsten zwei Jahre bin ich definitiv auf dem Downhillbike unterwegs.

Und dann?
Keine Ahnung. Weiter denke ich nicht voraus. Alles ist möglich. Ich werde tun, was mir Spaß macht.

Voll im Flow: Interview mit Multitalent Camille Balanche
Camille Balanche

wurde am 1. März 1990 in Le Locle (Schweiz) geboren. Sie wurde 2 x Schweizer Juniorenmeisterin im Fechten, wechselte zum Eishockey und belegte bei den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 den 5. Platz. Sie spielte für die Volleyboys Biel in der 2. Volleyball-Liga, 2014 entdeckte sie das Mountainbiken für sich. 2019 wurde sie in Portugal Europameisterin im Downhill, 2020 in Leogang Weltmeisterin. Camille Balanche lebt gemeinsam mit der sechsfachen Schweizer Downhill-Meisterin Emilie Siegenthalter in Biel.
Instagram: @cam.bal