Was moderne MTB und E-MTB technisch zu dem macht, was sie sind. Und warum sie kaum mehr mit ihren Verwandten von vor einigen Jahren vergleichbar sind: ein analytischer Blick auf die Mountainbike-Generation 2024. 

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Mountainbiken boomt. So gut wie jede Ortschaft mit direkter Anbindung ans Berg- oder Hügelland unterhält zumindest ein kleines Netz an legal befahrbaren Forststraßen, teils auch mit natürlich entstandenen oder von Hand und Maschine gebauten Trails. Mancherorts sprießen auch Pumptracks aus dem Boden, um den Nachwuchs auf die stollenbereifte Seite der Macht zu ziehen. Und die Hersteller? Die reagieren auf den weltweiten Boom mit einem Füllhorn an Bikes und Zubehör für so gut wie jede Schattierung des Mountainbikens. Vom gemütlichen Feierabend-Ausrollen rauf zum Lieblingsplatz über dem Tal oder im Wald – bis hin zum hochtechnischen Abfahrtsspezialisten für solche Trails, auf denen selbst Fußgänger ihre liebe Mühe hätten, nicht den Grip zu verlieren. Und ebenso für alle Touren-, Trainings-, Trail- und Naherholungsansprüche dazwischen gibt es passende Modelle in den Katalogen der Hersteller. 

26, 27,5 und 29“, Hardtails und Fullys, Rahmen aus Stahl, Aluminium, Carbon oder Titan; Bikes klassisch ohne oder als E-MTB mit elektrischer Unterstützung; Crosscountry, Marathon, Downcountry, Trail, All Mountain, Enduro und Downhill. In den letzten zehn Jahren sind, wie es Tim Rimbach, technischer Support bei BH Bikes Deutschland, treffend in Worte fasst, „sehr viele Trends und Neuerungen in der Mountainbikewelt aufgekommen. Einige sind wieder verschwunden, andere sind geblieben.“ Aber was macht neue Bikes wirklich besser als solche von vor, sagen wir, fünf oder zehn Jahren?

Neu vs. „alt“
„Neue Mountainbikes bieten gegenüber ‚alten‘ Modellen eine Vielzahl von Verbesserungen, die den Biker unterstützen und seine Fähigkeiten fördern können“, führt Tim Rimbach aus. Aktuelle Mountainbikes und E-MTBs hätten ihm zufolge im Vergleich zu älteren unter anderem eine verbesserte Antriebsneutralität bei gleichzeitig mehr verfügbarem Federweg; größere Laufräder, die schneller rollen und zu reduzierten Überschlagsgefühlen an steilen Stufen führen; sowie veränderte Winkel in der Rahmengeometrie, die es ermöglichen, besser zu klettern und schneller und sicherer in die Downhills zu gehen. 

Laufräder vollzogen einen Wandel von 26“ über 27,5“ zu nun beinahe flächendeckenden 29“. Mehr Laufruhe und besseres Überrollverhalten stehen hier auf der Habenseite der großen Laufräder, das früher oft als träge beschriebene Fahrverhalten wurde den 29“-Rädern mittlerweile weitgehend ausgetrieben. Kleine Fahrer finden nach wie vor auch Modelle mit an ihre Proportionen angepassten 27,5“-Laufrädern, Bikes mit mittlerem und großem Federweg versuchen die Hersteller teilweise auch mit einem Mix aus 29“-Vorder- und 27,5“-Hinterrad noch mehr Agilität zu verleihen. 

Und auch die Zeiten schmaler Pneus sind im Gelände mehr oder minder passé. Reifen um die 2,35 bis 2,4“ auf entsprechend breiten Felgen (um die 25 bis 30 mm Mittelbreite) finden heute nicht mehr nur im Gravity-Bereich, sondern durchwegs auch an Trailbikes oder, wie es etwa Aushängeschild Nino Schurter im Weltcup schon lange vormacht, auch im XC- und Marathon-Bereich ihren Platz.

Grob zusammengefasst sind moderne Räder in ihrer Geometrie tendenziell im Radstand wie im ­Reach länger, im Lenkwinkel flacher, im Sitzwinkel etwas steiler. Moderne Geometrien bringen oft auch kürzere Sitzrohre mit sich, da sich dadurch für die Fahrer, ähnlich wie im Skikauf, mehr „Wahlmöglichkeiten“ ergeben, ohne an Ergonomie einzubüßen – Agilität und Wendigkeit in der kleineren Rahmengröße versus Laufruhe und Tempostabilität in der größeren sowie Vielseitigkeit in der errechneten „passenden“ Rahmengröße. 

Bessere Ergonomie bergauf, mehr Kontrolle bergab und ein verbessertes Fahrverhalten in technisch schwierigem Gelände versprechen die Hersteller. Speziell die Geometrien sind es auch, die Ale­xander Steurer, beim österreichischen Bike-Hersteller Simplon für Produktmarketing zuständig, hervorstreicht. Diese, so seine Einschätzung, „vermitteln Sicherheit für Anfänger und Fortgeschrittene, wodurch sich letztendlich auch der Fahrspaß erhöht.“ Hier spielen aber seiner Ansicht nach auch Komponenten und Anbauteile eine Rolle. Denn die erwähnt kürzeren Sitzrohre ermöglichen es an Trail- und Enduro-Bikes Dropper-Posts mit teils bis zu 200 Hub zu verbauen. Die Bewegungsfreiheit, die sich durch diesen großen Absenkbereich des Sattels ergibt, erhöht die Sicherheit und ermöglicht es, Schlüsselstellen zu meistern, wie sie früher einmal kaum möglich gewesen wären.

Reifen um die 2,4“ auf entsprechend breiten Felgen sind längst nicht mehr nur für den Gravity-­Bereich reserviert.

Smarte Details
Was moderne Bikes ebenfalls bieten, sind vielfach durchdachte und smarte Lösungen. Alexander Steurer hat es etwa die Integration ­verschiedenster Bauteile und Funktionen angetan. „E-MTBs, die auf den ersten Blick gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden, oder nützliche integrierte Zusatzfunktionen wie etwa Staufächer im Rahmen, damit die wichtigsten Sachen immer mit dabei sind“, nennt er als Beispiele. Moderne Bikes lassen Leitungen und Züge oft auch direkt durch den Steuersatz in den Rahmen eintreten, sorgen für eine cleane Optik (machen es Schraubern und Mechanikern aber zugegeben auch nicht immer einfach bei der Wartung). Dazu passend finden sich immer mehr organisch an die Rahmenform angepasste Vorbauten oder integrierte Vorbau-Lenker-­Einheiten, teils lassen Hersteller auch Dämpfer komplett im Rahmen verschwinden, was zwar auch wieder die Wartung verkompliziert, dafür aber deutlich besser vor Witterung und Schmutz schützt. 

Gekommen, um zu bleiben, sind für Tim Rimbach aber auf jeden Fall die bereits erwähnten absenkbaren Sattelstützen, die unkomplizierten und wenig defektanfälligen 1-fach-Antriebe sowie Tubeless-Systeme: „All diese Entwicklungen haben zu mehr Sicherheit, Funktionalität und letztendlich mehr Spaß beim Mountainbiken geführt.“

Add on „E“
Richtig viel hat sich in den letzten Jahren aber auch am Sektor E-Bike getan. Nicht nur geht der Marktanteil der Pedelecs mittlerweile durch die Decke – auch die technischen Finessen der Bikes sind mit Modellen von vor fünf oder zehn Jahren nicht mehr vergleichbar. Akkus und Motoren mehr oder minder unsichtbar im Rahmendesign zu integrieren, gehört heute zum Standard, teils werden sogar die Displays und Steuereinheiten smart im Oberrohr versteckt. „Im E-MTB-Bereich gibt es endlich echte, auf den MTB-Einsatz ausgelegte Antriebe am Markt, die sich zudem in Full-Power- oder Light-Motoren – mit unter 2 kg Gewicht – untergliedern. Durch unterschiedliche Akku-Größen und -Konzepte – entnehmbar oder fest verbaut – gibt es inzwischen ganz unterschiedliche Ansätze des elektrisch unterstützten Mountainbike-Erlebnisses“, weiß Marco Wolff-Staudacher, Produktmanager bei HoheAcht. 

Die „klassischen“ E-MTBs mit immer stärker werdenden Motoren, so Tim Rimbach, liefern mittlerweile bei einem Gewicht von knapp über 20 kg 80 bis 90 Nm Drehmoment. Und auch die Reichweiten und Reichhöhen sind dank großer Akku-Lösungen von teils über 1000 Wattstunden beeindruckend. Aktuell boomen, hier sind sich unsere Experten einig, aber die Light-Assist- oder Minimal-Assist Bikes, die stetig leichter werden. Das Fahrgefühl eines „echten“ Mountainbikes mit dem Vorteil einer gewissen Unterstützung bergauf macht diese Räder in der Gewichtsklasse von 13 bis 19 kg gerade für eigentlich sportliche Biker zum aktuell vielleicht interessantesten E-Bike-Segment. „Ein aktuelles Minimal Assist Bike hat zwar weniger Leistung, dafür aber auch deutlich weniger Gewicht, ein natürliches Fahrgefühl und damit einhergehend auch einen Performance-Gewinn“, schwärmt Tim Rimbach.

Was sich in den einzelnen Segmenten heuer im Detail tut, das haben wir in unserem Bikeguide 2024 Kategorie für Kategorie für euch zusammengefasst – und jeweils mit subjektiv ausgewählten 6 oder 12 Top-Bikes garniert! 

Akkus und Motoren, mehr oder minder unsichtbar im Rahmen integriert, gehören heute zum Standard.