Lernen von den Besten. Auf einer gemeinsamen Tour haben wir uns von Bergsteiger-Legende Peter Habeler Tipps für den Start der Wander- und Outdoorsaison geholt. Denn einer, der fast sieben Jahrzehnte Erfahrung im Bergsport hat, der muss es wissen, wie man auch als „Normalsterblicher" sicher im alpinen Gelände unterwegs ist. Und wie man auch sicher wieder nach Hause kommt.
Im Juli feiert Peter Habeler seinen 75er – und seit fast 70 Jahren ist der Tiroler regelmäßig in den Bergen unterwegs. In Österreich und auf der ganzen Welt; im Zillertal (seiner Heimat), in den Dolomiten, in der Eiger-Nordwand oder in den Rocky Mountains. Und natürlich: der Mount Everest ohne Sauerstoff, gemeinsam mit Reinhold Messner. Während heute aber viele seiner ehemaligen Kameraden nicht mehr fit für Fels und Gipfel sind, bewegt sich Habeler immer noch mit einer ungemeinen Leichtigkeit im alpinen Gelände. SPORTaktiv durfte sich bei einer gemeinsamen Skitour über Galtür (die Story dazu folgt im Skitourenguide 2017/18 im Oktober – und einen Vorgeschmack bekommst du schon hier) selbst von der Fitness Habelers überzeugen.
Für eine jahreszeitlich passende Story zum Start der Bergsaison haben wir Peter Habeler, der auch als Bergsicherheits-Experte für das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) tätig ist, dabei um seine wichtigsten Sicherheitstipps für unsere Leser gebeten. Und das hat er auf der Tour gern gemacht – und uns die folgenden Ratschläge und Gedanken mit auf den Weg gegeben.
SICH SELBST RICHTIG EINSCHÄTZEN
„Wichtig ist zunächst der gesunde Menschenverstand", sagt Habeler. „Du kannst zum Beispiel nicht den ganzen Winter über nichts tun, und dann am Wochenende hier herauf gehen." „Hier herauf", das ist die Jamtalhütte oberhalb von Galtür in Tirol auf knapp 2.200 Metern Seehöhe. Habeler steht vor der Hütte und erklärt das Bergpanorama. Dreiländerspitze, Jamspitze, Rußkopf. Hinter den Gipfeln liegt im Süden die Schweiz, im Westen Vorarlberg. Wind umtost die schroffen Felsen.
„Die Sicherheit beginnt also schon bei der Selbsteinschätzung", sagt Habeler. „Wie fit bin ich, was hab ich den Winter über getan." Allgemeingültige Regel für die Länge der ersten Tour nach dem Winter gibt es naturgemäß keine. „Mancher geht sechs, sieben Stunden ohne Probleme, einem anderen sind schon zwei Stunden zu viel." Also: Eitelkeit ausschalten, mit kleineren Touren beginnen und Schritt für Schritt steigern.
PLANUNG UND AUSRÜSTUNG
Weiter geht es mit der Tourenplanung. Alle verfügbaren Informationen zur Tour werden im Vorfeld eingeholt – Länge, Höhenmeter, Schlüsselstellen. Fragen gecheckt wie: Haben unterwegs schon Hütten offen, die im Notfall Unterstand oder eine Stärkung bieten? „Ganz wichtig: Ich muss mich informieren, wie das Wetter ist. Und wie die lokalen Verhältnisse sind: Gerade im Frühjahr kann es sein, dass dort, wo ich hinauf gehen will, noch Schnee liegt." An all das müsse man dann die Ausrüstung anpassen. „Ich empfehle immer einen hohen Schuh, schon wegen der Trittsicherheit." Und in den Rucksack gehören neben der Jause und Getränken Wechselkleidung, Haube, Handschuhe, Wetterschutz. „Und gar nicht blöd ist auch ein Schirm."
Wie bitte? Der Hochalpinist, der Stürme im Himalaya und Karakorum unter einer dünnen Zeltplane ausgesessen hat, der im legendären Todesbiwak in der Eiger-Nordwand im Hocken übernachtet hat, empfiehlt das Spaziergänger-Accessoire? „Ja. Wenn du im leichten Gelände dahinwanderst und es stark regnet, ist ein kleiner Schirm perfekt."
Zu viel soll es aber insgesamt nicht sein, das man auf den Berg mitnimmt – denn jedes zusätzliche Gewicht summiert sich und erschwert die Tour. „Der Reinhold Messner und ich haben immer so wenig wie möglich mitgenommen", erinnert sich Habeler – was darin gipfelte, eben auch keine Sauerstoffflaschen auf den Everest-Gipfel zu schleppen ...
DAS WETTER IM AUGE BEHALTEN
Bevor es dann losgeht, sollte man sich unbedingt nochmals mit dem Wetter auseinandersetzen – auch wenn die Prognose am Vortag gut war. Unterwegs muss man ebenfalls stets einen Blick auf das Wetter haben. Das führt überhaupt zu einer weiteren Bergsteiger-Tugend: dem „Nein-sagen-Können". „Wenn schlechtes Wetter aufzieht, musst du Nein zum Ziel, Nein zum Gipfel sagen können und umkehren." Ebenfalls vor Tourstart hinterlässt der umsichtige Berggeher sein Tourenziel bei Freunden, Familie oder der Pension, von der aus er in die Berge aufbricht. „Das erleichtert im Ernstfall die Suche der Bergrettung enorm."
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TEMPO ANPASSEN
Peter Habelers nächster Tipp betrifft das Tempo. „Ich bin ein Freund der kleinen Schritte und bleibe gerne auch einmal stehen. Die Natur genießen, den Blick schweifen lassen, die Atmung wieder zur Ruhe kommen lassen, das taugt mir." Und es hilft der Sicherheit. Das Tempo müsse man unbedingt dem Gelände anpassen. „Wenn es flach ist und eben kannst du schon einmal schneller gehen. Je unwegsamer, desto langsamer sollte man dann aber unterwegs sein." Die Trittsicherheit ist dann einfach bei jedem besser: „Viele Unfälle passieren, weil Leute zu schnell unterwegs sind und dann stolpern." Habeler rät auch zu Wanderstöcken: „Damit geht es sich einfach leichter."
GRUPPENHIERARCHIEN
Ist man in der Gruppe unterwegs, muss einer die Entscheidung treffen, der dann alle folgen. „Mit der Demokratie am Berg ist das nämlich so eine Sache", meint Habeler. Es ist auch klar: Im Ernstfall muss einer die Autorität haben, rasch eine Entscheidung zu treffen, die dann bedingungslos gilt. Der Erfahrendste sollte das Kommando haben, dem sich alle fügen. „Oft genug ist es vorgekommen, dass Leute in Not geraten, Hilfe alarmieren und sich dann zerstreuen, jeder wo anders hin", erzählt der Tiroler. „Die oberste Regel in so einem Fall ist aber: Immer zusammenbleiben!"
Und dann ist da noch die Technik. „Den Reinhold haben sie einmal fürchterlich geschimpft, als er gegen das Handy am Berg aufgetreten ist", erinnert sich Habeler. „Aber ganz falsch war sein Standpunkt nicht", meint Peter Habeler – und präzisiert: „Natürlich hab ich auch selbst immer ein Handy mit, schließlich kannst du damit einen Notruf absetzen und geortet werden. Auf der anderen Seite macht dieses Sicherheitsgefühl die Leute leichtsinnig." Und das sei ein generelles Problem, im heutigen Freizeit-Bergsport: Der Fokus auf das sichere Zurückkommen, auf das alle Handlungen und Entscheidungen auszurichten sind, gehe verloren ...
IMMER KONZENTRIERT SEIN
Die Konzentration ist und bleibt unerlässlich. Besonders auf der „Hausrunde" oder Strecken, die man schon oft gegangen ist. „Am gefährlichsten sind Routinefehler", weiß Habeler. Und davor seien auch Profis nicht gefeit – „so wie der Kitzbüheler Extremsportler Peter Ressmann", von dem Habaler erzählt. Er hatte eben eine Skiabfahrt vom Mount St. Elias in Alaska geschafft und war wenig später bei einer vergleichsweise harmlosen Tour in Salzburg abgestürzt, weil er ein Seil in den falschen Karabiner eingehängt hat. Daher sagt Habeler: „Du musst in den Bergen zu jeder Zeit konzentriert bleiben und aufpassen, auch im leichten Gelände."
Wer diese einfachen Regeln befolgt – oder wie es Habeler ausdrückt: „Wenn du mit der Natur lebst und nicht gegen sie" – dann steht einem genussvollen Erlebnis in den Bergen nichts mehr im Wege. „Dann hast du schon gewonnen", weiß Habeler. „Und dann kannst du dem Stress im Berufsleben, der so viele Leute überfordert, entfliehen – dafür gibt es keinen besseren Ort." Und was für ein Jungbrunnen die Berge sein können, macht Habeler Schritt für Schritt selbst vor ...