Rudern gilt als eine der komplexesten Sportarten überhaupt. Wenn man allerdings einen Profi wie Bernhard Sieber an seiner Seite hat, wird daraus schnell ein Highspeed-Vergnügen, bei dem man alle Gedanken über Bord werfen kann. Und auch sollte.

Markus Geisler


"Wir sitzen alle in ­einem Boot!“ Als Allerweltsphrase leicht dahergesagt, aber was bedeutet es wirklich? Das erfährt man, wenn man sich mit einem Profi wie Bernhard Sieber aufs Wasser begibt. Genauer gesagt: sich mit ihm auf der Neuen Donau einen Leichtgewichts-Doppelzweier teilt. Und hier zahlt es sich schon aus, den Auskenner ins Boot geholt zu haben, denn: „Beim Leichtgewicht dürfen die Ruderer im Schnitt nur 70 Kilo wiegen. Und Doppelzweier bedeutet, dass jeder zwei Ruder bedient und nicht mit beiden Händen eines, wie du es von den römischen Galeeren kennst.“ Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sind wir an Punkt eins grandios gescheitert, aber es geht ja auch nicht um ein Weltmeisterschaftsrennen. Bei Zweiterem besteht zu diesem Zeitpunkt zumindest noch die Hoffnung, es einigermaßen unfallfrei hinzubekommen.

Doch bevor sich Bernhard mit mir aufs Wasser traut, möchte er mir auf dem Ruder-Ergometer ein paar Basics mitgeben. Schließlich gilt diese Sportart als eine der komplexesten der Welt, bei der sich Wissenschafter wie Philosophen um die am meisten Erfolg versprechende Geheimrezeptur streiten. „Muss ja nicht sein, dass wir mit unseren Rudern auf dem Wasser zusammenstoßen und der prinzipielle Ablauf ist da wie dort der gleiche.“ Also lege ich auf dem Trockenen los. Und merke schnell, dass man auch bei simpel wirkenden Abläufen eine Menge falsch machen kann, wenn man keinen ­Experten an seiner Seite hat. ­Bernhards Credo: „Rudern ist eine Mischung aus Spannung und ­Entspannung.“ Bedeutet: Ist man gerade dabei zu ziehen, sind mehr als 80 Prozent aller Muskelgruppen im Körper angespannt. Rutscht man aber auf dem Rollsitz wieder nach vorne, gilt es, möglichst jede Anspannung aus dem Körper ­rauszulassen.

Ist man gerade dabei zu ziehen, sind mehr als 80 Prozent aller Muskelgruppen im Körper angespannt.

Bernhard Sieber

Bereits an dieser Stelle ist es sinnvoll, mit einem der großen Irrtümer aufzuräumen, mit dem Ruderer immer wieder konfrontiert sind. Denn es ist eine optische Täuschung zu glauben, dass die meiste Kraft dabei aus den Armen kommt. „80 Prozent erledigen die Beine“, erklärt Bernhard. Und verweist auf die Reihenfolge, mit der man so einen Ruderzug angeht. „Du schiebst dich erst nur mit den Beinen weg, dann kommt der Oberkörper, bei dem Becken und Schultern auf einer Linie sein sollten. Und erst ganz am Schluss kommen die Arme. Bei der Entspannungs-Phase ist es dann genau umgekehrt.“

Aye, aye, Sir!
Doch nun wird es wirklich langsam Zeit, aufs Wasser zu gehen, schließlich nähern wir uns langsam aber sicher der Mittagshitze. Doch vorher muss das 27 Kilogramm schwere und erstaunlich schmale Boot aus dem Schuppen zum Fluss getragen werden. Ohne Fleiß, kein Schweiß geht mir in diesem Moment durch den Kopf. Am Ufer angekommen, erklärt mir Bernhard, wie die Skulls, wie die Ruder im Fachjargon heißen, am Boot festgemacht werden. Und vor allem, wie ich in diese wackelige Büchse hineinkomme, ohne vor meinem ersten Ruderschlag über Bord zu gehen. Hält man sich an alle Tipps und Ratschläge (wie beispielsweise der einzigen Trittfläche), hält sich auch die Gefahr in Grenzen. Ich frage vorsichtig: „Ist es okay, wenn ich Handschuhe trage, wegen der Blasen?“ „Kein Problem, nur zu.“ „Und du?“ „Na ja, unter echten Ruderern ist das schon ein No-Go.“ Hätten wir auch das geklärt.

Die erste (okay, wenig überraschende) Erkenntnis: Zwei Ruder sind schwerer zu koordinieren als nur ein Griff am Ergometer. Die Faustregel lautet: Die linke Hand wird höher gehalten, um Zusammenstöße zu vermeiden. Dabei kommt allerdings hinzu, dass sich die Haltung der Skulls ständig verändert. Also mit aufgestelltem Blatt, wenn es im Wasser ist, und mit flach gestelltem Blatt, wenn man es über dem Wasser zurückzieht. Klingt eindeutig logischer, als es die praktische Umsetzung eines Anfängers hergibt. Vor allem, wenn man zur Kontrolle permanent nach rechts und links schaut, was wiederum zulasten der Balance geht, wie sich schnell herausstellt. „Schau du nur nach vorne und konzentriere dich auf den Bewegungsablauf“, sagt Bernhard. Und packt noch eine Weisheit aus mehr als zehn Jahren auf Profiniveau drauf: „Ein Boot wird dann schnell, wenn man aufhört zu denken.“

Ein Boot wird dann schnell, wenn man aufhört zu denken.

Bernhard Sieber

Nun gut, wenn es einer wissen muss, dann wohl er. 2012 wurde Bernhard Sieber U23-Weltmeister, 2016 nahm er, mit seinem Bruder Paul als Partner, an den Olympischen Spielen in Rio teil. Und auch für Tokio waren die beiden so gut wie qualifiziert, ehe Corona der Sportwelt einen Strich durch die Rechnung machte. Und bei Bernhard den Gedankengang ordentlich in Schwung brachte, mit dem er sich seit drei Jahren herumschleppte: den Sport nur mehr als Hobby zu betreiben und seine Erkenntnisse an andere weiterzugeben (mehr dazu unter www.bernhardsieber.at). Also beendete er im vergangenen Sommer seine aktive Karriere – und hat nun alle Hände voll zu tun, mich in diesen gedankenlosen und bestenfalls voll automatisierten Flow zu bringen, in den man beim Rudern im besten Falls hineinkommt.

Das allerdings mit Erfolg. Je länger wir den Fluss rauf und runter cruisen, desto ausgedehnter werden die Passagen, in denen auch mal fünf, sechs, sieben Schläge nacheinander gelingen.  Irgendwann nimmt der Profi meinen Schlag auf und verstärkt ihn. Und wir fahren mit wahnsinniger Geschwindigkeit (die sich in Wahrheit wohl um die 15 km/h bewegt) mit den Radlern und Inlineskatern am Ufer um die Wette. Ein erhebendes Gefühl. Und auf einmal wird sonnenklar, was Bernhard wirklich meinte, als er am Anfang sagte: „Im Zweier zu rudern ist niemals nur die Addition der einzelnen Athleten. Die beiden besten Ruderer werden gegen die beiden am besten aufeinander abgestimmten Ruderer in der Regel keine Chance haben, wenn sie sich auf einem gewissen Niveau befinden.“

Das also steckt eigentlich dahinter, wenn es so lapidar heißt: „Wir sitzen alle in einem Boot!“

Wir gegen die Stars: Auf der Suche nach dem Flow
Bernhard Sieber

Der seit dem 6. August 30-Jährige hat im vergangenen Sommer seine erfolgreiche Karriere offiziell beendet. Und das, nachdem die beiden letzten Rennen, die ihn zusammen mit seinem Bruder Paul ziemlich nah an die Qualifikation für Olympia in Tokio gebracht haben, „die beiden besten meiner ganzen Karriere waren“. Doch während des Corona-Lockdowns reifte das Motto: „Aufhören, wenn es am schönsten ist.“ Zu den größten Erfolgen des 1,80 Meter großen Athleten gehören die Goldmedaillen bei der Universiade 2012 und bei der U23-Weltmeisterschaft 2013 sowie die Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Rio 2016, wo er mit seinem jüngeren Bruder Paul im Leichtgewichts-Doppelzweier das Finale allerdings verpasste.

WEB: www.bernhardsieber.at