Österreichs bekanntester ­Politikwissenschafter hat noch kein Buch über ­Politik, aber ein Sportbuch ­geschrieben. Peter Filzmaier weiß auch aus eigener Erfahrung sehr ­genau, wovon er schreibt: Mit einer 10-Kilometer-Bestzeit unter 33 Minuten.

Christof Domenig
Christof Domenig

Welche Zutaten muss eine Sportgeschichte haben, damit sie Sie fasziniert? Was eint die Geschichten, die es in Ihr Sportbuch geschafft haben? 
Die Betonung im Untertitel ist, dass es wirklich „meine“ sehr persönlichen Sportgeschichten sind. Das heißt, ich muss damit eine emotionale Erinnerung verbinden, wie ich etwas miterlebt habe. Sei es vor Ort oder vor dem Fernseher mit Familie und Freunden. Die Leser werden daher im Buch sowohl ein paar erzählte Sportereignisse finden, zu denen sie genauso ihre eigene Erinnerung haben, als auch weniger bekannte Geschichten, die vielleicht genau deshalb besonders spannend sind. 

Der Beruf Sportreporter war für Sie ein Bubentraum. Waren Sie selbst als Kind schon so sportlich? Hätten Sie sich damals die tägliche Turnstunde gewünscht?
Ich war guter Durchschnitt beim Sport, denke ich, vielleicht ein bisschen besser. Doch bildungs- und sportpolitisch habe ich als Bub sicher nicht gedacht. Mein Wunsch war da höchstens, jeden Tag Fußball zu spielen. In der damaligen Zeit ohne Kabel- und Satellitenfernsehen und fast ein halbes Jahrhundert vor dem Streaming habe ich aber möglichst jede Sportübertragung im ORF verfolgt. Weil es nicht so viel Angebot gab, hatte das das Flair von etwas ganz Besonderem. Und es war mehr Zeit, die Vor- und Nachberichterstattung genauso anzuschauen. Das hat vielleicht den Bubentraum Sportreporter begründet.
 

Sport lebt vom Mitfiebern, von Gefühlen wie dem Wir-Gefühl. Oder wollen Sie immer streng sachlich den Kraulstil diskutieren?

Peter Filzmaier
Politiker lieben den Sport: Auch Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist ein Sportfreak

In der österreichischen Politik hat man den Eindruck, dass der Sport ein Wanderpokal ist: In den letzten 15 Jahren waren fünf Parteien für die Sportagenden zuständig. Sagt das auch etwas über den Wert aus, den die Gesellschaft dem Sport zugesteht? 
Ganz so einfach ist das nicht, denn Politiker lieben ja den Sport. Nämlich als Plattform, um sich zu inszenieren. Indem sie als Fans bei Sportveranstaltungen auftreten oder manchmal auch etwas peinliche Bilder liefern, wie sie in nicht mehr ganz jungen Jahren Fußball spielend ihren Bauch vor sich herschieben. Warum tun Politiker das? Weil sie wissen, da haben sie viele Tausende Zuschauer. Also hat der Sport hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Nur machtpolitisch ist der Sport für einen Minister und seine Partei uninteressant, weil er relativ wenig gestalten kann. Vielleicht auch, weil mächtigen Sportverbänden sozusagen egal ist, wer unter ihnen den Minister spielt.

Sie sind in Ihren besten Zeiten 10 Kilometer unter 33 Minuten gelaufen und den Halbmarathon in 1:12 Stunden. Warum der Laufsport?
Ich hatte einen Skiunfall mit schweren Verletzungen beider Ellbogen, weil ich beim Sturz in einen Abgrund instinktiv die Arme über den Kopf gab. Danach habe ich dann eine Sportart gesucht, bei der ich nicht beeinträchtigt war. Das war Laufen. Für einen Wissenschafter, der beruflich Strategieanalysen macht, ist beim Langstreckenlauf auch faszinierend, wie systematisch man über einen langen Zeitraum hinweg trainiert und wie fast mathematisch die Renneinteilung geplant wird.

Auch von Politikern weiß man, dass sie oft Langstreckenlauf betreiben. Warum ist diese Sportart in der ­Berufssparte Politiker verbreitet?
Naja, als in den Neunzigerjahren der Laufsportboom kam, ist es rechnerisch klar, dass wie in allen Berufsgruppen auch die Zahl laufender Politiker stark angestiegen ist. Das Besondere ist da nur, dass sich manche Politiker damit besonders fernsehgerecht inszenierten und Journalisten das oft allzu leichtfertig als Thema aufgriffen.  

Haben Sie Ihre eigenen Laufzeiten und Trainingsdaten mit solcher Akribie analysiert wie eine Wahl? Oder wie die Sportereignisse, die Sie für Ihr Buch gesammelt haben?
Da muss ich zunächst eine Sache korrigieren: Ich analysiere im Buch gar nichts, sondern schildere höchst subjektiv meine Sicht der Dinge. Wenn mein Barca spielt, hat der Gegner den Sieg nie verdient und steht im Zweifelsfall dauernd im Abseits (lacht). Für mein Lauftraining habe ich einerseits wirklich viele Bücher gelesen und Trainingspläne gemacht. Nur war es oft schwierig, das mit beruflichen Zwängen unter einen Hut zu bringen. Worauf ich aber stolz bin: Ich habe Freunden einen Trainingsplan geschrieben, wenn jemand zum Beispiel als schon ein bisschen älteres Semester die Drei­stundengrenze im Marathon knacken wollte.

Als Sportfan sind Sie gewissermaßen politisch unkorrekt, sagen Sie: Sie halten zu Sportlern, die als Menschen nicht sympathisch sind, freuen sich über Doppelfehler im Tennis, sofern es Ihrem Favoriten hilft … Haben Sie eine Erklärung, warum für Sportfans offenbar etwas andere Maßstäbe jenseits der Political Correctness gelten?
Sport lebt ja davon, dass wir mitfiebern. Acht Leute auf parallelen Bahnen schwimmen zu sehen, das wäre wenig aufregend, wenn wir uns nicht mit einem davon identifizieren. Die sind ja kaum voneinander zu unterscheiden, zur Zeit der Ganzkörper­anzüge waren sie es fast gar nicht. Oder wollen Sie da immer nur streng sachlich den Kraulstil diskutieren? Also brauchen wir Gefühle wie das Wir-Gefühl. „Das ist einer von uns!“ oder: „So wie der oder die will ich sein!“ Und so weiter und so fort. Spannend ist dabei aber nicht unbedingt der perfekte Gentle­mansportler, denn auf einer Party ist ja auch nicht der Typ mit dem allerbesten Benehmen besonders sexy. 

Einer Ihrer großen Helden ist Marco Pantani. Abgesehen von der Tragik seiner Persönlichkeit: Wie sehen Sie generell den Zwiespalt zwischen Heldenverehrung und späterer Verdammung, sobald ein Sportler des Dopings überführt ist?
Da bin ich am Rande einer gespaltenen Persönlichkeit. Pantanis unbändige Angriffslust wider jede taktische Vernunft, sobald die Straße bergauf ging, das hat mich fasziniert. Auch wenn ich im Hinterkopf wusste, dass seine Duelle mit dem Deutschen Jan Ullrich oder natürlich Lance Armstrong ein Wettbewerb von lauter wandelnden Apotheken waren. Doping ist Betrug und ich wünsche mir unendlich mehr Ressourcen an Personal und Geld für viel mehr Kontrollen. Was mir aber umgekehrt wichtig ist: Strafen und Sperren sind dann nach ordentlichen Verfahren und einem Urteil auszusprechen, nicht als Pauschalurteil im Volksmund: „Die gifteln alle!“ Ich sage ja auch nach erschütternden Missbrauchsfällen in der Kirche nicht, dass alle Priester Kinderschänder wären oder ähnlich schlimmen Unsinn.

Sie schreiben auch, dass in Deutschland in jüngster Zeit in der Doping-Berichterstattung ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, hin zu einer kritischeren und differenzierteren Sichtweise. Haben Sie eine Erklärung, wodurch dieser Wechsel im Nachbarland ausgelöst wurde?
Durch sehr späte Erkenntnis. Offenbar ist irgendwann doch Schuldbewusstsein eingekehrt, dass man Jan Ullrich geglaubt hat, es hätte ihm nur in der Disco jemand was ins Getränk getan. Und bei einem Langsteckenläufer war es irgendwas in der Zahnpasta, wenn ich mich richtig erinnere ... Doch die späte Gegenreaktion ist bewunderswert, die ARD hat zum Beispiel eine eigene Antidopingredaktion.

Sie würden selbst gern Sportereignisse kommentieren. Wenn Sie sich eines aussuchen könnten, welches wäre das?
Marathonlauf. Ich hätte ja sogar im ORF den Wiener Marathon live kommentieren dürfen. Infolge des Coronavirus wurde daraus nichts. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben ... 
 

Politiker lieben den Sport: Auch Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist ein Sportfreak


Denken Sie, könnte man mit Sportanalysen jenseits des Mainstreams mehr Menschen für Leichtathletik und andere bei uns „am Rand“ stehende Sportarten begeistern? Nur ein Beispiel aus Ihrem Buch: Edwin Moses blieb 12 Jahre lang über 400 m Hürden ungeschlagen – war aber auch studierter Physiker, wagte als Erster einen 13er-Schrittrhythmus zwischen den Hürden und ließ sich politisch nie von irgendeiner Seite vereinnahmen ...
Ich glaube, Ja, das könnte man. Denn sogar Seriensieger – und Ed Moses war ein Jahrzehnt lang der Beste der Besten – können langweilig sein. Was uns fasziniert, das ist immer die gesamte Persönlichkeit und der Lebenslauf. Wobei zugegeben, auch negative Eigenschaften Faszination ausüben können. Ich muss gestehen, auch zum Langläufer Petter Northug gehalten zu haben, der schon vor einem Verkehrsunfall in alkoholisiertem Zustand ein Beispiel für unglaubliche Arroganz war.

Sie haben schon erwähnt, einem Freund einen Trainingsplan für einen Marathon unter drei Stunden geschrieben zu haben. Sie haben sich also sozusagen auch als Trainer bewährt. Trainer-Persönlichkeiten kommen in Ihrem Buch relativ wenige vor. Müssten die sportlichen Taktiker und „Fädenzieher im Hintergrund“ nicht gerade Sie als Politikwissenschafter auch besonders interessieren?
Im Laufsport habe ich da vielleicht ein bisschen Einblick. Doch meine Sportgeschichten habe ich ja als Fan im Stadion und vor dem Fernseher erlebt. Nicht als Politikwissenschafter und nicht in Trainerseminaren. Und Hand auf’s Herz: Schauen Sie bei einem Fußballspiel wirklich dauernd auf den Trainer und interessiert es Sie ehrlich, was er da an der Seitenlinie herumfuchtelt? Also ich sehe lieber Lionel Messi zu.

Beim Langstreckenlauf fasziniert auch, wie fast mathematisch die Renneinteilung geplant wird. 

Peter Filzmaier
Politiker lieben den Sport: Auch Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist ein Sportfreak


Peter ­Filzmaier
ist Professor für Politikwissenschaften an den Universitäten Krems und Graz und leitet das Institut für Strategieanalysen in Wien. Seine politischen Analysen sind vom ORF wie aus zahlreichen anderen Medien bekannt. Mit „Atemlos“ hat der Sportfan und hervorragende Hobbyläufer sein erstes Buch vorgestellt.

Peter Filzmaier: „Atemlos. Meine schönsten Sportgeschichten und was sie mit Politik zu tun haben.“ Brandstätter 2020, € 22,– (Hardcover), € 17,99 (E-Book)  
www.brandstaetterverlag.com