Sportler/-innen mit und ohne Behinderung rücken immer näher zusammen, vieles ist bereits möglich. Damit aber Inklusions-Angebote entstehen, braucht es vor allem eines: Menschen mit einem starken Willen.
Ich erinnere mich noch gut an einen rollstuhlfahrenden Jugendlichen mit mehrfacher Behinderung, der unseren Kletterpark besuchte“, erzählt Werner Rupp vom steirischen Bildungshaus Schloss Retzhof, dem ersten und nach wie vor einzigen umfassend barrierefreien Bildungshaus Österreichs. „Mit einem eigens für diesen Zweck gebauten Lift ist er dann samt Rollstuhl im Hochseilgarten geschwebt! Das war schon für alle Beteiligten eine überaus positive Erfahrung.“ Das Besondere an dem Hochseilgarten im Schloss Retzhof ist, dass es sich dabei eben um ein „inklusives Outdoor-Angebot“ handelt. Heißt: Den großen Parcours mit seinen 25 Stationen können auch behinderte Menschen, je nach ihren Fähigkeiten, bewältigen und sogar den „Flying Fox“ ausprobieren. Seit zwei Jahren gibt es zusätzlich einen kleineren Rollstuhlparcours: Auf einer Höhe von 1,60 Metern können rollstuhlfahrende Personen auf der Hängebrücke, einer Wippe, einem Trampolin und auf Holzpflöcken über die man fährt, völlig neue Bewegungsgefühle entdecken.
Meist landen behinderte Menschen gerade bei sportlichen Aktivitäten wie dieser bloß in der Zuschauerrolle – bei „Inklusiv-Angeboten“ sind sie voll dabei. „Das Angebot ist inklusiv, weil uns wichtig war, dass gerade Kinder und Jugendliche, die sonst o zuschauen müssen, das Gleiche machen können wie etwa ihre Klassenkameraden“, betont Rupp. Die Idee entstand, als auch Integrationsklassen den Hochseilgarten zu nutzen begannen. Anfangs wurde viel improvisiert, die Berührungsängste bauten sich durch den direkten Kontakt jedoch rasch ab und erste positive Erfahrungen bestärkten das Team, weiterzumachen.
EIGENE WEGE BESCHREITEN
In den letzten Jahrzehnten entstanden eine ganze Reihe von Sportangeboten für Menschen mit verschiedensten Behinderungen, aber „Inklusive Sportangebote“ wie der Hochseilgarten am Retzhof sind nach wie vor selten. Das Thema Integration bis hin zur Inklusion ist sehr komplex und betrifft Sportler genauso wie Trainer und Sportvereine. Der Mangel an geeigneten Räumlichkeiten, die mediale Unterrepräsentiertheit des Behindertensports und der Erfahrungsmangel im Umgang mit behinderten Menschen erschweren das Ganze.
Der Nachteil an der jahrzehntelangen Trennung von behinderten und nichtbehinderten Sportlern ist, dass viele keine persönlichen Erfahrungen sammeln konnten, was zu Unsicherheit und Berührungsängsten führt. „Für viele nichtbehinderte Menschen ist es o nur schwer vorstellbar, mit behinderten Menschen gemeinsam Sport zu treiben. Umso wichtiger sind gute Ideen, die Unterstützung im Team – und dass man sich traut, diese auch umzusetzen“, resümiert Rupp.
EIN LERNPROZESS FÜR ALLE
Neues wagen und Grenzen ausloten ist schon mal ein erster Schritt. Auch wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingungen besserten: Jene Beispiele, wo es funktioniert, zeigen auf, dass für den Erfolg mehrere Faktoren zusammenspielen müssen. Einen Lernprozess zieht es auf jeden Fall nach sich. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es auch auf die Sportart ankommt, und ob es sich um Einzel- oder Mannschaftssport handelt bzw. ob Training oder Wettkampf im Mittelpunkt stehen.
Was das gemeinsame Training – etwa auch von Menschen mit verschiedenen Behinderungen – betrifft, ist inzwischen vieles möglich und es wird auch mehr gewagt. Jedoch sind auch hier gewisse Grenzen nötig, nämlich dort, wo sich für eine bestimmte Gruppe wieder Nachteile ergeben. Sind einige wenige nichtbehinderte Menschen mit an Bord, braucht es Regeln, um für Fairness und Ausgewogenheit zu sorgen – im umgekehrten Fall freilich genauso.
Vor allem für rollstuhlfahrende Menschen kann die Suche nach barrierefreien, leistbaren Trainingsstätten zudem mitunter langwierig sein. Wettkämpfe sind ein Thema für sich: Schon allein in puncto Bewertung und Klassifizierung macht es wenig Sinn, behinderte und nichtbehinderte Sportler gegeneinander antreten zu lassen.
Auch seitens der Trainer und Betreuer ist viel Lernbereitschaft nötig. In manchen Fällen, etwa beim Hochseilgarten am Retzhof oder beim integrativen Bewegungsangebot „Motopädagogik“ des WAT in Wien, werden bestehende Trainer durch eigens geschulte Personen unterstützt. Wer die eigene Gruppe für Menschen mit Behinderungen öffnen will oder soll, dem legt Sportwissenschaftler Mag. Jürgen Kreisler spezielle Fortbildungen nahe: „Neben einer fundierten, trainingswissenschaftlichen Ausbildung sind weitere Kurse, zum Beispiel zum ,Übungsleiter Behindertensport‘, sinnvoll.“
Kreisler betreut an der Rehabilitationsklinik Tobelbad Rollstuhlrugby und den „Mittwochsport“, ein vielseitiges Sportangebot für rollstuhlfahrende Menschen. Und der Sportwissenschafter verbringt selbst rund 50 Prozent seines Arbeitsalltags im Rollstuhl, um mit den Sportlern auf gleicher Augenhöhe kommunizieren und konkurrieren zu können. Deshalb weiß er aus Erfahrung, worauf man als Trainer achten muss: „Ich arbeite hauptsächlich mit amputierten und querschnittsgelähmten Menschen. Im Sommer muss man jemandem mit einer Beinprothese regelmäßig die Prothese abnehmen, um zu kontrollieren, ob Druckstellen oder Blasen entstehen. Im Winter sollte man bei Menschen mit Querschnittslähmung darauf achten, dass es zu keinen Erfrierungen an den Beinen kommt“, erklärt Kreisler. Weiß man darüber Bescheid, lassen sich Probleme vermeiden.
OFFENHEIT STATT STARRER REGELN
Damit behinderte und nichtbehinderte Menschen miteinander sporteln können, ist bei den Trainer zusätzlich eine große Portion Flexibilität nötig. Ob das nun die Motopädagogik, Rollstuhlbasketball oder -tennis betrifft: „Die große Kunst ist es“, sagt Kreisler, „die Regeln so anzupassen, dass es fair bleibt und alle davon profitieren.“ Das sollte auch dort gelten, wo Sportler oder Sportlerinnen mit unterschiedlichen Behinderungsarten aufeinander treffen.
Wie gut die Inklusion im Einzelfall funktionieren kann, zeigt ja das Beispiel des 22-jährigen Steirers Martin Hofbauer, der im Mai des Vorjahres von der FIFA als weltweit erster Spieler mit Beinprothese eine Spielberechtigung für alle Meisterschaftsspiele erhielt. War’s ein Problem für die anderen Spieler, ist es dem Publikum aufgefallen? Offenbar nicht. Vieles ist möglich, nicht alles ist sinnvoll – aber einen Versuch ist die Inklusion immer wert.
DER EXPERTE
Mag. Jürgen Kreisler ist Sportwissenschaftler sowie Lehrwart für Behindertensport. An der Rehabilitationsklinik Tobelbad betreut er verschiedene Sportgruppen und ist Trainer des Rollstuhlrugby-Teams „Steirische Eichen“.
Kontakt: juergen.kreisler@auva.at
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