Über die Kunst, vor lauter Sportlern den Wald zu sehen: Einsamkeit in Wald und Flur? Das war einmal. Heute zählen die schwindenden Naturräume der Alpen zu den überlaufensten Freizeitzielen Europas.


Vor allem bei den mobilen Vertretern aus der Senioren-Fraktion geht es rund. Überall gibt es sozusagen sportlichen Greis-Verkehr. Um das zu erfahren, muss man nicht unbedingt im Hochwinter an der Talstation eines Riesenskigebiets einen Parkplatz suchen. Jeder Skitourengeher kennt mittlerweile das Gefühl, oberhalb der letzten Spitzkehre plötzlich in einem Pulk von Ausflügerln zu stecken, die sich um die beste Foto-Perspektive balgen. Wo sind die nur hergekommen? Dabei hat man doch extra diese angeblich wenig begangene Route gewählt!

NIE MEHR ALLEIN
Wer am Berg einsam bleiben will, der muss schon an einem Wochentag Anfang Dezember bei minus acht Grad und gefrierendem Nieselregen im weglosen Gelände durch dichten Nebel stapfen. Ist aber auch kein echter Genuss. Wahrscheinlich müssen wir uns daran gewöhnen, dass leicht erreichbare Aussichtsberge bei Schönwetter aussehen wie der Strand in Jesolo im Sommer. Nur mit dem Unterschied, dass es keine Nebensaison gibt, denn Bergsport ist längst ein Ganzjahresprogramm geworden. Wozu hätte man sich sonst die beheizbaren Schuheinlagen und den Merinopullover zugelegt? Und auch der schicke Leichtbau-Anorak mit Regensensor, Biwak-Funktion und elektrisch ausfahrbarem Smartphone-Display zum Preis eines Motorrollers will schließlich ausgeführt werden.

DAS ENDE DER FREIHEIT
Der Bergsport-Boom hat schon sein Gutes, unter anderem sinkende Kosten für die Heilung von Bewegungsmangel-Krankheiten. Aber er bedeutet in gewisser Weise auch das Ende der Freiheit am Berg. Überall werden jetzt Regeln eingeführt, für Tourenskigeher werden eigene Aufstiegsspuren angelegt und Parkplätze geschaffen. Die Aufsichtsjäger träumen schon von der Nummerntafel für jeden Mountainbiker und Skifahrer. Und die Firma Siemens wird irgendeinem übereifrigen Politiker wohl bald die erste Skipisten-Verkehrsampel einreden. Zum Wohl der allgemeinen Sicherheit. Und der Politiker wird sie ankaufen. Ist ja schließlich nicht sein privates Geld.

Ernst Sittinger, Mitglied der Kleine-Zeitung-Chefredaktion, Kabarettist und begeisterter Biker
DER KOLUMNIST
Ernst Sittinger ist Mitglied der Kleine-Zeitung-Chefredaktion, Kabarettist und begeisterter Biker und Outdoorsportler.



Zum Weiterlesen: