Was erwartet uns beim Thema E-Mountainbike in den nächsten fünf Jahren? Sinnvolle Innovationen oder Technik-Flops? Der Innsbrucker Christoph Malin („Electric Mountain“) mit dem Porträt eines Sports im permanenten Ausnahmezustand.
Wie ein Tsunami hat das E-Bike und in weiterer Form das E-Mountainbike den Fahrradmarkt, aber auch den Tourismus überrollt. Nach Jahren der Stagnation im MTB-Sport hat sich das E-MTB mit immenser Dynamik als Sport im Sport etabliert und greift nach der Krone. So schossen E-MTB-Tourismuskonferenzen und Workshops aus dem Boden, dass man mit der Teilnahme beinahe nicht mehr nachkam. Konferenz-Tourismus als Selbstzweck? Nein, die Vernetzung macht Sinn: Touristiker, Trailbauer, Skigebiete, Journalisten, Werber, Rider, Hoteliers und der eine oder andere Hersteller, ganztägig in einem Raum versammelt – eine spannende Sache, um Strategien zu wälzen, wie man den Sport europaweit bzw. im Alpenraum gestaltet und weiterentwickelt.
Kein Wunder dass hier die Köpfe rauchen. Dazu kommen Strategien zur Konfliktvermeidung im Spannungsfeld Biker, Wanderer und anderer Naturnutzer. Interessant auch die Diskussionen bei DAV und OeAV, DIMB („Deutsche Initiative Mountainbike“) und anderen Institutionen. Hier wird ebenfalls heiß diskutiert, wie das Thema E-MTB in die Lehre zu integrieren sei – und das durchaus sehr kontroversiell: Aus dem Wald sperren? Reinlassen? E-Biker raus aus dem Gebirge?
Wieder lange Lieferzeiten?
Der Fachhandel ist weiterhin permanent sommerlich außer Atem beziehungsweise stark verkaufsbeschäftigt. Populäre E-MTB-Modelle und E-MTB-Marken sind vielerorts oft und schnell ausverkauft, Wartelisten und längere Lieferzeiten gang und gäbe. Nicht nur vereinzelt gab es 2017 Klagen des Handels bezüglich der Wartezeiten bei diversen Lieferanten. „Wir hätten 2017 um 30 Prozent mehr E-MTBs verkaufen können, wenn unsere Lieferanten dazu in der Lage gewesen wären, viele waren früh ausverkauft“, so ein Innsbrucker Fachhändler. Ob sich das 2018 ändern wird? Spannend ist auch der heurige Einstieg von Direktversender Canyon ins Thema E-MTB.
Nicht nur in MTB-Foren wird emotional und kontroversiell diskutiert. Fünf- oder mehrstellige Klick- und Postingzahlen sind Blogs und Zeitungen garantiert, die sich mit dem Thema befassen. Wobei hier langsam, aber sicher ein Umdenken zu beobachten ist: Man wird als E-MTB-Fahrer in der Szene nicht mehr pauschal als „dick und unsportlich“ kategorisiert. Bike-Hotels, die mit Spaß, Freude und Kompetenz E-MTB-Kunden entsprechend abholen, können sich kaum vor Buchungen retten. „Mehr als 165 E-MTB-Touren mit E-MTB-Gruppen“ hat der Südtiroler Mountainbike- und E-MTB-Pionier Kurt Resch 2017 selbst für sein Hotel geguidet. Ins selbe Horn stößt sein Kollege Martin Pirhofer vom Jagdhof aus Latsch. „Langweilig wird uns nicht, E-MTB-Touren gehen sehr gut, da kommt immer mehr Nachfrage.“
In Asien produzieren die Rahmenhersteller E-MTBs, dass die Schweißnähte glühen und die Fertigungslinien der großen Zulieferer sind mehr als ausgelastet. Gleichzeitig nimmt der Anteil an konventionellen Mountainbikes in der Produktpalette kontinuierlich ab, Entwicklungsbudgets werden zum E-MTB hin verschoben. 26 Motoren-Hersteller (Mittelmotor, Nabenmotor und andere Konzepte) zählte die Eurobike-Messe 2017, und alle entwickeln schon an der nächsten Generation 2020. „Skandalöse Fälle“ von unerfahrenen E-MTBern machen in der Presse und am Stammtisch die Runde, die von der Bergwacht „gerettet werden müssen“, doch auch das wird sich beruhigen und einpendeln. Wenn mehr Menschen E-Bike fahren, steigt auch der Anteil derer, die in der Natur, bei der Tourenplanung und Ausführung ihre Erfahrungen machen und besser werden. Eine Entwicklung, die wir Biker alle auch schon mitgemacht haben.
Technologisch gesehen tritt das E-MTB in eine neue Phase, in der es nochmals einen enormen Entwicklungsschub bekommen wird, der praxisorientierter denn je sein wird. Bisherige „Jugendsünden“ der letzten drei Jahre:
- zu niedrige Tretlagerhöhen
- Motoren, die schlecht dosierbar sind
- mangelhafte Geometrien und unausgewogene Federwegsverteilungen
- falsche Reifenwahl
- zu schwere Bikes über 22 kg
- schwache Bremsen
- mangelhafte Akkureichweiten
Designentwurf für ein E-MTB 2020
- integrierte Batterie und Stoßdämpfer in einem superleichten Carbonrahmen, Platz für eine Trinkflasche oder Ersatzbatterie für extreme Tagestouren über 2500 Höhenmeter
- Batterie über Bodendeckel herausnehmbar, Kapazität 750 Wh
- Minimalmotor, klein und leicht
- Upside-Down-Gabel mit Doppelbrücke aus Carbon: superleicht und sehr steif, sensibel ansprechend
- 200 mm elektrisch verstellbare Sattelstütze mit Neigungsausgleich für steile Auffahrten
- elektrisches Schaltwerk mit Längsschlitten = weniger exponiert, exakte Positionierung der Schaltrolle am Ritzel
Interview mit Lutz Scheffer
Du bist Mitgeschäftsführer von„Electric Mountain“. Was macht ihr genau?
Wir sind eine Ideenschmiede zum Thema E-MTB, leben und atmen das Thema. Mit unseren langjährigen Kontakten beraten wir Mountainbike-Hersteller beim Thema E-Zubehör, testen Motoren, Schaltungen, aber beraten beispielsweise auch Tourismusverbände und Regionen. Wir wissen sehr gut, was der sportliche E-MTB-Tourenfahrer will, weil wir selbst extrem viel biken. Wir haben die Berge Garmischs und Innsbrucks vor der Haustür.
Was ist an Entwicklung in den nächsten Jahre zu erwarten?
Die Fahrdynamik und der Fahrspaß mit dem E-MTB setzen einen modernen Mittelmotor und eine Vollfederung voraus. Andere Konzepte haben keine Bedeutung mehr. Was sich in den nächsten Jahren verfeinern wird, ist die noch bessere Drehkraft- und Kurbelumdrehungsmessung, um die Schnittstelle Mensch-Maschine noch feinfühliger zu machen. Das Bike kann einige Situationen noch nicht richtig erkennen und reagiert verzögert und ruppig. Was leider nicht zu erwarten ist, ist, dass die Batterietechnik sich in den nächsten fünf Jahren eklatant ändern wird. Die aktuellen Lithium-Ionen-Akkus werden noch längere Zeit Stand der Technik sein. Zukunftsbatterien, die auf dem Prinzip Lithium-Luft oder Lithium-Schwefel basieren, brauchen noch Jahre oder Jahrzehnte bis zur Serienreife. Zusätzlich werden größere Batterien bis 1 kW Einzug halten. Das Mehrgewicht wird durch Leichtbau mit Carbonrahmen ausgeglichen. Das E-MTB der Zukunft wird unter 20 kg wiegen. Zusätzlich wird es E-MTBs light mit kleinem Motor unter 15 kg geben (Anm: siehe Studie oben).
Kann das E-MTB am Wettkampfsektor das „normale“ Biken ablösen, wie viele befürchten?
Klassische MTB-Wettbewerbe wird es auch in Zukunft geben. Das richtige Format für ein E-MTB-Rennen muss noch gefunden werden. Ich persönlich fände es spannend, eine offene Profiklasse ohne Leistungs- und Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen. Nur eine einzige Regel muss streng vorgegeben werden: Die Rennmaschine darf nur maximal ein Drittel des Körpergewichts wiegen. Damit würde ein ungeahnter technologischer Wettbewerb einsetzen. Große Batterien und leichte Fahrer würden rein physikalisch betrachtet das Rennen dominieren. Schwerere Fahrer müssen eine Zeitbonifikation (Punktesystem) bekommen.
Wann wird das Thema E-MTB das Emotionale und Hitzige in der öffentlichen Diskussion verlieren?
Neue Sportarten und neue Technologien stoßen am Anfang immer auf Skepsis oder gar Ablehnung in der breiten Masse. Am Beispiel Ski: Ski fahren in den Bergen war vor 100 Jahren auch ein geächteter Schmarrn. Mit Brettern an den Füßen im Winter in die Berge? Oder generell Freizeitvergnügen in den Bergen? Vor 200 Jahren gehörten die Berge den fürstlichen und königlichen Jagdgesellschaften. Freizeitvergnügen in den Alpen gab es nicht. Ich hoffe, dass das E-MTB die Menschen wieder näher zur Natur bringt – weg von Liftanlagen und Massentourismus. Sanfter naturnaher Tourismus ist mit dem E-MTB absolut möglich. Meine persönliche Beobachtung ist: Je mehr Breitensport es wird, desto mehr Akzeptanz in der Bevölkerung hat das E-MTB. Einzelne „Schimpfer“, die sich in ihrer sportlichen Ehre gekränkt fühlen, wird es auch in Zukunft geben. Und es wird immer Menschen geben, die jegliche Fremdkraftunterstützung im Sport ablehnen.