200 Jahre Fahrrad, aber was bringt die Zukunft? Oder zumindest 2018? Wir haben uns in Friedrichshafen umgesehen.
von Christoph Heigl
Wre Carl von Drais vor Schreck vom Rad gefallen, wenn er die Neuheiten der Eurobike gesehen hätte? Bei den Zahlen sicher. 42.590 Fachbesucher aus 101 Ländern, 22.160 Fans am Besuchertag, 1654 Medienvertreter – und 1400 Aussteller aus 50 Ländern nutzten in Friedrichshafen (GER) die größte Fahrradmesse der Welt. Spektakuläre Neuheiten wurden präsentiert, echte Revolutionen waren aber nicht dabei. Zu neu ist noch das zentrale Thema, das E-Bike. Übrigens wollte im Jubiläumsjahr, 200 Jahre nach Drais’ Erfindung des Ur-Fahrrads („Draisine“), ein junger Reporter auf einem detailgetreuen Nachbau die Originalstrecke in Mannheim abfahren. Auf dem brettharten Holzrad gab er nach 400 Metern auf. Man müsse verstehen, die Familienplanung ...
1. AC/DC ROCKT
Die stromgetriebenen E-Bikes kleiden sich mittlerweile eleganter und setzen auf Integration: Die Antriebe von Brose, Shimano und Bosch können formschöner im Rahmen integriert werden, die Akkus sitzen im dicken Unterrohr. Bewusst weniger Power setzt der Hersteller Fazua ein, der mit weniger Leistung protzt (nur 250 Wh für 50 km Reichweite), damit aber entschlackte Räder unter zwölf Kilogramm möglich macht und den Evation-Antrieb im Sitzrohr entkoppeln kann. Auch Vivax bleibt mit dem leichten und „versteckten“ Motor im Rennen. Dazu präsentierten KTM und Haibike E-Bikes für Kinder ab 8 Jahren. Unser subjektiver Eindruck bei der Eurobike: Geht Radfahren ohne Strom überhaupt noch?
2. ANTRIEBSSTARKE MARKEN
Der Boom um motorisierte Räder bringt namhafte Hersteller neu ins Spiel. Aus der Motorrad-Szene geben im Windschatten von KTM jetzt Fantic und Husqvarna Gas, Reifenriese Pirelli produziert erstmals seit 25 Jahren wieder Fahrradreifen und Ferrari und Bianchi präsentierten in Friedrichshafen das erste gemeinsame Baby ihrer neuen Amore, das SF01, ein rotes (!) Bianchi-Rennrad um 15.000 Euro. Mamma mia! KTM verkündete die Partnerschaft mit Susanne Puello. „Wir wollen und werden die Technologieführerschaft übernehmen“, meinte sie auf der Eurobike. Unter PEXCO hebt man jetzt drei neue Marken aus der Taufe: eben Husqvarna (E-Bikes), Raymon (Mittelklasse) und im High-End-Bereich die Räder von „R2R“ (Ready to Race).
3. DIE SPEED DISKUSSION
Focus präsentierte das Elektro-Rennrad „Project Y“ mit Fazua-Antrieb, heimste dafür einen Eurobike-Award ein, brachte aber die hitzige Diskussion um die Geschwindigkeitsbeschränkung zum Vollbrand. Bis dato hört bei E-Bikes die Motor-Unterstützung beim Erreichen von 25 km/h auf. Viele fordern jetzt ein Hinaufsetzen des Limits auf 30, 33 oder 35 km/h, was die eher konservative Rennradszene zum Qualmen bringt. „Ich habe meine ganz private Meinung zu E-Rennrädern“, bremst der italienische Rennrad-Guru Danilo De Rosa.
Zusatzinfos: In Deutschland sollen laut Umfragen bis zu 50 Prozent aller E-Bikes auffrisiert und mit Tuning illegal bis zu 50 km/h schnell sein. Ein Kavaliersdelikt? Hersteller, Mechaniker und Kunden sind in der Zwickmühle, rechtlich bleibt vieles im Graubereich.
4. RAD-TOURISMUS 4.0
Dass der Tourismus eine Freude mit den vielen (und zahlungskräftigen) E-Bikern hat, ist nicht neu. Im Rahmen des Travel-Talks wurde aber deutlich, dass nach ersten Erfahrungen in Urlaubsdestinationen an der Qualitätsschraube gedreht werden muss. Weil es etwa nichts nutzt, wenn für die 80 E-Biker beim Tagesausflug tatsächlich 80 Ladestationen bereitstehen, genau um die Mittagszeit aber die Küche den vollen Strom für die Fritteusen braucht. International schießen die Trail-Netzwerke aus dem Boden: Am Beispiel Schottlands wurde ersichtlich, wie die cleveren Highlander ihre wildromantische Landschaft anpreisen, für alle öffnen (Wanderer sind mit Reitern und Radfahrern gleichgestellt) und damit Hunderte Millionen für den Tourismus lukrieren. Ein Vorbild für Österreich?
5. SCHLAUES FAHRRAD
„Smart Cycling“ bleibt ein Trend, der von der digitalen Routenplanung, Sicherheitssystemen und der Vernetzung von Fahrer und Rad alles umschließt. Es gibt Helme, die das Abbiegen mit LED-Lichtern am Kopfschutz anzeigen und im Falle eines Crashes eine Notruf-SMS absetzen, eine Sattelstütze, die beim Absenken gleichzeitig die Federelemente vorne und hinten auf „Downhill“ stellt, und Lichter und digitale Schlösser, die Dieben das Leben mit Bluetooth, GPS und Stinkbomben schwer machen. Für das Training auf der Walze gibt es neue Programme von Zwift, Elite, Tacx und 3-D-Brillen. Daneben der Retro-Trend: ohne Tacho, ohne GPS, ohne ABS. Einfach nur Radfahren.
6. DIE DEMOKRATISIERUNG DES RADES
Jeder darf und kann Radfahren. Mit oder ohne E-Rennräder werden weiter entschärft, für Normalsterbliche komfortabler, kürzer und mit breiteren Reifen besser gedämpft. Moderate Einstiegspreise ab 1000 Euro, Allrounder und Gravelbikes reizen Einsteiger. Mountainbikes locken mit moderner, fehlerverzeihender Geometrie (flache Lenkwinkel, langer Reach), Einfach-Schaltung (1x12), fetten Reifen und langen Federwegen ins schwere Gelände. Dazu gibt es alle erdenklichen Konstruktionen und Trends bei Stadträdern („Urban Bikes“) und den boomenden Cargo- bzw. Lasten-Rädern.
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