Was eine Gravel-Tour zur Gravel-Tour macht, wo der Unterschied zur Rennrad-­Runde liegt und wer womit glücklich werden könnte.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Mit dem Gravelbike hat die Welt der Drop-Bars – für alle weniger von Anglizismen beeinflussten Leser: Lenker, wie sie auch am Rennrad verwendet werden – eine neue Spielart des leichtfüßigen „Übers-Land-Schwebens“ für sich entdeckt. Wobei, streng genommen müsste man es als Wiederentdeckung feiern, war doch das Rennradfahren in frühen Jahren mangels breit geteerter Straßen und hautenger Lycra-Dressen eigentlich auch schon Gravelbiken. Bloß wussten die Marketingabteilungen damals noch nichts davon. Doch heute machen die Unterschiede in Geometrie, Reifenbreite und anderen Details auch unterschiedliche Tourenprofile möglich. Aber wie sieht sie nun aus, die Gravel-Tour? Und was unterscheidet sie von der Rennradausfahrt?

Wo ein Weg …
Typische Gravel-Touren finden (möglichst) abseits asphaltierter Straßen statt, führen oft über Schotter-, Wald- und Forstwege. Das Thema Gravel aber auf den Untergrund zu reduzieren, hält Christian Riedel vom Wörthersee-Rosental Tourismus für einen Fehler: „Faustregel wird sich keine finden, zumal einige Graveler vom MTB, andere vom Rennrad und wieder andere als Quereinsteiger aufs Gravelbike steigen. Somit ist manche Tour für den einen zu wenig technisch, für den anderen konditionell zu wenig fordernd.“
Als eine kategorisch strenges Kategoriendenken ablehnende Kategorie lassen Gravelbikes auf Tour so gut wie jeden Weg gelten, den der Fahrer und seine technischen Fähigkeiten für sich als Weg erkennen. Und da kann von Landstraße und Kopfsteinpflaster über Rad- und Güterweg bis hin zu Forststraße oder gar Singletrail alles dabei sein. Genauso vielfältig verhält es sich beim Profil. Von langen flachen Abschnitten bis zu anspruchsvollen Anstiegen und technischen Passagen kann hier alles vor die Räder kommen.

Am Rennrad hingegen sucht man typischerweise andere Untergründe. Ausfahrten konzentrieren sich auf Asphalt, bewusst oder unbewusst schwingt dabei stets irgendwie der Leistungsgedanke, die erzielte Geschwindigkeit mit. „Für mich persönlich geht es bei Rennradtouren ums Metermachen“, drückt es Gerald Oberreiter von Flachau Tourismus treffend aus. Um möglichst guten Untergrund unter die Reifen zu bekommen, nimmt man am Rennrad gerne mal etwas mehr Verkehr in Kauf, wobei in vielen Regionen breite, gut ausgebaute Radwege, einsame Güterwege und kleine Nebenstraßen ebenfalls eine Flucht vor LKWs und gestresstem Pendlerverkehr bieten. Ob lange steile Pässe, endlose Flach­etappen oder welliges Hügelland ist dabei reine Geschmacks- oder Trainingssache. „Rennradtouren ­leben von der Abwechslung“, weiß Christian Riedel. Und zwar „sowohl in der Selektivität der Strecke. Hundert Kilometer in der Ebene bei brütender Hitze und ohne Bäume beispielsweise – kann man machen und kann durchaus meditativ sein. Nachdem es ein Hobby ist, darf man aber auch schönere Alternativen wählen“, meint der Kärntner augenzwinkernd.

Von Pro und Kontra
„Aufgrund ihrer Geometrie und ihres Aufbaus sind Rennräder für hohe Geschwindigkeiten und lange Distanzen gemacht. Perfekte Kraftübertragung, dynamische bis aggressive Sitzposition, leichtes Gewicht. All das sind Aspekte, die fürs Rennrad sprechen“, sagt Gerald Oberreiter. Ein unschlagbares Feeling sei es, welches Thomas Schneider von Gravel.Tirol nur am Rennrad findet: „Schnelle Pässe, steile Anstiege: Rennradfahren hat für mich immer einen Hauch vom Profidasein.“ Auf unbefestigten Wegen stoßen Rennräder aber schnell an ihre Grenzen, was die Routenwahl einschränkt, teils landschaftlich schöne Ziele unerreichbar macht. Außerdem, so Schneider, ist man an die Straßen gebunden – und Autofahrer sind nicht immer rücksichtsvoll.

Am Gravel kommt man (von reinrassigen Renngeräten mal abgesehen) der entspannteren Geometrie und breiteren Reifen wegen auf glatten Untergründen mitunter etwas langsamer voran. Dafür bieten sie auch Einsteigern langstreckentaugliche Sitzpositionen und rücken durch ihre eher gemütliche Auslegung gerne mal den Genuss im landschaftlichen wie im kulinarischen Sinne in den Fokus. Eine Tatsache, die sich oft auch in typischen Gravel-Routen widerspiegelt. Gerald Oberreiter und Thomas Schneider schätzen am Gravel vor allem das Plus an Komfort gegenüber dem Rennrad. „Egal ob Schotter-, Wiesen- oder Waldweg – mit dem Gravelbike kann man in gewissem Maß alles bedienen und ist nicht auf perfekt ausgebaute Asphaltstraßen angewiesen“, so der Flachauer Oberreiter. „Außerdem gibt das Gravelbike mir die Sicherheit, überall hinfahren zu können, die Übersetzung lässt mir viel Spielraum bei der Streckenwahl“, ergänzt Schneider, der in seiner Heimat zwischen Lechtal und Zugspitz Arena ein breites Betätigungsfeld zum Graveln findet.

Welcher Typ bin ich?
Man mag es aus den letzten Zeilen wohl schon für sich selbst herausgelesen haben. Hier aber trotzdem nochmals eine kleine Typberatung für Unentschlossene. Rennradtouren lassen sich mit Rennrädern wie Gravelbikes gleichermaßen, wenn auch unterschiedlich schnell, bewältigen und genießen. Auf Gravelrouten, die gerne mal einen Abzweiger mehr mitnehmen, kann man je nach Untergrund mit dem Rennrad schnell mal an Grenzen stoßen. Wer sich aufs flotte Fahren und Leistung konzentriert, dabei glatten Asphalt präferiert, der wird auf klassisch ausgewiesenen Rennradtouren eher glücklich werden. Abenteuerlustige Biker, die gerne mal neue Wege erkunden möchten, Verkehr lieber meiden und gerne auch mal ausgesprochen entspannt ans Tagewerk gehen, sind mit den typischen ­touristisch vermarkteten Gravel-­Touren meist besser bedient.

An Gravel-Touren schätzt Christian Riedel den „Entdecker-­Faktor“. Mit ein Grund, weshalb man in der Region Wörthersee-Rosental die Lost Places mit jeder Menge kuriosen Geschichten und historischer Besonderheiten entlang der Touren initiiert hat. Und auch Gerald Oberreiter erkennt im Graveln einen Lifestyle, bei dem „das Abenteuer im Mittelpunkt steht“. Auch für ihn braucht eine Gravel-Tour eine Mischung aus ­unterschiedlichsten Wegen, die ihn vor allem an die abgelegeneren Orte rund um seine Heimat Flachau bringen. Gibt es dann noch eine geeignete Einkehrmöglichkeit, ist das Gravel-Glück fast perfekt.
Und die lange Rennradrunde? Auch die hat nach wie vor ihre treue Fangemeinde. Gerald Oberreiters Tipp: „Vermeide Hauptverkehrsrouten und plane deine Touren so, dass du möglichst außerhalb des Berufs- und Urlauberverkehrs am Bike sitzt.“ Und auch wenn Rennradfahrer gerne den Trainingsfaktor in den Fokus rücken: Ein kurzer Zwischenstopp auf Eis oder Espresso ist auch am Rennrad immer drin … 

Christian Riedel

verantwortet das Thema Rad-Marketing in der Region Wörthersee-Rosental

WEB: www.woerthersee.com

Gerald Oberreiter

kümmert sich für Flachau Tourismus um die Angebots- & Produktentwicklung im Bike-Bereich

WEB: www.flachau.com

Thomas Schneider

ist Gravel-Experte für die Region Gravel.Tirol.

WEB: www.gravel.tirol