Wolle ist gerade in der Outdoorbranche wieder total angesagt. Wie der Natur­rohstoff Bauern Wertschätzung, Geld und Tränen bringt und was ein Süd­tiroler Koch damit zu tun hat. Die etwas andere Materialgeschichte.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Stopp, sagt Oskar Messner. Er winkt die Wanderergruppe vom Steig in die Almwiese. „Die nächsten 20 Meter nur geradeaus schauen und nicht reden.“ Schritt für Schritt weicht die Verwunderung einer Bewunderung. Über der Kante erhebt sich jetzt die Geislergruppe, eine markante Felsformation in den Dolomiten, die das Grödnertal vom Villnößtal trennt. Der Anblick im weichen, spätsommerlichen Morgenlicht raubt einem den Atem. Mittendrin und besonders markant: die Furchetta mit ihrem Doppelgipfel, der an eine Gabel erinnert. Hier nimmt die Geschichte vom Brillenschaf, von Wolle und Fleisch, vom Entsorgen und Dingen einen Wert geben, kurz: von Nachhaltigkeit im Kleinen des Villnößtals und im Großen der Outdoorbranche ihren Ausgang. Denn Furchetta, das ist auch der Name, den Oskar Messner seinem Verein gegeben hat. Der hat sich zum Ziel gesetzt, das Villnößer Brillenschaf vor dem Aussterben zu bewahren. Mehr noch: ihm und den Bauern der Region wieder einen Wert zu geben. Darum sind wir hier herauf auf die Koflwiese gestiegen. Dort weidet das weiße Schaf mit den markanten schwarzen Ringen um die Augen, der „Brille“, den Sommer über – so wie früher. Und doch auch wieder zum ersten Mal. Denn seit 1972 hatten Schaf und Wolle keinen Wert mehr. „Die Bauern hatten schon Schafe. Aber die Wolle, die haben sie weggeworfen und sogar noch bezahlen müssen für die Entsorgung.“ 

Vor acht Jahren hat Messner dann seinen Verein gegründet. Nachhaltigkeit ist ihm ein Anliegen. Und dass das Villnößtal, „sein“ Tal, so ursprünglich erhalten bleibt. „Das ist eine Gratwanderung, denn einerseits müssen die Leuten von etwas leben können, andererseits sollen sie die Natur nicht ausbeuten.“ In dieser Zeit hat er auch aus der Bar seines Vaters im Ort ein Restaurant gemacht, das sich auf Lammgerichte spezialisiert hat. Das Brillenschaf sollte aber nicht nur Fleischlieferant sein. „Aus Respekt den Tieren gegenüber will ich, dass das gesamte Tier verwertet wird.“ Weil der Koch aber viel vom Fleisch, jedoch wenig von Wolle versteht, holt er sich Bauern ins Boot, garantiert ihnen einen Abnahmepreis für die Wolle und ruft einen Wollstammtisch aus, um das Produkt an den Mann zu bringen. Dort springt der Südtiroler Bergsportausrüster Salewa aus dem nur wenige Kilometer entfernten Bozen auf. Da die Unterstützung regionaler Kreisläufe ein zentrales Anliegen der Bergsteigermarke ist, wird das Unternehmen zu einem wichtigen Abnehmer. „Die Wolle der Südtiroler Brillenchafe ist robust. Wir verwenden das Naturprodukt als Isolationsmaterial und auch in Strick-Varianten“, sagt Alexandra Letts, bei Salewa verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit. Die Wolle der Brillenschafe reicht nicht für die ganze Kollektion.

Aus dem Grund mischt man die Furchetta-Wolle mit der Wolle von Tiroler Bergschafen. Die sogenannten Tirolwool-Produkte sollen Bergsteiger länger warm und trocken halten. Selbstläufer unter den Bauern ist das aber deswegen immer noch keiner. „Es war viel Überzeugungsarbeit bei den Bauern notwendig, dass sie sich auf die Schafzucht einlassen“, sagt Zuchtwart Günther Pernthaler. Über eine TV-Sendung wird er auf Sam und Rodney aufmerksam, zwei Schafscherer aus Neuseeland bzw. Australien. Als er sie ins Villnößtal holt, beäugen die Bauern die beiden Fremden und ihre Arbeit kritisch. „Die Burschen scheren ein Schaf in zwei Minuten“, sagt Pernthaler. Bei ihrer speziellen Technik legen sie das Schaf auf den Boden und drehen es immer weiter. „Als sie das zweite Mal da waren, haben schon einige gefragt, ob sie ihre Schafe auch bringen können.“ Dazu kommt, dass die Bauern alleine von der Schafzucht nicht leben können. Jungbauer Bernhard Profanter zum Beispiel ist hauptberuflich bei der Autobahnmeisterei. Auf seinem Blosegghof im St. Peter im Villnößtal züchtet er aber auch Brillenschafe. „Das ist leichter mit dem Beruf machbar als eine Milchwirtschaft. Denn das Melken kannst nicht ein paar Stunden verschieben und es dauert länger. Bei Woll- und Fleischzucht musst die Tiere ‚nur‘ füttern.“ Um den Sommer über sind viele davon ohnehin oben auf der Koflwiese. 
 

Als die Männer gesehen haben, dass aus etwas, das sie lange Zeit weggeworfen haben, wieder ein Produkt zum Angreifen, etwas mit Nutzen wird, hatten einige Tränen in den Augen. 
 

Oskar Messner, Spitzenkoch mit starkem Sinn für Nachhaltigkeit.

Zum ersten Mal seit 1972 übrigens. Um die 40 Schafe genießen den Almsommer, um die 400 sollten es einmal werden, wenn es nach Oskar Messner geht. Ein Sturschädel könne er schon sein, wenn er sich was in den Kopf gesetzt habe, sagt er am Rückweg von der Koflwiese und lächelt breit. Messner ist aber kein Fortschrittsverweigerer. Im Gegenteil. Die Bar des Vaters hat er deswegen in ein Restaurant verwandelt, weil er nicht stehen bleiben, sondern sich weiterentwickeln wollte. Neben Fleisch und Wolle würde er auch das Fell der Schafe gerben lassen. „Aber der nächstgelegene Gerber lebt in Kitzbühel und mit dem toten Schaf über die Grenze – keine gute Idee.“ 
Das Fleisch dagegen lässt sich leichter verkaufen. Wenn geschlachtet wird, ruft er Köche in der Umgebung an und bringt das Tier stückweise an den Mann. „Während ich in meiner Küche Risotto rühre, verkaufe ich das Fleisch.“ Rühren ist ein gutes Stichwort – wenn auch in einer anderen Bedeutung. Und das kam so. Aus der Schafwolle werden jetzt Teppiche, Filzpatschen, Hauben. „Als die Männer gesehen haben, dass aus etwas, das sie lange Zeit weggeworfen haben, wieder ein Produkt zum Angreifen, etwas mit Nutzen wird, hatten einige Tränen in den Augen“, erzählt Messner.

Mittlerweile gibt es auch schon eine Villnößer Häkelrunde, die aus dem Wollfaden Hauben herstellt. Auch die verkauft der Koch neben Kaminwurzen und Salami aus Schaffleisch in seinem Lokal. Von der Haube schwärmt er wie ein kleiner Bub. „Sie lässt Luft durch, ohne dass es kalt wird, und saugt den Schweiß auf.“ In der Verkaufsversion ist am unteren Rand ein weicher Stoff eingenäht. „Weil wir das Kratzige der Wolle nicht mehr gewohnt sind.“ Denn das Brillenschaf lebt im Gebirge, dort werden an die Wolle andere Anforderungen gestellt als in warmen Gegenden. „Die robuste Wolle kratzt, wenn man sie direkt auf der Haut trägt. Aus dem Grund haben wir sie anfangs rein als Isolationsmaterial verwendet. Wir schätzen diese Wolle sehr und möchten sie auch als spürbares Hauptmaterial einsetzen. Dafür muss die Wolle mit weicheren Wollqualitäten oder anderen Materialien gemischt werden. Bisher ist es uns bei Mützen und ein paar Jacken gelungen“, erklärt Alexandra Letts, die die Weiterentwicklung mitgestaltet. Wir sind gespannt, was sich Oskar Messner mit seiner „Furchetta“ und seinen regionalen Partnern in den kommenden Jahren noch alles in den Kopf setzt.

Oskar Messner
Oskar Messner

Spitzenkoch mit starkem Sinn für Nachhaltigkeit.