Lawinenairbags retten Leben. Wie die Hightech-Luftpolster funktionieren, welche Systeme derzeit erhältlich sind und was das Ganze mit Paranüssen zu tun hat, verrät uns der Tiroler Sport-2000-Fachhändler Josef Pramstaller.
Von Christoph Lamprecht
„Gerade bei den Jungen kann man ganz deutlich beobachten, dass das Tragen von Lawinenrucksäcken immer mehr zur Selbstverständlichkeit wird", weiß Hobbytourengeher Josef Pramstaller aus eigener Erfahrung zu berichten. Und der Tiroler muss es wissen, hat er als Inhaber von „Sport Seppl" in den Tiroler Top-Tourendestinationen Kühtai und Gries in der Wintersaison schon rein beruflich tagtäglich mit der Materie zu tun. „Mit den Airbags entwickelt es sich wie mit den Helmen beim Skifahren. Auf der Piste sind heute kaum noch Helmverweigerer zu finden – vor 15 Jahren hat das noch ganz anders ausgeschaut."
Warum sich die im Ernstfall oft lebensrettenden Rucksäcke noch nicht bei allen Tourengehern durchgesetzt haben, erklärt sich Pramstaller so: „Oft sind es gerade erfahrene Alpinisten, die keine Notwendigkeit für einen Airbag sehen. Die denken sich: Jetzt bin ich schon 20 oder 30 Jahre in den Bergen unterwegs, hab es bisher nicht gebraucht – warum soll ich jetzt damit anfangen?" Nachsatz: „Aber auch das wird sich mit der Zeit noch ändern. Weil es wirklich gute Argumente für Lawinenairbags gibt."
Die Sicherheit seiner Kunden liegt dem überzeugten Sporthändler spürbar am Herzen. So erhalten zum Beispiel Nachwuchsskifahrer in den Sport-Seppl-Filialen zu jedem Leihski prinzipiell einen kostenlosen Leihhelm. Und auch bei den Leihairbags, die inzwischen ebenso unkompliziert bei vielen Sportgeschäften erhältlich sind (zu ähnlichen Preisen wie Leihski), geht man im Sellraintal auf Nummer sicher. „Wir verwenden eine eigene Probekartusche, um jeden Airbag vorzuführen bzw. zu testen", erklärt der Tiroler – „bei uns geht kein Rucksack ohne vorherige Probe raus!"
DIE NUSS BLEIBT OBEN
Dass Lawinenairbags funktionieren, ist inzwischen hinreichend bekannt. Warum sie funktionieren, schon weniger. So herrscht teils noch der Irrglaube vor, dass die Luftpolster ähnlich wie bei einer Rettungsweste für Ertrinkende wirken. Tatsächlich ist die Angelegenheit etwas komplexer: Um sich in sich bewegenden Schneemassen an der Oberfläche halten zu können, ist das richtige Verhältnis von Gewicht und Volumen essentiell. Aufgrund unserer (in diesem Fall ungünstigen) Physiologie werden Menschen in der Regel von Lawinen verschüttet. Airbags sorgen dafür, dass sich das Volumen des menschlichen Körpers dementsprechend vergrößert, sodass man tendenziell oben bleibt, zumindest aber weniger tief verschüttet wird. Physiker sprechen dabei vom sogenannten „Paranuss-Effekt". Dem Namen liegt ein simples Experiment zugrunde: Schüttelt man eine Müslimischung, bleiben größere Teile – wie eben die Paranüsse – an der Oberfläche, kleinere hingegen sinken ab.
Ist die Lawine bereits in Bewegung, gilt es, den Airbag so schnell wie möglich auszulösen, um seine Chancen, nicht verschüttet zu werden, zu erhöhen. Pramstaller warnt eindringlich: „Damit das im Ernstfall auch funktioniert, führt kein Weg an der grundlegenden Materialkunde vorbei. Wenn man in einer Gefahrensituation noch lange überlegen muss, kann das dramatische Folgen haben. Deshalb gibt es bei uns immer die notwendige Einschulung. Alles andere wäre meiner Meinung nach verantwortungslos."
Aber auch der Vorstellung, dass das Mitführen eines Lawinenairbags plus das Wissen um dessen korrekte Handhabung im Fall des Falles schon ausreichen, um das Schlimmste zu verhindern, erteilt der ausgebildete Skiführer eine deutliche Absage: „Ein Airbagrucksack allein ist noch keine Sicherheitsausrüstung. Auch LVS-Gerät, Sonde und Schaufel gehören beim Tourengehen unbedingt dazu, weil die Zeit, bis ein Verschütteter entdeckt wird und befreit werden kann, über Leben und Tod entscheidet."
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AUSWAHL GROSS WIE NIE
Dass sich der Skitourensport österreichweit seit Jahren deutlich steigender Beliebtheit erfreut, spiegelt sich auch im Umfang der aktuellen Produktpaletten der Hersteller von Lawinenairbags wider. „Wie bei Skiern, Stöcken und Bindungen geht der Trend bei Airbagrucksäcken in Richtung Leichtigkeit. Derzeit stehen Carbonstatt der sonst üblichen Stahlkartuschen hoch im Kurs. Logisch: Keiner will schleppen, was er nicht unbedingt braucht", sagt Fachhändler Pramstaller, der in seinen Filialen auf Modelle von Mammut, ABS und Scott setzt.
Die bisher fünf großen Airbaghersteller, zu denen neben den eben genannten auch Black Diamond (gemeinsam mit Konzerntochter Pieps) und BCA zählen, bekommen heuer Konkurrenz von Ortovox, Arcteryx und Arva, die erstmals ein eigenes Airbagsystem auf den Markt gebracht haben. Andere Rucksackspezialisten wie beispielsweise Deuter oder Vaude kaufen ihre Auslösesysteme hingegen zu.
VERSCHIEDENE SYSTEME
Die Technik hinter den Sicherheitssystemen ist von Anbieter zu Anbieter verschieden. Marktführer ABS setzt wie die meisten Hersteller auf Druckgaspatronen und sein Twinbag-System, das auch bei den Rucksäcken von Deuter zum Einsatz kommt. Alleinstellungsmerkmal sind dabei die zwei separaten Airbags. Mit dem aktuellen P.RIDE von ABS gibt es zudem erstmals einen Lawinenairbag am Markt, der serienmäßig per Funk auch von Begleitern ausgelöst werden kann.
Ortovox wiederum verspricht für seinen ersten Rucksack mit selbst entwickeltem Lawinenairbag, den neuen Avabag, ein auslöseoptimiertes Design. Das mit einem ISPO-Award ausgezeichnete Sicherheitssystem wiegt außerdem gerade einmal 640 Gramm bei einem Volumen von bloß 1,8 Litern.
Die sogenannte JetForce-Technologie, ein wiederaufladbares elektronisches System mit Düsenstrahl-Befüllung, kommt bei Black Diamond zum Einsatz. Sie ist das Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit mit LVS-Gerät- und Sondenspezialist Pieps, der bei seinen Rucksack-Modellen auf ebendiese Technologie zurückgreift. Mit diesem System kann der Airbag beliebig oft ausgelöst und so auch für den Ernstfall trainiert werden.
Der Experte | JOSEF PRAMSTALLER ist staatlich geprüfter Skiführer, Hobby-Tourengeher und Inhaber von Sport Seppl mit SPORT-2000-Fachgeschäften in Gries und Kühtai, Tirol. WEB: www.sport-seppl.at |
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