Der beste Einstieg in den Skitourensport ist der Besuch eines Lawinenkurses oder Skitourencamps. Was man da konkret lernt und wie ein guter Kurs ablaufen sollte: Wir haben mit Kursleitern gesprochen. Und reingeschaut, was Einsteigern in Theorie und Praxis vermittelt wird.
Von Christof Domenig
Freitagabend auf einer steirischen Berghütte: Beim Essen und einem Glas Wein lernt sich die kleine Gruppe Männer und Frauen kennen. Gemütlich ist es, doch der Anlass mahnt zur Aufmerksamkeit: Die Skitouren-Neulinge wollen an diesem Wochenende wichtige Einblicke in alpine Gefahren und Lawinensicherheit erhalten. Und bevor es gemeinsam auf Tour geht, muss die Tour erst einmal geplant, müssen Wetterprognosen und der Lawinenlagebericht gecheckt werden.
Die eine oder andere Anekdote von vergangenen Touren zu erzählen, geht sich für die Teilnehmer zwischendurch schon aus – aber wie, bei einem „Einsteiger"-Kurs? Kein Widerspruch, findet Kursleiter Marcellus Schreilechner. „Viele gehen erst einmal jahrelang auf Skitouren mit und wollen sich dann zum selbstständigen, risikobewussten Selbststun weiterentwickeln. Es ist gar nicht selten, wenn jemand jahrelang unterwegs war, aber noch nie eine Tour selbst geplant, die Gefahrenbeurteilung stets anderen überlassen hat. Oder die Hausstrecke nie verlassen hat."
Wichtig ist aber eine kritische Selbsteinschätzung: „Diese ‚Mitgeher' empfinden sich meist selbst nicht als Einsteiger, haben oft eine gute Skitechnik und Ausdauer. Aber was das Sicherheitsthema betrifft, sind sie in einem Einsteigerkurs richtig." Der Eröffnungsabend dient auch dem Kennenlernen: „Ein guter Ausbilder hat ein breites Portfolio an Themen mit und passt sich bei jedem Kurs an den Wissensstand der Gruppe an. Es gibt einen Leitfaden fürs Wochenende – aber was jeweils umgesetzt wird, schaut von Kurs zu Kurs anders aus", sagt Schreilechner.
DIE EXPERTEN | |
DR. MARCELLUS SCHREILECHNER aus Trofaiach (St) ist Geologe, staatl. gepr. Berg- und Skiführer, Alpinsachverständiger, Bundesreferent für Bergsport bei den Naturfreunden Österreich. Web: www.alpinimpuls.at | MAG. THOMAS LIPPITSCH ist Psychologe, staatl. gepr. Berg- und Skiführer, Geschäftsführer der Alpinschule highlife in Klagenfurt. Web: www.highlife.co.at |
DEFIZITE BEI DER VERSCHÜTTETENSUCHE
Beim Kärntner Berg- und Skiführer Thomas Lippitsch dauern Einsteigerkurse üblicherweise sogar ganze drei Tage. „Grundkenntnisse in Geländeskifahren sollten vorhanden sein – diese Fertigkeiten kann man sich zuvor auch in einem Tiefschneetraining aneignen." Die drei Tage werden zum Großteil in der Natur verbracht und im Schnitt 500 bis 600 Höhenmeter pro Tag zurückgelegt; dazwischen wird immer wieder geübt und erklärt. Ganz ohne Theorie geht es nicht: „Je nach Wissensstand der Gruppe gibt es Vorträge zu den Themen Schnee und Lawinenkunde, Gefahrenmuster, Interpretation des Lawinenlageberichts. Selbstverständlich Tourenplanung und Wetterkunde", zählt Lippitsch auf.
Zum Theorieteil gehören auch die Grundlagen der Verschüttetensuche. Apropos: In Kursen für Fortgeschrittene wundert sich der Kärntner oft, „wie schlecht der Umgang mit dem LVS-Gerät auch von Leuten beherrscht wird, die schon jahrelang unterwegs sind." In all seinen Kursen ist für Lippitsch der praktische Umgang mit dem LVS-Gerät daher sehr wichtig. Da geht es auch darum, den Teilnehmern eine Ahnung vom Stress einer Notfallsituation mitzugeben. „Die Praxis zeigt auch, dass es unbedingt notwendig ist, dass jemand die Initiative ergreift und die Suche koordiniert – sonst irrt jeder eigenständig herum und es geht wertvolle Zeit verloren. Das versuche ich meinen Teilnehmern immer bewusst zu machen."
JEDER SOLL EINMAL SPUREN
Zurück in der Steiermark, Samstag, 7 Uhr früh: Die Gruppe um Marcellus Schreilechner gleicht am Ausgangspunkt die Umgebung mit der Karte und die tatsächlichen Verhältnisse mit den erwarteten ab. „Eine Karte zu lesen, ist für manchen komplettes Neuland." LVS-Check und los. „Jeder soll einmal selber spuren, den Schnee fühlen, beobachten. Da geht es noch nicht ums Interpretieren und um Schneekunde, sondern darum, ein Gefühl zu entwickeln". Wer immer nur einer Spur nachgeht, nimmt sich die Chance, selbst zu beobachten und zu lernen – das ist eine von Schreilechners Kernbotschaften. Und: Es wird auch in den Schnee hineingegraben, „Mit der Schaufel einen halben Meter oder Meter reinstechen, Schichten sehen, angreifen. Den kleinen Blocktest zeigen. Auch da muss man noch nicht viel interpretieren." In der Beobachtung stecke viel Potenzial, sagt Marcellus Schreilechner, „Schnee muss man gesehen und angegriffen haben, um ihn zu verstehen."
NICHT EINFACH HINTERHERLAUFEN
Auch Thomas Lippitsch wirft mit seinen Gruppen an interessanten Stellen Blicke in den Schnee, „um Gefahrenmuster erkennen und verstehen zu lernen". Wie man eine Aufstiegsspur anlegt, erschließt sich ebenfalls erst richtig in der Natur. Genauso wie man Geländefallen erkennt. Und vieles mehr: „Bei den Übungstouren werden die theoretischen Inhalte aus den Vorträgen praktisch erfahren."
Was der Kärntner auch jedem unerfahrenen Skitourengeher mitgeben will: „Wer ohne professionelle Führung unterwegs ist muss sich mit der Materie beschäftigen, da er sonst sein Risiko nicht einschätzen kann." Drei Kurstage legen eine gute Wissensbasis – aber sie sollen vor allem auch zum Weiterlernen motivieren. „Ich rate auch davon ab, anderen Tourengehern unreflektiert hinterherzulaufen, da man sich prinzipiell nicht sicher sein kann, wie groß die tatsächliche Fachkenntnis oder die Risikobereitschaft von anderen ist. Ausnahme: Man engagiert sich einen geprüften Berg- und Skiführer."
ERST DIE PRAXIS, DANN DIE THEORIE
Einen guten Wissensvermittler in Lawinenkursen erkenne man auch daran, dass er auf seine Gruppe eingeht, sie weder über- noch unterfordert. Und die Aufnahmefähigkeit im Auge behält, sagt Marcellus Schreilechner. Ist es kalt, sind die Teilnehmer hungrig oder durstig, dann sinkt die Aufmerksamkeitsspanne. Was der Steirer für sich im Lauf der Jahre auch gelernt hat: Entgegen vielen anderen Kursveranstaltern startet er lieber im Freien und schließt seine Wochenendkurse Sonntagnachmittags im Lehrsaal ab. „Bei einer vorangestellten Powerpoint-Präsentation ist das Vorstellungsvermögen endenwollend. Aber wenn man den Schnee davor auch in der Hand gehabt hat, dann die Theorie nachgeschoben wird – dann bleibt meistens wirklich etwas hängen. Und weckt Interesse, tiefer in die Materie einzutauchen."
VERANSTALTER VON LAWINENKURSEN | |
|
|
Auch interessant ...