Mindestens 700.000 Nichtschwimmer gibt es in Österreich schon und die Sperren durch Corona haben die Lage noch verschärft. Schwimmen als echter Breitensport boomt andererseits.

Christof Domenig
Christof Domenig


Dass immer weniger Menschen das österreichische Kulturgut Skifahren erlernen und hochhalten, wird oft beklagt. Vom Schwimmen ist vergleichsweise wenig zu hören. Schwimmen zu können, kann im Gegensatz zum Skifahren im Ernstfall aber Leben retten.

Das Kuratorium für Verkehrssicherheit hat jedenfalls im Jahr 2019 erhoben, dass sich 700.000 Menschen ab 5 Jahren in Österreich als Nichtschwimmer deklarieren. Das sind acht Prozent der Bevölkerung. Jeder Fünfte schätzte bei der Befragung die eigenen Schwimm-Skills als sehr unsicher bis maximal mittelmäßig ein. Das alles war freilich noch vor der Corona-Pandemie. Durch gesperrte Schwimmbäder (mit Ausnahme des Spitzensports) sowie ausgefallene Kurse hat sich die Lage naturgemäß weiter verschärft, sodass manche Schätzungen schon von annähernd einer Million Nichtschwimmer sprechen. Im April 2021 haben Vertreter der österreichischen Schwimmschulen auf den Ernst der Lage aufmerksam gemacht und sich mit einer Petition an die Bundesregierung gewandt unter dem Titel: „Lasst uns wieder schwimmen lernen“.

Für Corona und notwendige Maßnahmen kann freilich niemand etwas. Aber wie schon erwähnt: Das Problem besteht und ist schon lange vor Corona entstanden.

Gerade in Ballungszentren gibt es viel zu wenige überdachte Wasserflächen, die wenigen sind hoffnungslos überlaufen.

Mag. Herwig Reupichler, Sportwissenschafter & Triathlontrainer

Herwig Reupichler kennt die Problematik umfassend. Der SPORTaktiv-Experte ist nicht nur Sportwissenschafter, Triathlon- und Schwimmtrainer, sondern zugleich selbst Vater zweier kleiner Kinder und bei der Sportunion Steiermark für das Projekt „Kinder gesund bewegen“ verantwortlich. „Es ist ein Riesenthema für die Gesellschaft, wenn es nicht mehr selbstverständlich ist, schwimmen zu erlernen. Das ist nicht nur potenziell lebensgefährlich, sondern auch eine soziale Frage: Weil Nichtschwimmer automatisch aus vielen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen sind, vom Badeurlaub bis hin zu sämtlichen Wassersportarten.“

Woher die hohe Zahl der Nichtschwimmer kommt? Reupichler sieht mehrere miteinander verwobene Ursachen: einerseits, dass durch die zunehmende Zahl an Doppelverdienern Familienzeit knapper wird. Früher habe man Kindern neben dem Radfahren das Schwimmen ganz selbstverständlich im Familienverband beigebracht, heute werde dagegen vieles an die Schulen ausgelagert. „Um Kindern schwimmen beibringen zu können, muss du es aber selber gut können. Mittlerweile haben wir eine Elterngeneration, wo das eben nicht mehr selbstverständlich der Fall ist – da entsteht eine Spirale nach unten.“ Zum Zweiten sei im Bildungssystem mit Stundenstreichungen auch der Schwimmunterricht gekürzt worden. Früher hätten es Lehrer außerdem vielleicht mit zwei Kindern pro Klasse zu tun gehabt, die überhaupt nicht schwimmen konnten, jetzt seien oft halbe Klassen Nichtschwimmer. „Das ist dann nicht zu bewältigen.“

Doch über allem steht für den SPORTaktiv-­Experten vor allem ein Problem: ein eklatanter Mangel an Wasserfläche. Nicht Freiflächen, Bäder und Seen, die jetzt in diesem Sommer endlich wieder fleißig frequentiert werden können: Es geht um die Schwimmhallen. „Sie sind anders als Freibäder ganzjährig nutzbar. Gerade in Ballungszentren gibt es viel zu wenige überdachte Wasserflächen, die wenigen Bäder sind überlaufen.“ Werden Schwimmkurse angeboten, auch zum Beispiel Kraul-Einsteigerkurse für Erwachsene, seien diese in kurzer Zeit ausgebucht. „Aber man kann gar nicht mehr anbieten, weil die Infrastruktur fehlt.“ Ein österreichweites Konzept für Gratisschwimmkurse für alle steht übrigens im Regierungsprogramm. Reupichler hofft, dass im Sinne der Gesellschaft nun Geld in die Hand genommen wird, sobald die Pandemielage sich bessert. Aber nicht nur, um Kurse zu finanzieren, sondern vor allem, um Infrastruktur zu schaffen, die ganzjährig nutzbar ist.

Der Schritt zum sportlichen Schwimmen
Es gibt in Sachen Schwimmen aber auch eine andere Seite, und die ist wesentlich erfreulicher: Das sportliche Schwimmen hat in den vergangenen Jahren einen deutlichen Aufwind als Breitensportart erlebt. „Früher war Schwimmen in den Vereinen ein reiner Leistungssport. Durch den Triathlonboom und später das Open-Water- Schwimmen ist die Sportart viel breiter und wichtiger geworden. Open-Water-Bewerbe haben jetzt wirklichen Breitensportcharakter – wie man einen Halbmarathon oder 10-Kilometer-Straßenlauf läuft“, sagt Reupichler. „Wenn man ein bisschen kraulen kann, ist man schon dabei – und es kostet nicht viel im Vergleich zu einem Rennrad.“

Den Sprung vom Schwimmen, um sich über Wasser zu halten, zum sportlichen Schwimmen ist auch im vorgerückten Alter gut zu schaffen. Allerdings nur schwer ohne professionelle Anleitung. Ein wenig muss man dafür also investieren. Wer aber einen Platz in einem Kraulkurs für Anfänger ergattert, sollte die Gelegenheit am Schopf packen, denn die Benefits sind vielfältig. „Wenn man ein bisschen mehr kann als Brustschwimmen mit Kopf über Wasser, dann beginnt es richtig Spaß zu machen. Und ist dann auch eine irrsinnig gesunde Sportart. Brustschwimmen mit dem Kopf über Wasser – so, wie viele das Schwimmen verstehen – ist für die Halswirbelsäule ja an sich ungesund. Die gesunden Schwimmdisziplinen sind Kraul und Rückenkraul, weil hier die Wirbelsäule in einer linearen Position ist“, erklärt der Sportwissenschafter. 

Als Gesundheitssport habe das Schwimmen viele Vorteile, zum Beispiel gegenüber dem Laufen: „Es trainiert genauso die Ausdauer, man verbrennt viele Kalorien und es ist viel gelenksschonender, auch mit etwas Übergewicht. Man wird durchs Schwimmen auch beweglicher, der Rücken geht auf. Es schult die Koordination. Und es macht richtig Spaß – sobald man es eben ein wenig besser kann“, sagt der Experte. 

Wenn man ein bisschen mehr kann als Brustschwimmen mit Kopf über Wasser, dann beginnt es richtig Spaß zu machen.

Mag. Herwig Reupichler, Sportwissenschafter & Triathlontrainer

Rund zehn Stunden mit Trainer brauchen durchschnittlich Talentierte, um vom „Kopf-über-Wasser“-Bruststil zu einem brauchbaren Kraulstil zu gelangen. Übrigens: Richtiges, sportliches Brustschwimmen nach Lehrbuch ist koordinativ noch anspruchsvoller als Kraulen. Wichtig ist, dass man zwischen den Trainerstunden auch selbst das Gelernte einübt. „Nach zehn Stunden können die meisten mehrere Längen am Stück, also einige Hundert Meter kraulen.“ Ist man so weit, kann man auch einmal weiter in einen See rausschwimmen. Dabei sollte man als Einsteiger aber auf ein Sicherheits-Back-up achten: Im Sporthandel gibt es Bojen, die man beim Schwimmen mitzieht und an denen man sich zur Not (zum Beispiel bei einem Krampf) anhalten kann. Und man kann im Notfall auf sich aufmerksam machen.

„Wenn man es halbwegs kann, ist Schwimmen im See ein Traum: Eine Landschaft schaut ganz anders aus, wenn man vom See aus ans Ufer schaut. Das ist auf einmal eine ganz andere Perspektive“, sagt Reupichler auch. Wer so weit ist, für den ist die Teilnahme an einem kurzen Triathlon oder einem Einsteiger Open-Water-Schwimmen auch nicht weit weg – wie auch das Beispiel von Thomas Schwald (siehe SPORTaktiv Juni/Juli-Ausgabe 2021, S. 42f.) zeigt. Vor allem aber hat man sich eine gesunde sportliche Fähigkeit angeeignet, von der man vielfältig und bis ins hohe Alter profitiert.

Mag. Herwig Reupichler
Mag. Herwig Reupichler

ist Sportwissenschafter, Lauf- und Triathlontrainer in Graz, betreut ­Leistungs- und Freizeitathleten.

Web: www.sportpark-­athletik.at