Frostige Zeiten für die Laufgemeinde. Aber null Grad heißt nicht null Chance auf eine winterliche Laufeinheit. Die menschlichen „Kaltlaufeigenschaften“ sind nämlich von Natur aus besser, als viele glauben. Was wir hier wissenschaftlich beweisen wollen.
Ohne den „Science Busters“ Konkurrenz machen zu wollen – aber es ist schon bemerkenswert, was die Wissenschaft alles zum Thema „Laufen bei Kälte“ bzw. überhaupt „Sport bei Kälte“ herausgefunden hat. Ganz kurz gehalten, könnte man die allgemein gültige wissenschaftliche Empfehlung so formulieren: Laufen im Freien ist an „normal kalten“ Wintertagen kein Problem. Ja, es ist sogar sehr zu empfehlen! Zumindest wenn man gesund und fit ist, und wenn man vom Herbst in den Winter durchgelaufen ist. Der menschliche Körper ist nämlich anpassungsfähig.
Er kann sowohl bei außergewöhnlicher Wärme als auch bei Kälte auf Hochtouren arbeiten, wenn man ihm nur die Zeit zur Gewöhnung gibt. Und: Nicht nur die Ausdauer, auch das persönliche Temperaturempfinden ist bis zu einem gewissen Grad trainierbar.
So weit, so einfach. Taucht man aber tiefer ab in die Materie, so findet man viele Argumente, die eindeutig fürs Laufen im Freien sprechen, auch ein paar Einschränkungen – aber vor allem wertvolle Tipps, um „Frostschäden“ zu vermeiden.
„KALTLAUF“-STUDIEN
Bleiben wir zuerst bei den motivierenden Erkenntnissen: In den letzten Jahren wurden gleich eine Reihe von Studien, die sich mit dem Thema „Ausdauersport bei Kälte“ befassen, herausgegeben. Und ein paar davon wollen wir euch, auch als Motivationsschub für „Kaltläufe“, präsentieren.
- So haben zum Beispiel Bostoner Wissenschafter durch penible Auswertung von Marathon-Ergebnislisten herausgefunden, dass bei Temperaturen zwischen 1 und 10 Grad im Schnitt bessere Ergebnisse herausschauen als bei vermeintlich idealen Lauftemperaturen zwischen 10 und 20 Grad. Die Temperatur für Topleistungen liegt demnach bei 5 Grad.
- Laut Duke-Universität in North Carolina wirkt regelmäßiges Ausdauertraining bei Kälte viermal besser gegen depressive Stimmungen (also auch gegen eine Winterdepression) als medikamentöse Antidepressiva.
- Sportwissenschafter der Unis Dortmund und Münster schickten Sportler regelmäßig für zwei Minuten bei einer Temperatur von minus 120 Grad in die Kältekammer, bevor diese ihr gewohntes Training absolvierten. Tatsache: Über längere Zeiträume konnten deutliche Leistungssteigerungen festgehalten werden.
- Etwas abseits vom Kern des Themas, aber trotzdem erwähnenswert: Saarbrückener Wissenschaftler untersuchten die Auswirkung von „Eisbädern“ (in einer mit Eiswürfeln gefüllten Badewanne) auf die Regeneration. Zumindest in der Mannschaftssportart Fußball und bei kurz aufeinanderfolgenden großen Belastungen wurden positive Effekte bewiesen.
DER KÖRPER ALS HEIZ-KÖRPER
Es gibt natürlich auch klare Begründungen dafür, warum Laufen und überhaupt Ausdauersport bei Kälte sogar besser funktionieren soll als bei hohen Außentemperaturen. Vereinfacht erklärt: Bei körperlicher Anstrengung wird bekanntlich Wärme im Körper produziert. Und wenn es draußen warm oder gar heiß ist, muss der Körper diese überschüssige Wärme umständlich loswerden – was einen zusätzlichen Aufwand bedeutet und die Herzfrequenz ansteigen lässt. Ist es dagegen kalt, kann der Körper die entstehende Wärme einfach dazu verwenden, um sich vor dem Auskühlen zu schützen.
Und noch ein Erklärungsansatz, warum tiefe Temperaturen höhere Leistungen erzeugen können: Zur Kühlung der Körperoberfläche wird bei hohen Temperaturen Blut durch die Haut geschickt, das dann aber in der arbeitenden Muskulatur abgeht.
Aber einmal abgesehen vom Leistungsdenken: Studien besagen ganz klar, dass Menschen, die im Winter im Freien Sport betreiben, weniger oft an Erkältungskrankheiten leiden. Verglichen mit völligen Sportverweigerern ließe sich demnach die Infektrate sogar um 50 Prozent senken. „Und wenn die Sportler einmal eine Verkühlung erwischen, dann dauert der Heilungsprozess im Schnitt nur halb so lang“, sagt eine Untersuchung der Appalachian State University. Die Theorie dahinter klingt ähnlich wie fürs Saunieren oder fürs Wechselduschen: Setzt man den Körper regelmäßigen Temperaturunterschieden aus, dann fördert das die Durchblutung – und stärkt so das Immunsystem.
NICHT AN GANZ KALTEN TAGEN
Aber, wie eingangs erwähnt, es gibtnauch ein paar Einschränkungen. Ganz generell gelten Temperaturen ab etwa minus 15 Grad als grenzwertig für die Sportausübung im Freien. Ab minus 20 wird endgültig davon abgeraten. Nicht umsonst werden auch Skirennen bei solch extremer Kälte abgesagt. Die Begründung: Einerseits ist es problematisch, dass kalte Luft den Schleimhäuten Feuchtigkeit entzieht und Bronchien sowie Lungengefäße reizt. Und damit wird man wiederum anfälliger für Infekte. Das gilt umso mehr, je kälter es ist.
Aber auch bei weniger arktischen Temperaturen gilt für Freiluftläufer schon die „Frostschutz-Empfehlung“: Durch die Nase atmen, damit die Luft „vorgewärmt“ wird. Das ist auch mit ein Grund, warum üblicherweise bei Kälte dazu geraten wird, das Lauftempo zu drosseln. Denn je größer die Anstrengung, desto tiefer wird die Luft in die Lunge eingesaugt – und desto eher geschieht das durch den Mund.
Ein Tipp dazu: Läufern, die schon bei langsamem Tempo mit der Nasenatmung auf Kriegsfuß stehen, kann ein vor dem Mund getragener Schal oder ein Tuch aus Funktionsstoff helfen.
WENN DIE MUSKELN ZITTERN
Ein weiterer Grund, warum bei sehr tiefen Temperaturen vom Laufen abgeraten wird: Auch mit bester Winterlaufbekleidung kommt der Körper irgendwann mit der Wärmeproduktion nicht mehr nach. Wer vor Kälte zittert, obwohl er sich bewegt, flüchtet lieber zurück ins Warme. Denn das Zittern ist eine unwillkürliche Muskelkontraktion zur Wärmeproduktion – ein Notprogramm mit letztlich hohem Energieverbrauch und wenig Wärmeausbeute. Da bleiben zum Laufen dann kaum Energieressourcen übrig – ganz abgesehen davon, dass es ohnehin keinen Spaß macht, bibbernd durch die Landschaft zu joggen. Aber auch hier gibt es eine Ausnahme: Unmittelbar nach dem Verlassen des Hauses kann man durchaus leicht frösteln, weil es sonst beim Laufen zu heiß wird.
Wichtig: Bei der Temperaturbewertung auf den Windchill-Faktor nicht vergessen! Ein Beispiel: Bei 20 km/h Wind werden minus 5 Grad am Thermometer zu minus 16 Grad und bei 30 km/h sogar zu minus 20 Grad. Und das nicht nur „gefühlt“ – sie wirken sich auch so eisig-kalt auf den Körper aus.
EINFACH AUSPROBIEREN
Eines noch: Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Kälteempfinden nicht nur trainierbar und Gewöhnungssache ist, sondern auch eine Typfrage. Nicht jede und jeder ist als „Cool Runner“ geboren – da heißt es: Teste selbst, wie es sich anfühlt beim Laufen in der Kälte. Denn eines ist auch klar: Man muss nicht aus allem eine Wissenschaft machen, sondern kann auch einfach rausgehen und losrennen ...