So hat es Tradition: Rechtzeitig vor Saisonbeginn wird von den Experten bei den Skitourengehern eingemahnt, ihre Lawinen- und Sicherheitskenntnisse zu überprüfen und am besten einen Lawinenkurs zu absolvieren. Machen wir hier auch. Zuerst aber wollen wir eine Geschichte erzählen – die euch mehr über zeugen sollte als tausend gute Argumente.

Die Erfahrung am eigenen Leib macht aus einer Binsenweisheit ein Lebensmotto. „Die Natur ist stärker als der Mensch.“ Bei Peter Sodamin aus Trieben in der Steiermark klingen diese Worte nicht wie ein dahergesagter Kalenderspruch. Bei diesem Satz spürt man, dass er ihn erlebt und erlitten hat. „Den 20. Jänner 2013, den werd ich nie mehr vergessen“, sagt Peter und vor seinen Augen beginnt der Film wieder zu laufen: Gemeinsam mit seiner Frau Silvia und vier Freunden macht er sich an diesem Sonntag auf zu einer Skitour Richtung Triebenkogel. Aufgestiegen wird auf einem Forstweg, weil es gemütlicher ist. Und sie sind nicht die ersten, im mäßig steilen Gelände ist schon eine tiefe Spur gezogen.
Trotzdem geht die kleine Gruppe nicht dicht hintereinander, sondern in weiten Abständen. „Eigentlich mehr intuitiv“, sagt Peter – „das hat sich einfach so ergeben.“ Der Himmel am späten Vormittag ist bewölkt, weiter oben wirbelt der Wind Schneefahnen durch die Luft, im Wald selbst ist es nahezu windstill. Aber mit einem Schlag ist alles anders. „Der Weg bewegt sich“, sagt Silvia Sodamin plötzlich. Mehr nicht. Dann reißt sie blitzartig ein Schneebrett 15 Meter weit mit, verschüttet sie komplett. Und Peter Sodamin, der sich zu seiner Frau umdreht hat, schreit: „Das ist doch ein Albtraum!“
Aber dann, nach dem Schreck der ersten Sekunden, greift sofort die Routine in dieser Gruppe von erfahrenen Tourengehern: Blitzartig wird als erste Aktion einen Notruf abgesetzt, der Hubschrauber der Bergrettung alarmiert. Dank der Lawinen-Piepser und mit Hilfe seiner Tourkollegen kann Peter seine Frau sofort orten, gemeinsam graben sie in die Schneemasssen und finden Sylvia in einem Meter Tiefe. Sie ist bei Bewusstsein, hat Kopfschmerzen und eine Knieverletzung – mit dem Hubschrauber wird sie später ins Spital geflogen ...

LAWINENABGANG AUF FORSTWEG!
Ein glimpflicher Ausgang einer Geschichte, die auch ganz anders hätte enden können. „Dieses Erlebnis hat uns allen wieder einmal vor Augen geführt, dass es auf Skitouren immer ein Restrisiko gibt“, sagt auch Paul Sodamin, Peters Bruder und als Berg- und Skiführer ein ausgewiesener Lawinenexperte.
„Die Lawinengefahr an diesem Tag war mit 2 als niedrig eingestuft. Am Vortag hatte es bei herrlichem Winterwetter noch minus 8 Grad. Alles im grünen Bereich.“ Ein radikaler Wetterumschwung aber hat den Lawinenabgang auf dem Forstweg ausgelöst.
„Wer dann sagt, dass er das vorhergesagt hätte, der hat keine Ahnung“, sagt Paul Sodamin. Seit Jahrzehntengeht er mit Gruppen auf den Berg, führt Skitouren – und vor allem: Er erklärt ständig den Leuten, wie sie sich zu verhalten haben, damit sie in keine Lawine kommen. Und was zu tun ist, wenn es doch passiert.
Heute, nach diesem Erlebnis in seiner Familie, weiß Paul aber mehr denn je: „Das Wichtigste ist, Lawineneinsätzeunter Druck, unter Stress zu üben!“ Denn werden Personen verschüttet, ist größte Eile geboten – nach ein paar Minuten schon kann es zu spät sein. „Deshalb muss bei mir im Kurs jeder nach drei Minuten das vergrabene Suchgerät gefunden haben, sonst kommt er nicht durch“, sagt Paul.
In seinen zweitägigen Kursen sind die Teilnehmer 20 Stunden mit dem Thema befasst. Sie lernen den Umgang mit der Schaufel, dem VS-Gerät und der Lawinensonde. Und sie sehenauch Bilder von Verschütteten, von Menschen, die nur noch tot geborgen werden konnten. „Ich war vor über 20 Jahren der erste, der damit angefangen hat.“ Sein Motto war: Aus Fehlern lernen. „Ich habe jeden Lawinenunfall in der Steiermark analysiert und mit Fotos dokumentiert. Bilder von Verschütteten zu zeigen, hat damals für große Aufregung gesorgt.“ Die Analysen hat er in seine Kurse eingebaut, „heute sind solche Dinge Standard bei gutem Risikomanagement“. Die Leute sollen sehen, was passieren kann, denn generell überschätzen sehr viele sich selbst und ihre Fähigkeiten – eine der größten Gefahren in den Bergen.“

BILDER ALS AUFREGER
Und natürlich gibt es die drei „S“, die auf einer Skitour unabdingbar sind: Schaufel, Sonde, Suchgerät. „Ohne diese drei Dinge braucht gar keiner eine Tour gehen. Egal, bei welchem Wetter, egal, bei welcher Warnstufe.“ Was Paul seinen Leuten in den Kursen noch beibringt: „Einer muss immer das Kommando übernehmen und zwar sofort.“
Der Rest ist Übung. Am besten einmal pro Saison – unabhängig davon, ob Touren-Neuling oder nicht. Denn zum Glück müssen die meisten der Tourengeher das Erlernte nie im Ernstfall umsetzen. „Aber Praxis braucht man trotzdem und darum die Übungen.“
Auch Lawinenrucksäcke, sogenannte „Lawinen-Airbags“ werden für Paul Sodamin in ein paar Jahren zum Standard gehören – „eigentlich ein Muss für jeden Freerider“. Zieht man in der Lawine den Airbag rasch genug, wird man nicht so tief verschüttet und die Überlebenschancen steigen an. Aber auch diese Handhabung muss man üben. Einmal im Jahr empfehlen Experten, den Airbag zu ziehen – die paar Euro für den Tausch der Kartusche sind es allemal wert, für das eigene Leben investiert zu werden.

VERÄNDERUNGEN BEOBACHTEN
Das sind lauter Punkte, die eben in Lawinenkursen behandelt werden. Genauso, wie man einen Hang vor der Einfahrt prüfen kann, indem man die Schneekristalle in den verschiedenen Schichten mit einer Lupe untersucht. „Durchaus sinnvoll“, sagt Paul, auch wenn das eher einem Profi vorbehalten ist. „Das Beobachten der Veränderungen im Schnee und das Entwickeln eines Gespürs während des Gehens ist immer eine spannende Geschichte für mich. Aber das Tückische ist, dass es schon 100 Meter weiter wieder ganz anders sein kann.“ Minimieren kann man das Restrisiko aber in jedem Fall mit einer exakten Routenplanung, die nicht nur das Ziel, sondern vor allem Wettervorhersage, Lawinenlagebericht und eben Beschaffenheit der Route miteinbezieht.
Auch wenn die ganz großen Staublawinen, die ganze Täler verwüsten, selten sind – auch kleine Schneebretter können zur Todesgefahr werden: „Setz dich einmal mit zwei Scheibtruhen voll Schnee in eine Industrie-Mischmaschine und schalte sie 15 Sekunden lang ein. Da wirst du mit einer Tonne Schnee herumgewirbelt.“ Im Klartext: Ersticken allein ist nicht die einzige Gefahr in einer Lawine. Auch die mechanischen Verletzungen können tödlich sein – „jeder Baumstumpf kann dir da das Genick brechen.“
Um dieses Problem zu lösen, hat Paul Sodamin eine Vision. „Vielleicht wird man in Zukunft eine Art mobilen Schleudersitz dabei haben, der einen auf Knopfdruck nach oben schießt und man dann am Fallschirm über der Lawine zu Boden gleitet.“ Klingt verrückt und ist auch alles andere als spruchreif. „Aber als ich mit dem Üben unter Stress begonnen habe, haben mich auch alle für verrückt gehalten. Und heute macht das jeder.“ Man lernt eben nie aus. Und das ist so etwas wie Paul Sodamins Lebensmotto im Kampf gegen die Gefahren am Berg.

NOCH FEHLT DAS VERTRAUEN
Noch einmal zurück zum Erlebnisvom 20. Jänner: Peter Sodamin ist gleich nach dem Unfall am Triebenkogel wieder eine Tour gegangen. „Aber wenn ich heute höre, dass irgendwo eine Lawine abgegangen ist, hoffe ich, dass alles gut gegangen ist.“ Seine Frau aber begleitet ihn noch nicht wieder. „Obwohl sie sich damals, komplett verschüttet unter dem Schneebrett, ganz sicher war, dass ich sie finden würde.“ Weil sie wusste, dass er gut ausgebildet und gut ausgerüstet war. „Ich wünsche mir natürlich“, sagt Peter, „dass sie wieder Vertrauen findet und wieder auf Tour gehen kann.“
Er zeigt ein Bild eines Skitourengehers vom Lahngangkogel: Strahlender Himmel, glitzernder Schnee, Natur pur, soweit das Auge reicht. „Damit versuche ich, meine Frau zu motivieren.“ Aber allen Verlockungen zum Trotz weiß er eben aus eigener Erfahrung, dass im freien Gelände immer ein Restrisiko bleiben wird, auch wenn die Bedingungen noch so optimal sein mögen. „Denn wie gesagt: Die Natur ist stärker als der Mensch.“

SICHERHEIT BEIM SKITOURENGEHEN: AM BESTEN AB INS CAMP!
Bei diesen Adressen lernst du alles, was du für eine gute Tourensaison wissen musst.

NATURFREUNDE: Ausbildung in Theorie und Praxis zum Skitourengehen vermitteln die Naturfreunde in allen Bundesländern. Kursinhalte: Ausrüstungsberatung, Routenplanung, Orientierung, Schnee-/Lawinenkunde, Verschüttetensuche, Kameradenhilfe. Nähere Infos unter www.naturfreunde.at

ALPENVEREIN: Der ÖAV veranstaltet laufend pro Jahr rund 1.000 Skitouren-Kurse in den Alpenvereinssektionen vor Ort oder in der AV-Bergsteigerschule. Infos: www.alpenverein-akademie.at

MAMMUT: Der Schweizer Sportartikelhersteller bietet in seiner Alpine School Lawinenschulungen an, meist in Form von mehrtägigen Freeride Camps im Ötztal. Die Kosten belaufen sich mit Übernachtungen und Skipässen auf rund 450 Euro. Nähere Infos zu Preisen und Terminen unter Tel: 0 72 52/460 51 44 44

PAUL SODAMIN: Bietet schon über 20 Jahre Lawinenschulungen an. Die Kurse dauern in der Regel zwei Tage. Termine gibt es auf seiner Homepage www.paul-sodamin.at.
In Kooperation mit Ortovox, einem renommierten Hersteller von Sicherheitsausrüstung am Berg, bietet Sodamin auch mehrtägige Schulungen für Einsteiger und Profis an Die Kurse starten ab einem Preis von 49 Euro. Infos unter www.ortovox.com/safetyacademy

SAAC – SNOW AND AVALANCHE AWARENESS CAMPS: Snowboarder Flow Daniaux und Bergführer Klaus Kranebitter haben diese Initiative 1998 gegründet. Ziel ist es, Skifahrer und Snowboarder ab 14 Jahren, die sich gern abseits befestigter Pisten bewegen, auf Gefahren aufmerksam zu machen. Entsprechendes fahrtechnisches Können wird vorausgesetzt, Notfallsausrüstung (Sonde, Schaufel, LVS-Gerät) können kostenlos ausgeborgt werden. Die 2-tägigen Basic-Camps sind gratis, dazu bietet SAAC auch Lawinenkurse für Schulen ab der 10. Schulstufe an. Informationen unter: www.schullawinenkurse.at