Paul Sodamin (62) oder „der Puiva-Pauli“. Der bekannte Berg- und Skiführer über die Lust am Schweben, über sein Gespür für Schnee, über schlechte Tage – und über ­Anrufe aus dem Bundeskanzleramt. 

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Paul, was ist die Faszination Pulver?
Pulver ist die große Faszination der Freiheit, die Natur pur spüren, ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Im Pulver glaubst du, du kannst schweben. Solche Höhepunkte hast du nicht oft im Jahr. Wobei: Pulver birgt auch immer große Gefahr, da musst du sattelfest sein.

Dein Spitzname ist „Puiva-Pauli“, es heißt, du garantierst Pulververgnügen …
Vor drei Jahren war eine Gruppe von Prominenten zum Heliskiing in Kanada. Nach drei Tagen haben sie mich verzweifelt angerufen, weil es regnet und sie keinen Pulver finden. Da sind sie kurzerhand zurückgeflogen und wir sind am nächsten Tag bei mir im Pulver gestanden. Im Jahr darauf bin ich mitgeflogen und wir hatten von fünf Tagen vier Tage Pulver. Ich muss oft lachen, aber wenn ich nach Osttirol fahre, schneit es am nächsten Tag einen Meter her. Wenn der Puiva-Pauli mitgeht, gibt es Puiva, sagen meine Freunde. Kein Schnee im Jamtal oder auf der Haute Route, ich komme hin, schneit es her. Ich weiß gar nicht mehr, wer mir den Namen verpasst hat, das hat sich vor 20 Jahren eingebürgert. Und sollte der Schnee einmal schlechter sein, erfinde ich den „Harschpulver“ (lacht). Da habe ich meinen Schmäh …

Hast du ein Geheimnis?
Ich mache 100 Skitouren pro Jahr, 70 Prozent im Pulverschnee. Pulver ist die schönste Form des Skifahrens. Pulver ist halt zeitlich begrenzt, im Hochwinter gibt es genug, im Frühjahr musst du schon über 2000 Meter hinauf, sonst lässt der Pulvergenuss nach. Und du musst wissen, wo diese Hänge sind ...

Wie schaut für dich ein perfekter Hang für die Abfahrt aus?
Ein paar Hänge im Montafon sind meine Lieblinge, 500 Höhenmeter lang. Oder die Lugauer Plan am „steirischen Matterhorn“. Es ist immer die Kombination aus Länge, Steilheit, Ausgesetztheit, Nervenkitzel. Unverspurt wo runterfahren, ist immer ein Erlebnis. Nur zu gierig darfst du nicht sein. 

… und wie dein Lieblingspulver?
Unverspurter Pulver! Und ein Hang, wo du bedenkenlos fahren kannst, egal wie steil. Es schneit warm auf kalt ein und der Schnee bindet perfekt. Dann staubt es richtig und du juchzt vor Vergnügen – meine Wunschvorstellung. Das passiert in Perfektion ein, zwei Mal im Jahr. Das Wichtigste ist aber, dass nichts passiert. Ich habe genug gesehen, als Berg- und Flugretter genug Tote ausgegraben. Das trübt das Vergnügen.

Steckt in der Faszination auch der Reiz der potenziellen Gefahr?
Nein, Gefahr ist nie ein Reiz, da bin ich empfindlich. Aber es gibt natürlich genug Deppen, die den Kick suchen. Da wundert es mich oft, dass nicht noch mehr passiert! Und dann diese Berghetzer, die nur auf die Pulsuhr schauen und den Genuss vergessen! Aber lassen wir das Thema lieber. Da mache ich mir keine Freunde. 

Du eckst oft mit deinen Warnungen an?
Ich habe einmal die Bilder von 45 Leuten auf einer Skitour angeprangert. Ohne Abstand. Bei Lawinenwarnstufe 3. Ich habe das kritisiert und dann war ich der Sündenbock! Was die letzten Jahren auf den Bergen passiert, ist Schwachsinn. Jeder geht mit dem Handy raus, aber nur wenige haben eine Ahnung von Routenplanung und ein Gespür für den Berg. Das Bewusstsein hat sich geändert. Und ich sage das halt direkt. Damals habe ich telefonische und schriftliche Drohungen auf meiner Homepage im Gästebuch erhalten. Ich solle in einer Lawine ersticken.

Gefahr ist nie ein Reiz, da bin ich empfindlich.

Paul Sodamin
Faszination Pulver: Bergführer "Puiva-Pauli" im Interview

Woher hast du dein Gespür?
Ich weiß auch nicht. Natürlich sind es 40 Jahre Erfahrung und viel lernen. Und manchmal habe ich so ein Gefühl. Ich steig in der Früh ins Auto und denke mir: Oje, heute ist kein guter Tag. Und am nächsten Tag stehen die Lawinentoten in der Zeitung. Ich war vor 35 Jahren einer der ersten Europäer, der Lawinenunfälle wie Tatsachenberichte dokumentiert und analysiert hat, weil ich ja auch Fotograf bin. Zu jedem Lawinenunfall bin ich hingefahren, habe Fotos gemacht, analysiert und eine Mappe angelegt. Das habe ich dann in meinen Lawinenkursen vorgetragen. Damals bin ich verhöhnt und beschimpft worden. Ich habe mich immer gefragt: Kann mir das auch passieren? Und oft musste ich sagen: Sch…., das wäre mir auch passiert. So habe ich gelernt. 

Warst du selbst schon in einer Lawine?
Nein, aber drei Mal war ich live dabei, als Beobachter in einer anderen Gruppe. Zwei Mal habe ich sogar gesagt, wirst sehen, gleich kracht’s, weil mir der Hang und das Verhalten der Gruppe gar nicht gefallen hat. Man entwickelt ein Gespür für Situationen, für Schnee, für Wetteränderungen. Zwei Mal bin ich mit einem Schneebrett leicht mitgerutscht, weil ich öfters absichtlich etwas Schnee lostrete, um den Schneeaufbau zu testen.

Wie viele Lawinenunfälle würden sich verhindern lassen?
Ich behaupte, 95 Prozent der Lawinenunfälle könnten verhindert werden. Bei den restlichen 5 Prozent machst du alles richtig und hast einfach Pech. Mein Drillingsbruder Peter war mit einer Gruppe auf einem Forstweg unterwegs, da rutscht oberhalb ein kleiner Hang weg und reißt zwei Leute mit. Das war nicht vorhersehbar. 

Letztens hat einer einen Geheimtipp bei uns gepostet, am nächsten Tag standen in der Früh 150 Autos am Parkplatz. Das ist der falsche Weg.

Paul Sodamin

Wie verspürt Puiva-Pauli den Klimawandel?
Es wird wärmer und herunten wird weniger Schnee, man muss den Berg komplett anders anvisieren. Und vor 30 Jahren war das Wetter beständiger. Aber 2019 war ich als „Weihnachtsmann“ am Glockner, fünf Meter Neuschnee, unberührt, sensationelle Bilder in allen Zeitungen. Was mir auffällt, ist, dass es regional viel unterschiedlicher ist. Früher hat es das ganze Land gleichmäßig eingeschneit und alle hatten gleich viel Schnee. Heute kann sein, dass im Gesäuse viel ist und in Osttirol nix. Die Hotspots sind anders. Die Arbeit der Meteorologen wird schwieriger.

Du bist auch auf Social Media sehr präsent und postest Fotos und Touren.
… aber ich schreibe nie die Orte dazu, wo die Tour genau ist. Letztens hat einer einen völlig unberührten Geheimtipp bei uns gepostet, am nächsten Tag standen in der Früh 150 Autos am Parkplatz. Das ist der falsche Weg. Wenn mich jemand direkt im Messenger anschreibt, gibt’s vielleicht einen Tipp.

Hast du schon ein Gespür für den kommenden Winter?
Nein. Ich kann nur sagen: Skitourengehen ist stark im Kommen und es wird wegen der Massen langsam gefährlich. Vereine, Bergführer, Freizeitsportler – alle wollen auf denselben Berg. Dabei gibt es genug Geheimziele, man kann antizyklisch gehen, von großen Routen abweichen, Stoßzeiten vermeiden, unter der Woche gehen. Ich gehe keinen Modeberg am Wochenende, wo 150 Leute sind. Deswegen aber bitte nicht um 3 Uhr früh losgehen! Auch das Wild braucht Pause.

Wird es heuer im Winter auf den Bergen noch gefährlicher?
Ich hoffe, dass die Berge im Winter nicht so überlaufen sind wie im Sommer, sonst haben wir alle ein Problem. Die Leute sollen das Hirn einschalten und ein bissl mitdenken. Aber ich befürchte, dass es wieder viele Unfälle ­geben wird, vielleicht werden Groß­unfälle zunehmen, wo viele Menschen in einer Lawine verschüttet sind, mit vielen Toten. Die Rettungsketten in Österreich funktionieren zwar gut, aber auch die haben ihre Grenzen. 

Vor ein paar Wochen hat überraschend das Handy geklingelt?
Es läutet. „Hallo, da ist der Sebastian.“ Schön, wenn dich der Bundeskanzler persönlich anruft. Sebastian Kurz war schon vor Jahren mit mir unterwegs, jetzt war er das dritte Mal bei mir: Klettern im 4. und 5. Grad. Und, ja, ­er ist sehr sportlich und geschickt, aber er bräuchte halt mehr Übung (lacht). 

Paul Sodamin
staatlich geprüfter Berg- und Skiführer aus Trieben (St), Jahrgang 1958, Profibergsteiger, Kletterer, Alpinist, ­ehemaliger Berg- und Flugretter, Fotograf, Einsatzleiter und Ausbildner bei der Bergrettung, Vortragender, Buchautor. Berg-Highlights: Matterhorn, Eiger- Nordwand, Dhaulagiri VII (7246 m) im Himalaya mit Ski. 
WEB: www.paul-sodamin.at