Michael Strasser hat die 7 höchsten Berge der 7 Alpen­länder bestiegen und die Strecken dazwischen mit dem Rad zurückgelegt. Ein Gespräch über sein „771 Unsupported Solo“ –  oder 1400 Kilometer und 36.500 Höhenmeter in 7 Tagen und 11 Stunden.

Christof Domenig
Christof Domenig

Die meisten kennen Michael Strasser als Extrem-Radfahrer. Der 41-jährige Wiener steht mit zwei Einträgen im Guiness-Buch der Rekorde, die beide seinem Projekt „Ice2Ice“ von Alaska nach Patagonien (23.000 km/175.000 hm), also der Nord-Süd Durchquerung der amerikanischen Kontinente 2018 entstammen. 2016 hat er mit „Cairo To Cape“ (11.000 km), der Afrikadurchquerung von Nord nach Süd, ebenfalls schon einen Weltrekord aufgestellt. Diesen Sommer hat Strasser wieder einen spektakulären Rekord geschafft und dabei Bergsteigen und Radfahren verbunden: Er hat die sieben höchsten Gipfel der Alpenländer bestiegen und die Strecken dazwischen mit dem Rad zurückgelegt. „Unsupported“, also allein unterwegs, mit vollem Gepäck, ohne Helfer. Mont Blanc (4805 m), Gran Paradiso (4061 m), Dufourspitze (4634 m), Vorderer Grauspitz (2599 m), Zugspitze (2962 m), Großglockner (3798 m) und Triglav (2864 m) hat er binnen 7 Tagen, 10 Stunden und 56 Minuten bestiegen und insgesamt 1400 km und 36.500 hm zurückgelegt, davon 155 km und 20.500 hm zu Fuß.

„Seit ich 18 war, war ich sehr viel in den Bergen unterwegs. Ich liebe die Berge und habe immer versucht, mein Leistungsvermögen auf den Berg umzumünzen“, erklärt Strasser, dass nicht nur das Radfahren, sondern auch der Bergsport zu seiner sportlichen DNA gehört. In der zweijährigen Vorbereitung hat er unter anderem 45.000 Höhenmeter mit seinem kleinen Sohn in der Rückentrage absolviert,  ist mit Frau und Kind die Strecken mit einem Kinderfahrradanhänger abgefahren und hat einen Schwerpunkt darauf gelegt, die Muskulatur an gelaufene Berg­ab-Höhenmeter zu gewöhnen. Wie das Projekt dann abgelaufen ist und welche Message ihm dabei besonders wichtig ist, verrät Michael Strasser im Gespräch.

­Wie lang hast du die Idee zu dem Projekt mit dir mitgetragen?
Sie steht seit 20 Jahren in meinem Ideenbuch. Dass ich es dann wirklich angegangen bin, ist ein wenig dem geschuldet, dass vor zweieinhalb Jahren ein Bekannter, Philipp Reiter, sowie der Schweizer Adrian Zurbrügg die sieben Gipfel mit Skiern gemacht haben. Also mit Tourenskiern den Berg rauf und runter – dann haben sie sich ins Auto gesetzt und sich zum nächsten Berg fahren lassen und letztlich fünf Tage und ein paar Stunden dafür gebraucht. Als ich das mitverfolgt habe, habe ich mir gedacht: Es wäre superspannend, zu versuchen, wie schnell man komplett unsupported unterwegs sein kann.

Die logistische Vorbereitung muss wichtig und komplex gewesen sein?
Das war der Grund, warum ich zwei Jahre geplant habe und die ganze Tour vorab schon abgefahren bin: um Partnerschaften zu haben. Mir war zum Beispiel klar, ich muss in Zermatt in jedem Fall unterkommen – zur Hauptsaison kann es aber sein, dass dort alle Betten ausgebucht sind. Ich hab dann ein Hotel gefunden, wo sie so nett waren und gesagt haben, sie unterstützen das Projekt, zur Not werfen sie mir eine Matratze in den Skiraum, wo ich schlafen kann. Es geht darum, dass man Ansprechpartner hat, wenn man Hilfe braucht.

Du bist am 2. Juli zwischen vier und fünf Uhr morgens gestartet, warum um diese Zeit?
Ich wusste, dass ich am ersten Tag Mont Blanc und Gran Paradiso machen muss. Mir war auch klar, ich muss den Mont Blanc von der Südseite machen, wo es sehr steil ist und die Gletscher sehr zerklüftet sind und das geht allein und seilfrei nur zu Saisonbeginn. Der Vorteil der Südseite ist, dass die Radstrecke zum Gran Paradiso mit rund 70 Kilometern kurz ist. Ich hab gewusst: Den Gran Paradiso kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit machen, er es ein recht einfacher Berg ohne große Gefahren. Beide an einem Tag zu machen bedeutet aber auch, fast 7000 Höhenmeter am ersten Tag. Es war unklar, wie ich da körperlich darauf reagiere.

Es wäre schön, wenn andere dadurch inspiriert werden. Mit dem Rad zu reisen, ist eine sehr schöne Fortbewegungsform.

Michael Strasser

Und wie hat dein Körper reagiert?
Es war schön zu sehen, als ich am zweiten Tag nach Zermatt gefahren bin, dass ich dadurch, dass ich so viel im meinem Leben schon mit dem Rad gefahren bin, mich auch bei 4000 Höhenmetern am Rad erholen kann, so blöd das klingt. Ich kann zügig, aber zugleich so gemütlich fahren, dass ich mich dabei erhole. Am nächsten Tag war dann die Dufourspitze dran, das sind rauf und runter 46 km und 4400 hm. Das war sicher der schwierigste Anstieg von allen sieben.

Was ist bei so einem Projekt eigentlich die größte Herausforderung – die Belastung für den Körper, der wenige Schlaf oder etwas anderes?
Bestimmt der wenige Schlaf. Die ersten Nächte habe ich ungefähr drei Stunden Schlaf gehabt, die letzten zwei dann nur mehr zwei Stunden pro Nacht. Der Körper kommt 40 Tage ohne Essen aus, bis zu einer Woche ohne Trinken. Aber du kannst nicht eine Woche nicht schlafen. Ab dem zweiten Tag ohne Schlaf kannst du nicht mehr klar denken. Aber ich habe gemerkt, dass zwei bis drei Stunden reichen, um das Erlebte zu verarbeiten. Müde ist man sowieso, da würde es nichts ändern, ob ich zwei bis drei Stunden schlafe oder acht. 

Hat es Punkte gegeben, wo du ans Aufgeben gedacht hast? Oder ist ­alles nach Plan abgelaufen?
Die größte Motivation, schnell zu sein, war, zu wissen, dass im Ziel meine Familie, meine Frau und mein Sohn auf mich warten. Aufgeben war eigentlich nie ein Thema. Das Problem war nur: Ich habe mir beim ersten Anstieg sechs Zehen angefroren. Ich bin ja immer mit ganz leichten Schuhen unterwegs. Die Erfrierung war zweiten Grades und ich habe Blasen gehabt, die schon ziemlich geschmerzt haben. Es gibt Therapien, wenn man sich Erfrierungen holt, die muss man jedoch in den ersten 24 Stunden beginnen. Umgekehrt kann man erst nach 48 Stunden sagen, wie schwerwiegend eine Erfrierung ist. Es war also ein Abwägen, weiterzumachen und zu riskieren, vielleicht eine Zehe zu verlieren? Ich hab vielleicht auch das notwendige Glück gehabt und bin mit einem blauen Auge davongekommen.

Was mir aber auch wichtig ist zu transportieren: dass das, was ich mache, nicht leichtsinnig ist, sondern mit sehr viel Vorbereitung verbunden ist und dass 20 Jahre Erfahrungen am Berg und sehr viele Ausbildungen dahinterstecken.

Dein Rad hatte 6,5 Kilo, mit Gepäck 20. Jeder Hobby-Bikepacker weiß, was es für einen Unterschied macht, mit Gepäck oder ohne einen Pass hochzufahren.
Ich bin die letzten Monate jede Trainingstour mit Gewicht gefahren. Die größte Herausforderung daran war im Kopf. Die Trainingsgruppen, mit denen ich sonst unterwegs bin, fahren – logisch – alle gewichtsoptimiert. Und ich hab die Packtaschen immer voll mit Gewicht gehabt. Das war hart. Aber es war wichtig, weil sich das Rad anders fährt, bergauf, klar – aber auch in den Abfahrten, mit dem Schwerpunkt sehr weit hinten. Geholfen haben auch die Vorbereitungstouren mit Kinderanhänger, der hat voll beladen 30 Kilo. Ich hab auf jedes Rad einen Powermeter raufmontiert, um zu wissen, dass die Leistung passt, wenn schon nicht die Geschwindigkeit.

Du hast 2022 einen Trainingsunfall gehabt, dein Rad ist von einem Lkw überfahren worden. Das Projekt jetzt war auch der Versuch, das Trauma zu bewältigen. Wie muss man sich das vorstellen?
Meine Therapeutin hat mich so weit gebracht, mit dem umgehen zu können. Aber die Lockerheit von früher wird es nie wieder geben. Der Lkw-Fahrer, der mich beim Abbiegen erwischt hat, muss abgelenkt gewesen sein – ich war an dem Tag neongelb gekleidet. Dieses Abgelenktsein projiziere ich nach wie vor in jedes Auto hinein, habe auf jeder Freilandstraße Angst, dass mich irgendein Autofahrer, der vielleicht aufs Handy schaut, frontal mitnimmt. Ich fahre jetzt auch öfter Radwege, auch bei dem Projekt, was sicher eine Spur langsamer war. Aber es kostet mich weniger Energie, etwas weiter zu fahren, als mich dem Stress einer stark befahrenen Straße auszusetzen.

Das Projekt war für dich auch ein Weg, aufzuzeigen, dass Bergsport nicht motorisiert sein muss, man auch mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln viel machen kann. 
Ich bin auch schon dreimal von Wien aus zum Großglockner geradelt – das ist ein Punkt, der noch ansteht: Es vom Stephansplatz zum Gipfelkreuz in 24 Stunden zu schaffen. Bislang habe ich 26 Stunden gebraucht. Sehr oft aber bin ich von Wien zum Schneeberg geradelt, mit Skiern oder Laufausrüstung: Das ist nicht wild, zweimal 90 Kilometer, das kann man schon schaffen. Es haben mir auch schon viele Leute nachgemacht und es wäre schön, wenn manche durch mein Projekt auf die Idee kommen, Ähnliches in ihrem Rahmen zu probieren. Mit dem Rad zu reisen, ist eine sehr schöne Fortbewegungsform.

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Michael Strasser

Am 16. April 1983 in Mödling geboren, wohnt in Wien, abgeschlossenes Architekturstudium. Seit 2022 Familienvater (Sohn Moritz).

Startete sportlich als Triathlet und wurde vor allem durch seine Ultracycling-Abenteuer mit zwei Weltrekorden („Caro2Cape“ 2016, „Ice2Ice“ 2018) bekannt. Zweimal Auszeichnung als „Österreichs Sportler mit Herz“ für Charity-Projekte.

Instagram: @_michael_strasser
Web: strassermichael.at , 
771solo.run