Den Lockdown nutzte Rainer Predl zu einem 70-Kilometer-Lauf um seinen Küchentisch. Der Niederösterreicher ist einer der besten Ultraläufer Österreichs – und gleichzeitig der rennende ­Beweis, wie nahe Tragödie und ­Komödie beieinander liegen.

Christof Domenig
Christof Domenig

Es klingt ein bisschen wie die Ausdauersport-Variante der früheren MTV-Serie Jackass. Kennt die noch jemand? Rund ums Jahr 2000 versuchten sich in der US-Serie „Stuntmen und/oder Verrückte“ an allerlei schrägen Challenges, dass es oft beim Zuschauen wehtat. Zu Beginn des Corona-Lockdowns lief Rainer Predl aus Lassee 11.024 jeweils 6,35 m kurze Runden – oder 70 Kilometer rund um seinen Küchentisch. Wer nur 20 Runden um einen Tisch probehalber rennt, kann den schwindelerregenden Aspekt an der Tortur erahnen. Im Livestream ließ sich denn auch miterleben, dass Predl auf den ersten 20 Kilometern dreimal für längere Zeit aus dem Bild verschwand. Weil sich der Drehwurm und die Nahrungsaufnahme (Banane, Cola, Wasser) nicht vertrugen, musste er sich jeweils in den Garten „verabschieden“. Nach dem dritten rückwärtigen Frühstück verzichtete der Ultraläufer auf weitere Verpflegung und lief die restlichen 50 Kilometer mehr oder weniger nüchtern. Mit Übelkeit und Kopfschmerzen als Begleiter, wie er berichtet, aber ohne sich noch ein weiteres Mal übergeben zu müssen. 12 Stunden 57 Minuten nach dem Start hieß der (inoffizielle) Weltrekordhalter Rainer Predl – zuvor hatte ein chinesischer Läufer mit 66 Kilometern die Bestmarke inne. Wie hieß es nicht schon bei ­„Jackass“? „Don’t try this at home!“

Predl ist generell immer für eine schräge Aktion gut: Er lief schon Rekorde in einem Kreisverkehr, einen Marathon in einem Windrad (auf einer 13-Meter-Runde – ohne Übelkeit) oder sieben Tage hindurch mit nur kurzen Schlafpausen auf einem Laufband. „Alle, die mich persönlich kennen, wissen, dass ich ein bisschen ­deppert bin“, witzelt der Niederösterreicher. „Das kann ich mit meinen Crazy Projects ausleben.“ Ihn auf die „verrückten“ Projekte zu reduzieren, würde ihm jedoch nicht in Ansätzen gerecht. Erstens ist Predl Nationalteammitglied im Ultrastraßenlauf, mit dem Spezialgebiet 100 Kilometer. Schon mit 21 Jahren hat der jetzt 30-Jährige den österreichischen Rekord im 6-Stunden-Lauf aufgestellt, seine Bestmarke von 85,517 Kilometer in sechs Stunden stehen sogar als Jahresweltbestleistung zu Buche. Predl ist auch zweifacher österreichischer Meister über 100 Kilometer, mehrmaliger WM-Teilnehmer über seine Spezialdistanz sowie auch im 24-Stunden-Lauf. Er hat auch schon den prestigeträchtigen Sahara-Marathon gewonnen (siehe Fakten-Kasten).

Laufen fürs Kinder-Hospiz
Seine „Crazy Projects“ sind außerdem nicht Selbstzweck, sondern allesamt Benefizevents. Die schrägen Formate dienen dazu, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen und damit auch möglichst große Spendensummen zu ­lukrieren, erklärt er. Meistens geht es dabei um Unterstützung für den „Sterntalerhof“, eine Kinder-Hospiz-Einrichtung, deren Botschafter Predl ist. Sein Küchentischlauf war ebenfalls ein Einsatz für diese Organisation – als Ersatz für den von ihm mit ins Leben gerufenen „Lasseer Benefizlauf“. Der hätte am 21. März 2020 zum neunten Mal stattfinden sollen, fiel jedoch nach dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens als einer der ersten österreichischen Laufevents aus. Predl sowie etliche verhinderte Benefizlauf-Teilnehmer aus mehreren Ländern rannten daher gemeinsam in ihren Wohnungen und Gärten, übertrugen ihre Aktionen live über soziale Medien und warben so doch noch um Spenden für das in Loipersdorf-Kitzladen im Burgenland angesiedelte Kinder-Hospiz.

Warum sich der Lasseer (neben dem Tierschutz) gerade für diese Einrichtung engagiert; und warum er überhaupt so weite Strecken läuft: Das hat ebenfalls einen Hintergrund, der alles andere als lustig ist. 2007 fuhr er als 16-jähriger Schüler mit der Bahn nach Hause, als der Sturm „Kyrill“ tobte und die Ampelanlage an einem Bahnübergang in seinem Heimatort ausfallen ließ. Die Folgen waren katastrophal: Ein Auto mit drei Insassen wurde von dem Zug erfasst, ein siebenjähriges Mädchen und dessen Onkel starben, nur der Vater des Mädchens überlebte schwerverletzt. Predl gehörte zu den wenigen unmittelbaren Ersthelfern bei dem Unglück, die das Mädchen aus dem Auto zogen und noch wiederzubeleben versuchten und die dem eingeklemmten Schwerstverletzen noch Mut zusprachen, der später seinen Verletzungen erlag.

„Viele Ultralangstreckenläufer haben eine Geschichte im Hintergrund“, sagt Predl dazu – der bis zu diesem einschneidenden Ereignis nur kurze Strecken gelaufen war und danach immer weitere Distanzen zu absolvieren begann. Noch als Jugendlicher lief er in sechs Stunden 77 Kilometer weit und mit gerade einmal 18 Jahren rannte er 100 Kilometer in etwas über 8 Stunden. Mit 21 holte er sich seinen ersten österreichischen Rekord im Ultra­langstreckenlauf – in einer Sportart also, in der die meisten erst über 30 ihren Zenit erreichen. „Das Erlebnis ist mein Antrieb, für die gute Sache, für Kinder zu laufen“, erklärt er – „so habe ich aus dem Erlebten etwas Positives gezogen. Das Laufen ist dadurch meine Leidenschaft geworden.“ 

Ich mag es auszuloten, welches Potenzial im Körper steckt.

Rainer Predl

Runde für Runde
Ehrgeizig und fokussiert ist der Ultraläufer Rainer Predl ganz offensichtlich. 150 Trainingskilometer pro Woche sind ein normaler Umfang – neben dem 40-Stunden-Job in der Laufabteilung bei Intersport Winninger in Stadlau. „Es ist nur eine Frage des Zeitmanagements“, sagt er dazu, wie sich das alles ausgeht. Mitunter können es auch wesentlich mehr Trainingskilometer sein. Predl läuft dabei oft auf seiner 1,9 Kilometer langen Hausstrecke unermüdlich Runde um Runde – für perfekte Kontrollierbarkeit der Zeiten, der Verpflegung wegen und sicher auch ein wenig zur mentalen Abhärtung, schließlich werden auch viele Wettkämpfe im Ultrastraßenlauf in verhältnismäßig kurzen Runden gelaufen. In seinem Element ist Predl nach 50, 60, 70 oder noch mehr Kilometern. 

„Ich nehme gerne Herausforderungen an, mag es, Grenzen zu spüren und auszuloten, welches Potenzial im Körper steckt“, erklärt Rainer Predl auch. Dass Ultralaufen gerade in der Trailrunning-Variante boomt, sieht er positiv, wenn auch nicht ungeteilt: „Viele wollen heute an ihre Grenze gehen – leider auch ein paar, die das noch nie zuvor gemacht haben.“ In Tschechien hat der Niederösterreicher einen Zwei-Tage-Lauf einmal abgebrochen, weil er mitbekam, dass viele Teilnehmer sich über jede Grenze hinweg verausgabten. Was Predl von den damaligen MTV-Clowns wie auch von unvernünftigen Mitläufern bei Extremevents unterscheidet, ist der sportliche Erfahrungsschatz, auf dem er aufbaut. Sowie die Tatsache, dass (mit Ausnahme des spontanen, aus der Benefizlaufabsage resultierenden ­Küchentischlaufs) ein akribischer Plan hinter allen Projekten steckt.

Der Niederösterreicher plant stets auf fünf Jahre im Voraus. 2021 will er sich zum Beispiel im zweiten Anlauf den Weltrekord im 14-Tage-Laufbandlaufen holen. Beim ersten Versuch musste er nach 400 Kilometern aufgeben, weil der Körper nicht mitmachte: „Ich habe vor Enttäuschung geweint. Aber letztlich macht dich das auch mental stärker.“ Für seine schrägen Laufprojekte wurden Rainer Predl auch schon „Selbstdarstellertum“ vorgeworfen: Nicht aus der Laufszene, sondern von Menschen, die mit Sport offensichtlich nichts am Hut hätten: Schließlich schaffte er es mit seinen verrückten Rekorden auch in deutsche Massenmedien wie Spiegel, Stern-TV oder die Bildzeitung. „Ich war schon perplex über manches gehässige Mail“, erzählt er. „Aber man lernt damit umzugehen. Und von denen, die den Sport selber ausüben, kommt immer Zuspruch.“

Ein Mann mit zwei Gesichtern
Rainer Predl sieht sich selbst als Läufer mit zwei Gesichtern – einem ernsthaften und einem verrückten. Er sagt auch, dass die Trainer des Ultralauf-Nationalteams über manches seiner Projekte „nicht so begeistert“ seien – etwa die 100 Kilometer im Garten, die er wenige Wochen nach dem Küchen­tischlauf absolvierte. Als ideale Verbindung zwischen „Crazy Projects“ und ernsthaften Läufen sieht er Abenteuerläufe an, wie den Sahara Marathon in Algerien, den er 2014 gewonnen hat und heuer an dritter Stelle beendete (in 3:03:19 Stunden). Kein typischer Wüsten-Abenteuerlauf wie etwa der „Marathon des Sables“ („so ein Lauf wäre mir zu touristisch“), sondern ein auf einer Piste durch die Wüste führender klassischer 42,195 km langer Marathonlauf. 

Selbst der Schlusspunkt von Predls Laufkarriere steht schon fest: Der „Badwater Ultra“ im kalifornischen Death Valley soll es sein, ein 217 Kilometer langer Lauf, der für die extreme Hitze bekannt ist: „Das ist mein Traumlauf, der alles abdeckt, was mir Spaß macht: Die Wüstenlandschaft taugt mir extrem – und gleichzeitig wird auf einer Straße gelaufen. Ich liebe die Hitze und die mentale Herausforderung.“ Bloß wann dieser für ihn finale große Lauf stattfinden wird, weiß Rainer Predl noch nicht: „Vielleicht erst, wenn ich 60 bin. Aber es wird eine einmalige Sache sein.“

Beratung vom Weltrekordhalter
Wer sich von Rainer Predl in Sachen Laufschuhe und -ausrüstung beraten lassen will, kann das bei Intersport Winninger in Stadlau tun. Zum Laufschuh rät Predl: „Auf jeden Fall auf die Qualität der Beratung achten und nach Möglichkeit eine Lauf­analyse machen lassen. Gerade beim Straßenlaufen ist der richtige Laufschuh extrem wichtig. Dafür sollte man ein wenig Zeit investieren. Und man soll gerade beim Schuh nicht vorrangig auf den Preis schauen. Natürlich kann auch ein günstiger Laufschuh der Ideale sein – aber der Preis sollte jedenfalls nicht das ausschlaggebende ­Argument sein.“

Crazy nach Plan: Rainer Predl tut mit verrückten Läufen Gutes
Rainer Predl

Geb. 15. Jänner 1990
Wohnt in Lassee, NÖ
Beruf: Laufschuhberater bei Intersport Winninger (Stadlau)

Erfolge (Auszüge):
österreichischer Rekordhalter im 6 Stundenlauf: 85,517 km
Sahara-Marathon-Sieger 2014
2 x österreichischer Meister, 
4 x WM-Teilnehmer 100 km

Weltrekorde: 
12 Stunden am Laufband mit 149,5 km
7 Tage am Laufband mit 852 km
Marathon in einem Windrad in 4:21:37 Stunden
70 km um einen Küchentisch in 12:57:02 Stunden

Bestzeiten:
10 km: 32:44 min
21 km: 1:12:26 h
42 km: 2:39:46 h
50 km: 3:15:47 h
100 km: 7:08:12 h

www.rainerpredl.com