Training mit dem eigenen Körpergewicht erlebt ­eine wahre Renaissance. Was daran begeistert, hat ­unser Redakteur Christoph Lamprecht beim „Bodyweightday" im Mai in Wien am eigenen Leib erfahren.

Von Christoph Lamprecht


Ausgangspunkt war wieder einmal New York City. Oder so ähnlich. Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre trafen sich vor allem in den urbanen Großräumen der USA immer mehr junge Menschen, um in öffentlichen Parks ihre Körper mit sogenannten Street Work-outs zu stählen. Neu waren die Übungen, die bis heute das Fundament von Calisthenics ausmachen, eigentlich nicht – die Art und Weise, wie trainiert wurde, hingegen schon. Schnell erfreute sich diese artistische und dabei hochfunktionelle Fitnessvariante wachsender Beliebtheit, und einen zusätzlichen Push verschaffte der Community, dass dank der 2005 gestarteten Online-Plattform YouTube Vorreiter und Szenegrößen wie die „Barstarzz" mit ihren Work­out-Videos internationale Berühmtheit erlangten.

Wo genau und von wem die Calisthenics-Bewegung nun tatsächlich ins Leben gerufen wurde, ist bis heute noch Gegenstand hitziger Debatten. Was sich jedoch mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass diese Variante des Eigengewichtstrainings mit all ihren Spielarten weltweit immer mehr Hobbysportler in ihren Bann zieht. Wie auch hierzulande immer häufiger auf vielfach neu errichteten Outdoor-Fitness-Anlagen zu beobachten ist.

ZU GAST BEIM BODYWEIGHTDAY
Als ich am ersten richtig warmen Samstag im Mai kurz nach Eröffnung die Marx-Halle im 3. Wiener Gemeindebezirk betrete, herrscht bereits geschäftiges Treiben. Im Mittelpunkt des „Bodyweightday 2017" stehen funktionelle Trainingsformen, die weitestgehend ohne Equipment auskommen. So finden sich neben der obligatorischen Calisthenics-Station auch jene zum Bouldern, für Poledance, Parkour, TRX-Training und, und, und. Anders ausgedrückt: Kraft, Körperspannung und Koordination, soweit das Auge reicht.

Video: Bodyweightday 2017 Aftermovie


Beim Dresscode der Besucher dominiert klar zweckmäßige Active Wear, schließlich ist man nicht nur zum Schauen gekommen, sondern will selbst etwas schwitzen oder zumindest seine Kraft und Beweglichkeit testen. Und noch etwas fällt auf: Gerade Kinder haben an den zahlreichen Mitmach-Stationen die größte Freude am spielerischen Training, respektive der ungezwungenen Bewegung. Besonders deutlich kommt dies beim Parkour zum Vorschein, wo ich mir staunend aber vergeblich die Beweglichkeit meiner Volksschulzeit zurückwünsche.

Während eine junge Mama ihren Sprösslingen nahelegt, zumindest eine kurze Verschnaufpause einzulegen, komme ich mit einem der Athleten von Parkour Vienna ins Gespräch. Was ihn besonders an seinem Sport reizt? „Dass man draußen ist, die lokalen Gegebenheiten bewusst wahrnimmt und lernt, Probleme kreativ zu lösen." Bevor ich nachhaken kann, muss der junge Mann auf die Bühne – denn sportliche Demonstrationen und eindrucksvolle Shows sowie Gruppen-Work-outs sind ein heiß umjubelter Teil des Bodyweightday. Und zu sehen gibt es an diesem Tag viel!

VEREIN STATT STUDIO
Beeindruckt und höchst motiviert muss ich mich schließlich doch vom Bühnenprogramm losreißen. Eventleiter Florian Schachner von Barzflex und dem Team Alpha Bar hat für mich nämlich ein sportliches Date fixiert, im Zuge dessen mir sein Teamkollege Georg den Sport auch praktisch näherbringen soll.

Georgs „Calisthenics-Karriere" begann wie so viele andere auch: „Früher hab ich ganz klassisch im Fitnessstudio trainiert, aber irgendwie war das nie so wirklich zufriedenstellend", erzählt der Mitte-20-Jährige. „Spaß im eigentlichen Sinn hat es dann auch nicht mehr gemacht. Da stellst du dir halt die Frage: Was will ich damit überhaupt erreichen?"

Ein für ihn persönlich lohnendes Ziel entdeckte er schließlich im Internet. „Eine Zeit lang habe ich versucht, mithilfe von Online-Tutorial-Videos anspruchsvolle Übungen zu erlernen", erzählt der Niederösterreicher, stellt aber klar: „Funktioniert hat das weniger gut." Mit dem Entschluss, gemeinsam mit erfahreneren Athleten beim Team Alpha Bar zu trainieren, stellten sich jedoch bald die ersten Erfolge ein.

Worauf man beim Einstieg in den Sport achten sollte? „Wie überall ist eine gewisse Grundfitness notwendig. Um diese zu erlangen, kann man beispielsweise mit App und eigenem Körpergewicht trainieren. Wenn man dabei nicht nur nicht aus der Puste kommt, sondern auch seine Stabilität, sprich Körperspannung trainiert, ist das schon eine gute Vorstufe zu dem, was wir machen."


Video: Die ultimative Calisthenics Motivation


STYLER, PUMPER, STATIKER
Was „die" machen, gestaltet sich wiederum nicht so einheitlich, wie es manch Außenstehendem erscheinen mag. Und auch das ist das Schöne an Calisthenics. „Ich würde ja sagen, dass es drei Typen von Trainierenden gibt", führt Georg aus: „Erstens gibt es die akrobatisch Veranlagten, denen es auch viel um den Style ihrer Tricks geht. Zweitens wären ‚die Statiker' zu nennen, also jene Sportler, die am liebsten komplexe Körperspannungsübungen wie die Human Flag halten. Und drittens gibt's die Pumper, die z. B. Klimmzüge auf Wiederholungen machen und sich dabei vielleicht noch Zusatzgewicht an die Beine hängen. Im Idealfall sollte man aber in all diesen Bereichen eine gute Basis haben."


Über eine derartige Basis verfüge ich zwar nicht, will aber trotzdem unter Georgs Anleitung austesten, wozu ich in der Lage bin. Schnell spüre ich am eigenen Leib, dass es neben der entsprechenden Kraft und der Fähigkeit, Körperspannung zu halten, vor allem auf die Koordination ankommt. Während manche Übungen für Anfänger wie mich ein Ding der Unmöglichkeit bleiben, ist die Lernkurve gerade in diesem Stadium extrem steil, und mit den ersten kleinen Erfolgen macht das Ganze richtig Spaß.

Und auch, wenn aus mir niemals Frank Medrano wird, kann ich mit dem neu erworbenen Wissen nun wirksame Reize setzen ...


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