Bis ein neuer Laufschuh im Regal steht, ist lange Entwicklungsarbeit nötig. Um die zu beschleunigen, setzen die Hersteller auch auf die Erfahrung, den Speed und die Expertise von Profisportlern. Was sie so wertvoll macht und warum der Mensch einfach durch nichts zu ersetzen ist.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Es geht doch wirklich nichts über ­unsere Spezies, den Homo Sapiens, sprich den guten alten Mensch. Auch wenn die OSZE die düstere Prognose stellt, dass es viele Jobs in rund 40 Jahren nicht mehr geben wird, weil die Arbeit von Computern oder Robotern verrichtet wird. Bei der Entwicklung von Laufschuhen kann der Mensch einfach immer noch nicht vollständig ersetzt werden. Das Gefühl, wie ein Schuh abrollt, wie gut sich das Obermaterial an den Fuß anschmiegt oder wie gut der Grip der Sohle bei unterschiedlichen Bedingungen ist – all das kann der Computer nie so gut simulieren, wie es ein Mensch spüren kann. Und schon gar nicht wie ein Athlet, ein Spitzensportler, für den der Laufschuh Trainings- und Arbeitsgerät ist, Lebensgrundlage und Mittel zum Erfolg. Also bauen Laufschuhmarken ihre Spitzensportler auch immer in die Entwicklung neuer Schuhe ein. On setzt auf die Erfahrung von olympiagestählten Läufern wie Chris Thompson und Andy Vernon (groß im Bild), beide aus Großbritannien und auf der Langstrecke beheimatet. Beide haben am neuen Cloudflow mitgearbeitet, Ons Brot-und-Butter-Modell sozusagen. Die Herausforderung: Der Schuh sollte Athleten schneller machen und zugleich auch für Normalverbraucher komfortabel und angenehm zu laufen sein. 
 

Von der Rennstrecke ins Regal

Auch die traildominierte Palette von Salomon entsteht in Zusammenarbeit mit Athleten wie Ultraläufer Kilian Jornet oder der heimischen Traillegende Markus Kröll.  
„Ein Athlet simuliert in kürzester Zeit, was der ‚normale‘ Läufer über einen längeren Zeitraum erlebt“, sagt Dina Tageldin, bei On in der Abteilung Forschung und Entwicklung tätig. „Parameter wie die Eigenschaften gewisser Materialien bei schnellem Tempo lassen sich am besten durch Athleten testen. Auch wenn es um die Erholung geht, geben uns Leute wie Chris oder Andy wichtiges Feedback, da schlichtweg ihre Umfänge höher sind.“ Diese Erkentnisse sind für On essenziell. „Weil es uns neben der Leistungsoptimierung auch um die Verletzungsprävention geht. Und dort spielt die Erholung eine große Rolle.“ Gerade am Anfang geben Athleten die gesamte Erfahrung weiter. Vom ersten Hineinschlüpfen und Schnüren, vom Gefühl im Stand über Passform, Abdruck, Landung bis hin zur Abrollbewegung. „Wir bei On fragen auch immer, wie sich der Schuh in einer bestimmten Laufphase anfühlt. Das Gefühl ist bei uns immer elementar“, sagt Tageldin. Salomon hat mit der S/LAB-Serie sogar eine spezielle Linie für Athleten. „Diese Schuhe werden auf die speziellen Bedürfnisse bzw. Vorlieben der Sportler maßgeschneidert“, sagt Salomon-Produktmanager Sascha Stöfelmayer. Um ihn nicht nur für Kilian Jornet laufbar zu machen, werden dann Details wie Sprengung und Fit sanft abgeändert, ohne das Grundkonzept des Schuhs zu verändern.“ Vor einem Test werden die Läufer übrigens kaum instruiert. „Sie wissen selbst am besten, was bei diversen Schuhen ausschlaggebend ist – vom maximalen Komfort bei Ultra Races bis zu höchstem Grip und wenig Gewicht bei Vertical Races“, sagt Stöfelmayer.

Das Gefühl ist bei uns immer elementar.

Sascha Stöfelmayer

Bei On läuft das ähnlich, wie Tageldin erklärt. „Beim ersten Mal gibt es keine Instruktionen – die Athleten sollen sich ganz auf ihr Gefühl konzentrieren können. Erst beim Feintuning bitten wir sie, den Fokus auf einen bestimmten Aspekt zu legen.“ Natürlich gibt es bei allen Herstellern auch immer eine möglichst breite Testerpalette. Gewisse Dinge können aber ausschließlich Athleten rückmelden. „Sie können zum Beispiel die Langlebigkeit eines Schuhs auf die Probe stellen“, sagt Sascha Stöfelmayer von Salomon. Einen besonders wertvollen Aspekt sieht Dina Tageldin aus der On-Entwicklung. „Athleten haben ein sehr ausgeprägtes Körperbewusstsein und können genau identifizieren, was kleine Veränderungen am Schuh für eine Auswirkung auf den gesamten Körper haben. Außerdem erreichen sie Geschwindigkeiten, bei denen das Material richtig gefordert wird. Das gibt uns wichtige Rückschlüsse für die Entwicklung.“Die Erkenntnisse der Sportler werden dann meist auch sehr schnell umgesetzt – was die Entwicklungszeit natürlich verkürzt. Salomon stellt die Prototypen im eigenen DesignCenter im französischen Annecy her.

„Kleinere Adaptierungen werden dann prompt nach den Testläufen umgesetzt“, erklärt Sascha Stöfelmayer. Bei den verwendeten Materialien wiederum ist der Input der Athleten gering. „Die Auswahl ist sehr komplex. Die perfekte Materialkomposition und Form zu finden ist der Knackpunkt, den Athleten nicht ‚erfühlen‘ können“, sagt Dina Tageldin. „Dazu braucht es jahrelange Erfahrung in der Laufschuhentwicklung.“ Salomon wählt gewisse Materialien im Voraus aus, die zuvor auf Langlebigkeit, Verarbeitung und Umweltverträglichkeit getestet werden. Spitzensportler haben immer das Ziel, Leistung und Komfort zu verbessern und können in kurzer Zeit viele Kilometer mit Prototypen ab- spulen. Das macht ihre Rückmeldungen für Hersteller so interessant. Dabei kann es aber schon sein, dass sie den Bogen ein wenig überspannen. Chris Thompson hat das beim neuen Cloudflow von On getan. Er wollte das Speedboard, das bei On die Zwischensohle ersetzt, steifer und steifer machen, um so noch mehr Rebound beim Abdruck zu erzeugen und noch schneller laufen zu können. Das Resultat: Ein Schuh, der sich fast nicht mehr biegen ließ. „Das war dann sogar mir zu hart“, musste sich Thompson eingestehen.