Jakob Schubert, Jessica Pilz und Co. haben es vorgezeigt. 58.000 haben es bei der Kletter-WM in Innsbruck im September live in der Halle mitverfolgt. Dass Klettern ein spannender, vielseitiger, großartiger Sport ist. Ein Aspekt, der bei den WM-Helden ebenfalls nicht zu übersehen war: Klettern ist ein richtiger Fitmacher. Zumindest auf fortgeschrittenem Niveau. Wie schaut es mit dem Fitnessfaktor für uns Freizeitsportler aus? Kann man mit Klettern allein fit werden – oder muss man schon zuerst fit sein, um klettern zu können? Diese „Henne-Ei“-Frage kann Sportwissenschafter und Kletterexperte Peter Gebetsberger von den Naturfreunden recht einfach beantworten. Ja, Klettern macht fit. „Das Besondere ist die ganzheitliche Entwicklung, die der Sport ermöglicht.“ Gebetsberger führt aus: „Neben ganzkörperlicher Stabilisationskraft, Maximalkraft, Kraftausdauer und Beweglichkeit fördert es auch psychische Belastbarkeit und mentale Flexibilität.“
Der einzige Fitnessfaktor, der beim Klettern zu kurz kommt, ist die Ausdauer. Die sollte man daher ergänzend trainieren, etwa mit Laufen. Wer aber eine Ausdauersportart mit regelmäßigem Klettern kombiniert, kann seine Fitness perfekt entwickeln oder auf hohem Niveau stabilisieren.
Neue Erfahrungen zulassen
Jeder zwischen drei und 75 Jahren kann klettern, macht Peter Gebetsberger Mut, es einfach auszuprobieren. Auch über 80-Jährige treffe man mitunter in Kletterhallen oder Felswänden.Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, um klettern zu können? „Freude und Neugier an und Liebe zu körperlicher Bewegung“, sagt Gebetsberger. Plus: „Die Offenheit, neue körperliche Erfahrungen und mentale Herausforderungen auch zuzulassen.“
Bleiben wir gleich beim offensichtlichsten Benefit des Klettersports – dem muskulären Aspekt: „Eine ganzkörperliche Entwicklung der Muskelkraft passiert beim Klettern ganz automatisch. Besonders hört man immer wieder auch von Verbesserungen bei Rückenproblemen“, weiß der Sportwissenschafter, der weiter ausführt: „Klettern ist deshalb ein perfektes Body-Work-out, weil es den gesamten Körper muskulär beansprucht: einzelne Muskeln, ganze Muskelgruppen und Muskelschlingen.“
Einsteigerkurse für Kletterer werden in Kletterhallen, von Vereinen wie den Naturfreunden aber auch draußen angeboten. Theoretisch könnte man ja auch im Herbst noch an vielen Tagen draußen klettern – dennoch wird es die meisten Anfänger wohl in eine Kletterhalle ziehen: „Indoor sind die Beanspruchungen allgemein softer“, bestätigt Gebetsberger den Gedanken. Unsicherheits- und Gefahrenquellen fielen in Kletterhallen weg, und Anfängertouren ließen sich so gestalten, dass keine Überraschungen am Weg nach oben lauern. Ein Sicherungstraining lasse sich indoor ebenfalls leichter dosieren. Nicht zu vergessen das Argument, dass für viele eine Kletterhalle einfach leichter erreichbar ist als ein Kletterspot im Freien. Ein relativ zeitiger Einstieg auch outdoor erweitere andererseits das Klettervermögen ungemein. „Eine breite Basis – indoor und outdoor – bringt in Summe eine bessere Entwicklung, ein sensibleres Körpergefühl und damit auch ein breiteres Erlebnisspektrum“.
Bouldern oder Klettern?
Bouldern, also das Klettern in Absprunghöhe, hat für Einsteiger den Vorteil, dass man keinen Partner zum Sichern braucht und es sich generell „erspart“, den Umgang mit Seil und Sicherungsgerät zu erlernen. Andererseits ist gerade das Sichern eine wesentliche „soziale“ Komponente der Sportart. Also nachgefragt: Ist Bouldern oder doch Seilklettern die bessere Wahl für Kletter-Neulinge? „Spezielle Anfänger-Boulderwände eignen sich für die allerersten Versuche gut“, meint Gebetsberger. „Die weitere Entwicklung durch das ‚Spulen‘ von vielen Klettermetern in Routen bringt dann technische Erfahrung und hilft bei der Basisentwicklung der Kraft.“
Was es laut Gebetsberger auch zu bedenken gilt: „Bouldern ist in den meisten modernen Boulderhallen körperlich wesentlich herausfordernder als Wandklettern. An vielen Boulderwänden wirken die körperlichen Grenzen für weniger Geübte deshalb bald einschränkend.“ Keine Scheu vorm Seilklettern zu zeigen, ist also auch vom körperlichen Aspekt her sinnvoll.
Körperspannung statt Muskelpakete
Auf fortgeschrittenem Niveau funktioniere dann die „Entwicklung besonderer Bewegungsmodelle“ sowie spezieller Kraftfähigkeiten wiederum an den Boulderwänden sehr gut. Geht es später darum, im Klettern seine Leistungsfähigkeit weiter zu entwickeln, dann wird aber auch gezielte Kräftigung abseits der Kletterwände zum Thema. „Ein zusätzliches, ganzkörperliches Entwicklungstraining bringt nicht nur für das Klettern Vorteile, sondern für jede Sportart – und vor allem auch für den Alltag. Dabei geht es jedoch nicht um Maschinen-/Hanteltraining – sondern um ein vielfältiges und alternatives Training von Bewegungs- und Stützmuskulatur hinsichtlich Körperspannung“, empfiehlt Gebetsberger.
Sich mit der „Ganzheit des Körpers“ und dem internen Zusammenwirken von Muskeln zu beschäftigen, zahlt sich aus – idealerweise lässt man sich von erfahrenen Körpertrainern unterstützen. Was eher nicht gefragt ist, sind „Muskelpakete“ – „dies schafft meist Dysbalancen“. Sondern eine sinnvolle Ergänzung der Klettereinheiten mit Ausgleichs- und Entwicklungstraining.