Eine Urlaubsreise mit dem Rad: Das ist Entschleunigung und Abenteuer zugleich, ein Wechselspiel von intensivem Natur erleben und attraktivem Sightseeing. Für alle, die auf große Fahrt gehen wollen: Die elf besten Reisetipps von zwei, die schon rund um den Globus geradelt sind.


Nur damit gleich klar ist, welche Möglichkeiten sich mit dem Urlaubsfahrzeug Fahrrad auftun – das noch dazu null CO2, Stickoxide und Feinstaub emittiert: Der Aktionsradius auf einem Fahrrad ist tatsächlich größer als man glaubt – 70 bis 100 Kilometer pro Tag sind mit einer gewissen Grundkondition problemlos zu schaffen. Womit aus unseren Breiten zum Beispiel eine Urlaubsfahrt ans Meer in ein paar Tagen drin ist.
Die Hemmschwelle: Mehrtägiges Tourenradeln (sofern man sich nicht einem von Reiseveranstaltern durchorganisierten Radurlaub anschließt) riecht zwar nach Abenteuer und Freiheit, aber eben auch stark nach Schweiß, Pannen – und vor allem umständlichem Hantieren mit Gepäck und „Packesel“.
Genau für diese Art Erlebnisradeln haben wir zwei Ratgeber engagiert, wie sie erfahrener nicht sein könnten: Die beiden Grazer Weltumradler Philipp und Valeska Schaudy haben Ende Mai 2012 nach fünfeinhalb Jahren on Tour ihre Radreise um den Globus beendet – und wir haben sie gebeten, nun aus ihrem riesigen Erfahrungsschatz die wichtigsten Tipps zusammenzustellen, die allen Tourenradlern, die demnächst fünf, zehn oder mehr Tage on the road sein wollen, das Leben (und den Radurlaub) erleichtern können. Und Philipp und Valeska Schaudy starten ihre Beratertätigkeit gleich mit einer Aufforderung:

1. ENTDECKE EINE NEUE ART DES REISENS
Für Philipp und Valeska Schaudy ist das Fahrrad das perfekte Reiseverkehrsmittel – mit „entschleunigtem“ Tempo: „Einerseits ist man auf dem Rad langsam genug, um Landschaften intensiv zu erleben – und trotzdem schnell genug, um ordentlich vorwärts zu kommen“, erklärt Philipp. Der zweite große Vorteil, den Radurlauber genießen: Land und Leute lassen sich besonders einfach und authentisch kennenlernen! „Es muss mit der Ausstrahlung Radreisender zu tun haben: Man kommt immer wieder ganz automatisch mit netten und hilfsbereiten Menschen in Kontakt. Das funktioniert universell in den unterschiedlichsten Kulturen der Erde“, weiß Valeska.

2. SEI FLEXIBEL UND SPONTAN
Und damit in Zusammenhang können wir gleich einen zweiten grundsätzlichen Ratschlag der beiden Weltenbummler weitergeben: Schnürt euch selbst nicht ein zu enges Korsett! Wer täglich einen Zielort anpeilt und sich die Wege schon im Vorhinein aus der Karte herauspickt, sprich, die Tour akribisch durchplant, dem entgeht wahrscheinlich das Beste.
„Dadurch, dass man immer wieder mit Menschen in Kontakt kommt, kriegt man viele gute Ratschläge, für die man möglichst offen sein sollte“, empfehlen die beiden. Zum Beispiel zur Streckenwahl: Der schnellste Weg ist selten der schönste. Um sich allerdings auch nicht zu verzetteln und den Zeitplan (klar, einen solchen muss es auch geben, wenn man viel Zeit hat) über den Haufen werfen zu müssen, haben Philipp und Valeska sich alle vier bis fünf Tage ein Zwischenziel gesetzt. „Das mussten wir erreichen – nur wie, haben wir jeweils spontan entschieden.“

3. REIFEN MIT PANNENSCHUTZ
Welches Rad man am besten für die große Tour nimmt? „Einfach das, das ihr schon besitzt – vorausgesetzt, es lässt sich ein stabiler Gepäckträger montieren. Ein teures Rad macht doch keine bessere Tour. Wir waren mit Mountainbikes der mittleren Preisklasse unterwegs und kamen überall auf der Welt problemlos hin.“
Auf 87.000 schwer beladenen Kilometern kristallisierten sich klarerweise technische Schwachpunkte heraus. „Der Gepäckträger war der erste, der den afrikanischen Wellblechpisten zum Opfer fiel, im Verlauf der Jahre wurde jeder Teil der Räder mindestens einmal ersetzt.“ Aber das ist für durchschnittliche Tourenradler ja kein Thema – wirklich empfehlen können Philipp und Valeska Schaudy allerdings Reifen mit speziellem Pannenschutz wie den von ihnen benutzten „Schwalbe Marathon“: 67 platte Reifen, bloß alle 1.300 Kilometer einer – das lässt sich angesichts des extremen Einsatzgebiets schon vorzeigen.

4. DER SATTEL SOLL PASSEN
Ein Teil, auf das man im Vorfeld schon sein Augenmerk richten sollte, ist der Sattel bzw. die Frage, ob Sattel und Hintern zusammenspielen: „Da gibt es nämlich große Unterschiede – leider kann man das nur durch Ausprobieren herausfinden.“ Auch zu empfehlen: „Eine gefederte Sattelstütze. Die liefert so viel Komfort wie eine hintere Federung. Und greift man zu einem ‚Heavy Duty‘-Teil und nicht gerade zum Billigsten, dann hält so eine Sattelstütze ewig.“

5. LASS DIE HÄLFTE DAHEIM
Zum Thema Gepäck: „Unser Grundsatz war: Denk nach, was du alles mitnehmen willst und lass davon die Hälfte daheim“, sagt Valeska Schaudy. Das Einsparen von Gewicht und Platz nahm auf der Weltreise radikale Zügean – sogar überflüssigeUmschlagseiten vom Karten- und Führermaterial wurden geopfert. „Und zum Essen reichen auch Löffel und Topf – Gabel und Teller sind da überflüssiger Luxus.“ Für vergleichsweise kurze Touren ist das natürlich nicht unbedingt notwendig – trotzdem lohnt es sich, über jede Form der Gewichtseinsparung nachzudenken. „Es ist ganz einfach: Je leichter, desto mehr Spaß“, weiß Philipp.

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6. FÜR GEWICHTSAUSGLEICH SORGEN
Noch ein Tipp zum Gewicht: Philipps vollbeladenes Bike wog insgesamt 55 Kilo, Valeskas Packesel brachte 35 Kilo auf die Waage. Auch das sind natürlich Dimensionen, die „Normaltourer“ kaum errei chen werden – was man trotzdem davon lernen kann: „Körperliche Unterschiede, etwa wenn Mann und Frau gemeinsam auf große Fahrt gehen, sollte man über die Gepäcksverteilung gutausgleichen.“

7. SCHWERPUNKT TIEF HALTEN
Gepackt wird so: Schwere Sachen gehören nach unten, um den Schwerpunkt der Bikes möglichst tief und neutral zu halten. „Trotzdem müsst ihr das Fahrund Bremsverhalten des vollbeladenen Rades vor der Abreise einmal ausprobieren. Unsere Bikes jedenfalls fuhren sich wie Motorräder, nur zum Treten“, erklärt Philipp. Für kleinere Mehrtagestouren sollten hintere Packtaschen und eine Lenkertasche reichen, meinen die beiden erfahrenen Tourenbiker. Wertsachen und Kamera gehören in die Lenkertasche, weil die am einfachsten ab- und immer mitgenommen werden kann. Wer will, kann an den Vorderrädern sogenannte „Low Rider Taschen“ montieren. „Ob man das Gewicht vorne und hinten verteilt oder nur hinten ansiedelt, das ist Geschmackssache. Beides hat im Fahrverhalten Vor- und Nachteile.“ Sicher nicht beim Tourenradeln zu empfehlen ist ein schwerer Rucksack, der an den Schultern zerrt.

8. DAS BIKE NIE ALLEIN LASSEN
Trotz abnehmbarer Lenkertasche galt für Philipp und Valeska Schaudy auf ihrer Welttournee der eiserne Grundsatz: Vollgepackte Räder nie allein lassen! Egal wo, ob in der Stadt oder am Land, in Afrika, Asien oder nah der Heimat. „Man erspart sich damit Scherereien und bringt Langfinger oder Souvenirjäger gar nicht auf blöde Gedanken. Beim Übernachten kamen die Bikes mit aufs Zimmer – und wenn das ein Unterkunftgeber nicht erlaubte, wurde eben nach einem anderen Schlafplatz gesucht.“

9. ÜBERNACHTEN IM ZELT
Womit wir gleich beim Thema Übernachten gelandet sind: In vielen Teilen der Welt ist das ein Abenteuer für sich – aber am authentischsten ist für puristische Radreisende, auch mitten in Europa, sicher die Nacht im Zelt. „Schon weil wir m liebsten in der Natur sind, haben wir, so oft es ging, im Zelt übernachtet. Aber auch, weil man damit am flexibelsten ist.“ Dass Philipp und Valeska dabei nicht immer nur an legalen Zeltplätzen campierten, muss man als Tipp ja nicht weitergeben; dass man am Morgen dann jeden Mist (bis zum Toilettenpapier) aus der Natur wieder mitnimmt und dort entsorgt, wo er hingehört, aber schon …

10. COUCHSURFING FÜR RADFAHRER
Noch ein guter Rat zum Schlafplatz: Im Internet auf www.warmshowers.org werden weltweit Gratisschlafplätze speziell für Radreisende angeboten – nach der Art von „Couchsurfing“. „Üblicherweise stammen die Angebote von Leuten, die selbst gern mit dem Bike unterwegs sind, und mit denen man sich deshalb auch sehr gut austauschen kann.“ Philipp und Valeska haben übrigens auf ihrer Reise insgesamt rund 2.000 Mal genächtigt und könnten über dieses Kapitel endlos erzählen – über unzählige spontane Einladungen von Privatpersonen über eine Gratisübernachtung im Luxushotel bis hin zur nächtlichen Umzingelung durch eine Kuhherde in Australien. Klingt lustig, war aber nicht ganz ungefährlich …

11. NIE LEICHTSINNIG SEIN
… was uns zum Abschluss noch einmal zum Stichwort „Sicherheit“ bringt: „Abgesehen von einigen unangenehmen Begegnungen mit Tieren hatten wir wirklich Glück. Kein einziges negatives Erlebnis, wie Überfälle oder ähnliches, in fünfeinhalb Jahren. Aber wir waren insgesamt sehr vorsichtig, haben etwa in Gegenden, wo wir uns nicht sicher fühlten, einsame, versteckte Plätze für Zelt und Bikes gesucht und hinterlassene Spuren verwischt.“
Auch diese grundsätzliche Vorsicht ist – bei aller gebotenen Offenheit – sicher ein Ratschlag unserer zwei Weltenbummler, den man weitergeben kann. Und der mithelfen sollte, dass auch eure Urlaubsradreise zu einem einzigartigen Erlebnis wird. Bleibt nur noch die Parole, die euch Valeska und Philipp Schaudy mit auf die Tour geben: „Aufsitzen und ab durch die Mitte!“

DIE WELTUMRADLER
PHILIPP und VALESKA SCHAUDY aus Graz bereisten seit Herbst 2006 mit dem Rad 55 Länder auf allen Kontinenten. Dabei legten sie 87.020 km zurück und verbrachten 5.559 Stunden und 25 Minuten im Sattel. Nährere Infos zur Tour und traumhafte Eindrücke findest du auf www.2-play-on-earth.net

Reiseverlauf

Herbst ’06 bis Jänner '08: Vom Nordkap zum Kap L’Agulhas (südlichster Punkt Afrikas); Jänner bis Dezember '08: Rund um Australien; Dezember ’08 bis Mai '09: von der Südspitze Indiens nach Delhi – plus Abstecher nach Nepal; Mai ’09 bis April ’11: „Panamerika“ von Alaska nach Feuerland); Juli bis Dezember ’11: Kreuz und quer durch Neuseeland sowie durch China, Vietnam, Laos, Thailand, Kambodscha; Dezember ’11 bis März ’12: durch die USA von Ost (Los Angeles) bis West (Miami); März bis Mai ’12: Von Portugal zurück nach Österreich

Superlative
• Längste Etappe: 216,24 km in Südnamibia
• Schnellste Tagesetappe: 27,10 km/h Schnitt auf 215 km bei Rückensandsturm im Sudan
• Langsamste Tagesetappe: 6,74 km/h in Nordkenia bei tiefem Schotter (7:26 h für ca. 50 km)


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