Kennt jemand die Geschichte, wie das MTB in die Alpen kam? Centurion-Gründer Wolfgang Renner kann sich noch gut erinnern – bloß spricht er kaum darüber. 

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Einige Jahre ist es nun auch schon wieder her, da hat Wolfgang Renner sein Leben in Buchform niedergeschrieben. Die Zeilen erzählen von spektakulären Bike-Touren im Himalaya und zu hohen südamerikanischen Gipfeln, erinnern an legendäre Rennsiege, leichtfüßige Manöver am Kunstrad und schicksalsträchtige Tage im Porsche. Sie erzählen aber auch Geschichten von der Geburtsstunde des modernen Mountainbikes, von frühen Alpenüberquerungen und einer Aufnahme in die Mountainbike Hall of Fame. Seine gesammelte Lebensgeschichte hat der heute 74-Jährige allerdings nur für seine engsten Freunde niedergeschrieben. Damit an die Öffentlichkeit zu gehen, wäre dem bescheidenen Schwaben zu plump, zu laut – dass Wolfgang Renner mit seiner Marke Centurion 1982 das Mountainbike nicht nur nach Europa brachte, sondern in gewisser Weise auch neu erfand, diese Geschichte müssen andere erzählen.

Es scheint unter Pionieren zum guten Ton zu gehören, dass ihre Geschichte mit eindrucksvollen Zahlen beginnt. Zahlen, mit denen auch der deutsche Mountainbike-Pionier zu beeindrucken weiß. Denn um in jungen Jahren die 36 Mark für Zugtickets zu sparen, pendelte Wolfgang Renner kurzum mit dem Fahrrad vom heimischen Magstadt zu seiner Lehrstelle als Elektromechaniker in Stuttgart. Stolze 70 Kilometer täglich, 350 Kilometer in der Woche, über 16.000 Kilometer im Jahr bei jedem Wind und Wetter. Abends ging er dann gemeinsam mit Zwillingsbruder Jürgen der vom Vater geerbten Leidenschaft zum Kunstradfahren nach. Eher zufällig stolperte Renner in ein Querfeldeinrennen, fuhr allerdings ob seiner vielen gesammelten Kilometer kombiniert mit überlegener Radbeherrschung direkt aufs Podest. Trotz der Proteste eines der Eleganz des Kunstradsports verfallenen Vaters endete Renners neue Leidenschaft zum Querfeldein in drei deutschen Meistertiteln. Bei der WM 1972 verpasste er trotz zweier Platten nur knapp den Titel und sicherte sich die Bronzemedaille. Nachwehen eines teuflischen Dreigestirns aus juvenilem Übermut, Zuffenhausener Automobilbaukunst und unverrückbarem Tiefwurzler zwangen die Karriere aber schließlich in die Knie.

Im Versuch, die gelebte Leidenschaft zum Radsport auch nach Karriereende ausleben zu können, gründete Wolfgang Renner 1976 Centurion. Auf Anfrage eines alten Sportkameraden, der bei der Firma Messingschlager beschäftigt war, begann er damals als Großhändler für die japanischen Marken Suntour und Sugino. Bald schon wurden eigene Fahrräder entwickelt – mit dem Centurion Country brachte Renner 1982 schließlich das Mountainbike nach Deutschland. „Wenn ich mich noch richtig erinnere, kam ich erstmals auf einer Bike-Messe in Anaheim, Kalifornien, mit dem noch fremden, neuen Gefährt in Berührung. Ich war hellauf begeistert, wollte es aber gerne sportlicher haben“, erzählt der Vordenker. 

Er nahm ein Stück Papier zur Hand und skizzierte „seine“ Idee vom Mountainbike. Die amerikanischen „Klunker“ waren ihm mit seinem sportiven Hintergrund zu plump. Mit kürzerem Radstand sowie steileren Sitz- und Steuerrohrwinkeln unterschied sich das „Centurion Country“ deutlich vom amerikanischen Ansatz, war dadurch voll tourentauglich. Gemeinsam mit seinem guten Freund Andi Heckmair wagte sich der Erfinder 1989 damit an eine der ersten Alpenüberquerungen überhaupt. Und seit 2017 findet man den Namen Wolfgang Renner auch endlich in der berühmten Mountainbike Hall of Fame.

Seit 2017 findet sich der Name Wolfgang Renner auch in der legendären Mountainbike Hall of Fame.

Bereits lange vor all dem hatte ihn die Faszination für ferne Länder und andere Kulturen gepackt. Erste Berührungspunkte, so Renner, waren die „Sanella-Sammelbilder“ (Anmerkung: Sammelbilder zu fernen Ländern des deutschen Margarine-Herstellers Sanella), die faszinierende Einblicke greifbar machten und die Neugierde weckten. Auch Heinrich Harrers Buch „Sieben Jahre in Tibet“ faszinierte nachhaltig und motivierte schließlich sogar zu einem Besuch in Tibet. 

Und so war Renner schon vor dem Mountainbike abenteuerlich unterwegs, kämpfte sich bereits mit Renn- und Querfeldeinrad über die Alpen, bestritt den norwegischen Radmarathon Oslo–Trondheim, fand gemeinsam mit Rennrad-Legende Eddy Merckx und dessen wilder Truppe auf Korsika, in Südfrankreich, den Vogesen und der Toskana seine Grenzen und war viel auf Reisen. Mit dem „Country“ eröffneten sich ihm aber völlig neue Möglichkeiten im Himalaya genauso wie in Südamerika und in den Alpen. Man munkelt, auch ein verzweifelter, weil nach Karriereende schwer übergewichtiger Kannibale – so nannte die Radsportwelt einst Eddy Merckx – hätte den nun mountainbikenden Renner auf einem Himalaya-Abenteuer begleitet. Das nächste Abenteuer für den heute immer noch fitten 1947er-Jahrgang? Eine gemeinsame Tour mit Freunden auf einem der vielen Jakobswege.

Neben seinen Abenteuern investierte Renner aber stets auch viel Zeit in Centurion, 12-Stunden-Tage waren für den Geschäftsmann und Vordenker keine Seltenheit. Neben der Merida & Centurion Germany GmbH, wie das Unternehmen heute heißt, ist Renner auch einer von zwei Geschäftsführern der Merida R&D Center GmbH. Erstere lenkt neben den Geschicken von Centurion auch den Vertrieb des taiwanesischen Fahrrad-Giganten Merida in Deutschland. Zweitere hat seit einigen Jahren die Entwicklung für Merida übernommen. Rund 100 Modelle finden sich in der Produktpalette von Centurion, bei Merida sind es wohl noch viel mehr. Nicht nur deshalb wird es für den Bike-Pionier Wolfgang Renner wohl so schnell nicht langweilig – auf seinen Bikes und abseits davon.