Durch die Wüste? O.k. Auf Berge? Auch nett. Durch New York? Großartig. Aber alles nichts gegen einen Marathon durch das Stollensystem eines Bergwerks, 700 Meter unter der Erdoberfläche - die Rede ist vom Untertage-Marathon in Sondershausen. Man kann es verrückt nennen. Und man wird damit recht haben.
Der Sand knirscht unter den Schuhsohlen, die Luft hat wohligwarme 23 Grad, schmeckt zart nach Salz. Nein, kein Spätherbsttag an einem Strand in Griechenland. Und nein, nicht die besten Voraussetzungen für einen Marathon. Aber sicher eine der schrägsten Kulissen für ein Laufevent.
Sondershausen, eineinhalb Autostunden nordwestlich von Leipzig. Kalibergwerg „Glückauf“, Brügman-Schacht. 513 Starter hat die Erde an diesem Samstagmorgen im November verschluckt. Mitten drin: Ich, der „Mann fürs Grobe“, wenn bei SPORTaktiv eine Live-Story ansteht ...Es ist eng und dunkel. Nur Lichtkegel von Stirnlampen huschen durch die Finsternis. Schulter an Schulter haben wir uns in eine klapprige Liftkabine gedrängt. 15 Personen, drei Reihen. Die Rücken lehnen sich an schmutzige Stahlwände, vorne und hinten ist die Kabine nur mit Vorhängen aus dicken Plastikplanen abgesichert. Durch kleine Schlitze sieht man draußen die Gesteinswand vorbeiziehen. Das Ruckeln wird vom Krächzen und Knirschen der Stahlseile begleitet. Knapp zwei Minuten dauert die Liftfahrt in die Tiefe. 700 Meter unter der Erdoberfläche spuckt uns die Transportzelle wieder aus. Das Werk war zu DDR-Zeiten Teil des Kalikombinats, seit 2006 wird nur noch Streusalz für den Winterdienst abgebaut. 200.000 Tonnen pro Jahr. Aha!
ZWÖLF RUNDEN IM TUNNEL
Der nächste Aha-Moment: Ist das groß hier! Der Enge des Aufzugs folgt die räumliche Großzügigkeit des Stollens. Die Dimension des Schachtes erinnert an einen zweispurigen Straßentunnel. In einem Nebengang steht ein Bagger, an mehreren in den Stollengängen geparkten Lkw werden wir später vorbeilaufen. Sie werden zu Orientierungspunkten, Zwischenzielen auf den zwölf Runden, die bei diesem Marathon zu absolvieren sind. Und noch so ein Aha-Moment: Ist das warm hier! Freilich, man war durch entsprechende Hinweise des Veranstalters vorgewarnt, auch sind die Verhältnisse nur Resultat des ganz normalen Erdschichtenaufbaus – alle 30 Meter nach unten nimmt die Temperatur automatisch um rund ein Grad Celsius zu. Die 23 Grad, die einem beim Aussteigen aus dem Lift entgegenschlagen, wirken in diesem Moment wie eine Keule. Geothermie zum Einatmen. Wie ein Sommertag – nur fehlt die Sonne. Stattdessen sind die Stollenabschnitte mit Lampen teils hell ausgeleuchtet, teils zappenduster. Zumindest so ist für Abwechslung gesorgt, rein aussichtsmäßig bleibt’s in den Gängen zwangsläufig bei optischer Schonkost: Graubraunrötliche Steinmauer links und rechts, graubraunrötliche Steinmauer über einem, sandig-steiniges, graubraunrötliches Granulat unter den Füßen. Dieser unfeste Untergrund macht es vom Start weg auch nicht gerade einfacher. In jeder Kurve, bei jedem Anstieg gibt der Boden leicht nach. Und es gibt beim Untertage-Marathon viele Kurven. Und lange Anstiege. Wieder so ein Aha-Moment: Es ist ein Berglauf! Die 3,5-km-Schleife windet sich biegend und vor allem hügelig durch das Gangsystem der insgesamt 23 Quadratkilometer großen Lagerstätte, an der seit 1893 Steinsalz abgebaut
wird. 85 Höhenmeter sind es pro Runde. Macht am Ende des Marathons knapp über 1.000 Höhenmeter!Bei den ersten fünf Runden schaffe ich den Anstieg hinauf ins Start-Ziel-Areal noch laufend, bei Runde 6 wird es zum Kampf, in der zweiten Halbzeit wird in diesem Abschnitt nur noch gegangen. Diese Taktik scheint sich ein Großteil der Läufer zurecht gelegt zu haben. Dass es davor lange Passagen nur bergab geht, ist zwar logisch, aber mit schwindender Kraft für dynamisch-dämpfend-dahinrollende Laufschritte mindestens ebenso anstrengend. Zumindest finden das meine Beine.
GÄNSEHAUT BEI AC/DC
Irgendwann ab Runde 8 glaubt es auch mein Kopf. Die ersten Runden ist er noch vollgepumpt mit Glückshormonen. Schon die Inszenierung des Startprozederes pumpt eine Überdosis davon durch den Körper: Die Berg--
werkskapelle hat neben dem Schrein für die Heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, Aufstellung genommen. Man muss kein Freund von Blasmusik sein, um in dieser Atmosphärebei den Klängen des historischen Bergmannslieds „Der Steiger kommt“ Gänsehaut zu bekommen. Man muss auch kein Freund der aufwühlenden Bassgitarren-Hymne „Hells bells“ von AC/DC sein, die wenig später aus den Lautsprechern brüllt, um zu spüren, dass es keine Laufkulisse auf diesem Planeten gibt, in die dieser Song besser passt. 700 Meter unter der Erde, der Heimat des Teufels wahrscheinlich schon ziemlich nahe, gibt’s nämlich keinen Startschuss, sondern bergwerksüblich einen laut wummernden Schlag auf einen metergroßen Gong. Klingt echt wie die Höllenglocke.
Video: Stimmungsvolle Bilder vom Untertage-Marathon in Sondershausen 2014
MARATHON MIT VIELEN KURVEN
Die treibt uns gleich nach der ersten Kurve über einen giftigen, kurzen Anstieg. Schnell verstummt das Getratsche im Läuferpulk und wird durch kollektives Geschnaufe abgelöst. Das wird sich bis ins Ziel nicht ändern. Zum sonst durchaus üblichen Austausch von Lauferlebnissen hat hier niemand so recht Lust. Jeder ist hier vor allem mit sich selbst beschäftigt. Einen Rhythmus zwischen den phasenweise fast steilen Bergabstücken, den wenigen wirklich flachen Teilen und den zähen Anstiegen zu finden, ist nämlich fast unmöglich.
Noch dazu scheinen die Abwärtspassagen bei jeder Runde kürzer zu werden, während die Bergaufabschnitte sich in die Länge zu ziehen beginnen. Schnell muss ich mein zu Beginn eingeschlagenes Tempo zurücknehmen. Der 5-Minuten-Schnitt pro Kilometer wächst sich zeitweise wegen Fotostopps (muss in dieser Kulisse sein) und Kräftemangel (kommt in dieser Kulisse schneller als gedacht) auf sechs Minuten aus. Dafür ist die Bewältigung des nicht enden wollenden Schlussanstiegs entlang des riesigen Förderbands bei jeder Runde wie ein kleiner Zwischensieg der Beine über den Kopf. Der übrigens durch einen verpflichtend zu tragenden Fahrradhelm geschützt ist.
Elf dieser Etappenerfolge führen mich schließlich nach fast viereinhalb Stunden in die Zielgerade – und zu einem inbrünstigen: Glück auf!
UNSER MANN FÜRS GROBE
Klaus Höfler stellte sich diesmal für SPORTaktiv der Herausforderung des Untertage-Marathons in Sondershausen in der Nähe von Erfurt. Er bewältigte die Strecke (42 km, 1.020 hm) in 4:26,59 Stunden. Sieger: Maik Willbrandt 3:07,01 bzw. Yvonne Turi-Hodel 3:36,40. Halbmarathon: Michael Regele 1:32,52 bzw. Kerstin Hein 1:55,00. Bei dieser 13. und vorerst letzten Veranstaltung auf dem Gelände des Salzbergwerks nahmen 513 Läufer aus 15 Nationen teil.
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