Barcelona, Rom oder Hamburg – über Angebote zum geführten „Sightjogging“ sind wir schon öfter gestolpert – und haben die Infos auch an unsere Lerserschaft weitergeleitet. Klingt schließlich verlockend, einen lockeren Trainingslauf mit einer unterhaltsamen Stadtbesichtigung zu verbinden.

Aber irgendwie haben wir uns dabei immer gefragt: Widerspricht es nicht der Natur einer Sehenswürdigkeit, einfach daran vorbeizuhetzen? Wie flott ist man dabei eigentlich unterwegs? Wie aufnahmefähig ist der Geist beim Laufen? Und kann man von so einem Sightjogging auch einen Trainingseffekt erwarten?
Kurz gesagt: Es war Zeit für einen Selbstversuch – zumal seit 2009 Sightjogging-Touren auch in Wien angeboten werden und das Team von „Run and see“ heuer auch offizieller Partner des Vienna- City-Marathons war. Übrigens ist die Bundeshauptstadt (mit zwei Anbietern) derzeit noch die einzige Stadt, in der sich das Service einfach buchen lässt. In Graz und Salzburg teilte man uns mit, Sightjogging „auf Anfrage“ zu bieten. Zum Vergleich: In Hamburg wird schon seit 2001 joggend durch die City geführt.

IN JEDEM TEMPO
Um 10 Uhr treffen wir, drei Laufminuten von der Innenstadt entfernt, auf unsere joggende Fremdenführerin, die „Run And See“-Gründerin Ruth Riehle. Hätten wir es gewünscht, dann hätte sie uns auch um 6 Uhr morgens beim Hotel abgeholt. Sightjogging lässt sich nämlich bei „Run and see“ zwischen 6 und 22 Uhr buchen. Sinnvoll, sind viele der Kunden doch keine normalen Touristen, sondern Geschäftsreisende, die vor dem Businessmeeting ihre Laufrunde absolvieren und nebenher ein paar wissenswerte Dinge über die Stadt erfahren wollen, in der sie gerade sind.
Wie schnell wir denn laufen wollen, lautet die Einstiegsfrage. „Na ja, Plaudertempo halt“ ... Nein, Trainingsziel haben wir kein bestimmtes. Dürften wir aber ruhig haben, erklärt uns Ruth. Es kam schon vor, dass sich Kunden einen 20 Kilometer langen Marathonvorbereitungslauf mit Sighseeingfaktor wünschten. Kein Problem, denn alle Guides sind selbst erfahrene Marathonläufer, Ruth ist auch ausgebildete Personal Trainerin. „Die Schaukom­ponente verkleinert sich bei den flotteren Läufen entsprechend – die Basisinfo lässt sich aber auch so rüberbringen.“
Wir einigen uns zum Ausprobieren auf die meistens gebuchten 6 Kilometer in einer Stunde. Damit können wir nicht nur zuhören, sondern haben sicher auch noch selbst problemlos Luft zum Fragenstellen.
Aufwärmen bei der Oper, dann in den Burggarten, vorbei am Palmenhaus (mit kurzem Seitenblick ins laut Ruth sehr empfehlenswerte und geschmackvoll eingerichtete Café – was wiederum ein paar verwunderte Blicke auf die Menschen in Laufmontur nach sich zieht) und zur Mozartstatue. Anschließend geht’s weiter zu Parlament, Museumsquartier, Rathaus und Burgtheater.
Unsere Fremdenführerin erzählt bunt gemischt – zum Beispiel über die historische Bedeutung von Theater und Oper fürs Volk, über Baustile und Baumeister, den Einfluss der politischen Lage auf die Errichtung der Prachtbauten am Glacis und noch vieles anderes. Natürlich bleibt nicht die Zeit, bei den einzelnen Sehenswürdigkeiten tiefer in die Materie einzudringen – aber das ist schließlich bei einer Sightseeingtour im Bus auch nicht anders. Wir können dafür (auch nicht schlecht) dank der moderaten Gruppengröße rückfragen.
Apropos Gruppengröße: Ein Guide für vier Läufer/-innen ist aus akustischen Gründen sicherlich das Limit (größere Gruppen werden auch nicht angeboten). Um wirklich alles zu verstehen, sollte man sich möglichst neben statt hinter dem Guide aufhalten. Bei solcher „Formation“ lässt es sich für die Gruppe dann auch nicht vermeiden, ab und zu versehentlich einen neben dem Gehweg liegenden Radfahrstreifen in Beschlag zu nehmen. Die entsprechende Reaktion eines „netten“ Wiener Radlers („Hobt’s an Poscher?!“) folgt bei unserem Testrun auf den Fuß.

ÖSTERREICHISCHE MENTALITÄT
Weiter durch die Herrengasse auf den Michaelerplatz: Hier stehen die berühmten Wiener Kaffeehäuser wie Central, Grien­steidl und wie sie alle heißen. Die Kaffehauskultur als Teil der Mentalität der Wiener und überhaupt der Österreicher kommt zur Sprache. Ruth stammt aus Deutschland – und musste sich mit eben jener österreichischen Mentalität auch beim Etablieren ihrer Sightjogging-Idee herummühen. Einfach Fremdenführungen anbieten, das darf natürlich nicht jeder Ungeprüfte! Ruth hat sich nach längerem „Kampf“ mit der Bürokratie so weit arrangiert, dass Interessenten von Wien Tourismus an sie weitergeleitet werden. Aber mühsam sei es schon gewesen, erzählt sie uns im Anschluss an unsere Jogging-runde. Deshalb wundert sie es auch nicht, dass es in Österreich noch so wenige Sightjogging-Anbieter gibt.
Über den Stephansplatz, am Hotel Sacher und an der Albertina vorbei endet unser Runde wieder bei der Oper. Wir haben uns übrigens für die traditionellste und am meisten nachgefragte Runde durch die Innenstadt entschieden. Kunden können immerhin zwischen 10 unterschiedlichen Routen wählen. Auch individuell zusammengestellte Touren sind möglich.

EXKLUSIVITÄT HAT IHREN PREIS
Das Fazit nach unserem Testlauf: Sightjogging ist durchaus geeignet, einen schnellen Eindruck von einer Stadt zu gewinnen und ein paar lustige Anekdoten zu erfahren! Für sportliche Businessgäste, die keine Zeit für Sightseeing haben, ist es wirklich ideal. Sonst joggt man ja oft planlos frühmorgens vom Hotel weg los und sieht meist nur Wohnhäuser – oder man kann das Gesehene gar nicht zuordnen. Einen vollwertigen Rundgang mit Fremdenführer kann und will das „Run and see“-Angebot aber gar nicht ersetzen. Über einen gesteigerten Trainings­effekt (geht zulasten des Informationswerts) bestimmt der Kunde selbst.
Bleibt zum Schluss noch der Preisvergleich: 40 Euro kostet das einstündige Mitlaufen in einer Vierergruppe (als Einzelläufer zahlt man für den Guide 80 Euro). Das ist nicht gerade günstig, wenn man bedenkt, dass man um dieses Geld zum Beispiel auch eine dreistündige Bustour bekommt – und der Eintritt ins Schloss Schönbrunn ist da auch schon inkludiert. Andererseits heißt es bei einer Tour im Fiaker zum 40-Euro-Tarif gar schon nach 20 Minuten: „Es hat mich sehr gefreut – aber jetzt bitte absitzen.“ Exklusive Angebote kosten eben ein wenig mehr. Und exklusiv ist es, das Sightjogging.