Wir sind keine Roboter. Schon gar nicht beim Sport. Trotzdem geht ohne Ladekabel und Batterie nichts mehr. Ob Apps, Navi, Pulsuhr oder Elektrostimulations-Anzüge: Unser Training wird immer technischer. Aber deshalb auch besser?


Ein verschwitztes Handtuch, ein Paar Turnschuhe und müffelnde Socken waren vielleicht zu Zeiten der legendären „Radio-Vorturnerin“ Ilse Buck noch alles, was man in den Sporttaschen ambitionierter Hobbysportler gefunden hat. Heute kommen sportlich ausgerichtete Typen mit solchen analogen Accessoires allein längst nicht mehr aus. Ladegeräte, Ersatzkabel, Laptop oder Tablet, Kopfhörer, Tracker, GPS und natürlich das Smartphone machen das Turnbeutel-Equipment der Neuzeit aus. Der Sport ist technischer denn je geworden. Immer neue, immer bessere und immer coolere technische Gimmicks und elektronische Trainingsgeräte fluten den Fitness-Markt. Tendenz? Steigend.

GESTERN HANTELN, HEUTE HIGHTECH
Begonnen hat dieser Stromstoß indoor: Fitnessstudios, die ihren Mitgliedern lediglich ein stilles Fleckchen Trainingsfläche, schwere Eisen und das eine oder andere antiquierte Laufband bereitstellen, kennt man eigentlich nur noch von Schwarzweiß-Bildern. Fitnessstempel von heute heißen „Fitness Future“ oder „Body Performance“ und zählen mindestens ebenso viele Steckdosen, wie Mitglieder. Ergonomische Ausdauer-Maschinen, hoch entwickelte Messstationen zur Leistungsüberprüfung, elektronische Muskelstimulations-Anzüge und sogar virtuelle Trainer gehören zum technischen Standard-Repertoire der Muckibude 2.0.
Längst aber haben sich die technischen „Helferlein“ von der Steckdose abgekoppelt und auch die sportliche Freiluftszene erobert. Techno-Tools zählen zum Fixbestand eines modernen Trainings-Equipments – Apps sind das neues Anabolikum, digitale Tracker die neuen Trainer. Technik ist einfach überall.
Das Thema „Technologie im Sport“ ist inzwischen sogar so groß geworden, dass Hochschulen eigene Studiengänge dafür entwickelt haben. „Vor wenigen Jahren zählten wir noch zu den ersten Hochschulen, die sich auch aus wissenschaftlicher Sicht mit dieser Entwicklung befasst haben“, erklärt Professor Anton Sabo, Institutsleiter „Sports Engineering & Biomechanics“ und Studiengangsleiter „Sports Equipment Technology“ am FH Technikum in Wien, „heute ist die Nachfrage nach Studiengängen, die sich mit Sport und Technik befassen, gigantisch. Technische Unterstützung beim Sport ist einfach ein unaufhaltsamer Trend geworden“.

KEIN TRAINING MEHR OHNE TECHNIK?
Was ist aus den guten, alten Zeiten geworden, als zum Sport nur ehrlicher Schweiß und Sportsgeist gehörte? Und kein technischer und vor allem teuerer Schnickschnak. Ohne Handy kann heute schon längst niemand mehr leben. Wird sich auch die Zukunft des Sports ähnlich entwickeln? Haben wir uns vielleicht nicht nur verkabelt, sondern damit auch versklavt? Kommen wir ohne Strom bald nicht mehr aus? „Wahrscheinlich nicht“, lautet die nüchterne Antwort von Prof. Sabo. Die Sportindustrie wird im technischen Bereich immer größer und gefragter. „Einen Arbeitsmarkt der Zukunft“ nennt Sabo diese Branche. Und wirft mit dieser These natürlich gleich die nächste Frage auf. Was genau bringt uns die neue, sportliche Technik-Schwemme? Neue Arbeitsplätze? Super! Sinnvolle Unterstützung beim Training? Ebenfalls super! Oder in erster Linie doch eher einen neuen Absatzmarkt für die großen Sportartikelhersteller?

Video: Technik-Promotion von Polar


HIGHTECH FÜR HÖCHSTLEISTUNG

„Natürlich ist es nicht zu leugnen, dass die Industrie ein enorm großes Geschäftsfeld in der Entwicklung und dem Vertrieb technischer Hilfsmittel für Sportler aufgetan hat. Der Entwicklung nach zu urteilen wird Technik künftig sogar eines der größten Absatzpotenziale der Sportbranche werden“, sagt der Experte, stellt aber auch klar: „Trotzdem ist es keinesfalls eine reine Geldmacherei, die hier betreiben wird. Vor allem im Profisport sind technische Helfer ein Motor für immer neue Rekorde und Spitzenleistungen. Nur ein Beispiel: Eine der jüngsten Innovationen ist ein Tennisschläger, der fehlerhafte Schläge erkennt und auswertet. Anhand von hochsensiblen Daten zeigt dieser Hightechschläger dem Spieler, ob er mit zu viel oder zu wenig Druck, mit einem falschen Schwung oder einer ungünstigen Technik gespielt hat. Profisportler bekommen auf diese Weise den letzten Feinschliff für ihr Spiel und setzen damit neue Maßstäbe im Sport“, sagt der Professor.

MEHR POWER AUCH FÜR HOBBYSPORTLER
Technische Gimmicks helfen also wieder den Guten, noch besser zu werden. Aber was ist mit uns Hobbysportlern – der breiten und vor allem kaufkräftigen Masse? Was haben wir Freizeitathleten von dem ganzen sportlichen Techno-Trip? „Recht viel“, sagt Sabo, „denn Entwicklungen, die im Profibereich ihren Ursprung haben, werden später logischerweise auf den Hobbysportler adaptiert, um Absatzmärkte zu schaffen. Auch im Fall des besagten Tennisschlägers wird es wohl früher oder später ein Modell für den Massenmarkt geben.“ Und dieses Wunderracket steht nur stellvertretend für viele andere Innovationen, die gerade den Hobbysportlern das Streben nach Erfolg leichter machen sollen. Und das beginnt schon auf unterstem Level! „Noch sinnvoller sind solch fehlerweisende Hilfsmittel erst recht für Sportler, die eine Sportart gerade erst erlernen wollen“, ergänzt Sabo. Durch sofortige Korrekturen wird die Sportart nämlich gleich in ihrer richtigen Ausführung erlernt, sodass die Bewegungen und Techniken gleich in Fleisch und Blut übergehen. „Das macht schon großen Sinn. Denn wir alle wissen, wie viele Fehler man als Anfänger macht, wie schwer man sich beim Training tut – und wie ewig es dann oft dauert, um diese Defizite zu korrigieren und wirklich Spaß und Erfolg am Sport zu finden. Das motorische Gedächtnis des Körpers braucht nämlich bis zu 200.000 korrekte Wiederholungen, um einen falschen Bewegungsablauf in einen einwandfreien Automatismus umzuwandeln. Solche Umwege könnten sich Hobbysportler künftig ersparen, wenn sie gleich von Beginn an auf einen ,Techno-Coach‘ vertrauen.“

Video: Timo Bracht von Garmin über technische Leistungsmessung für Triathleten


SAFETY FIRST: GESÜNDER TRAINIEREN DURCH TECHNIK

Aber nicht nur für die Präzision und Beherrschung einer Sportart sind technische Gimmicks ein Segen des Hightech-Himmels. Auch einen enormen gesundheitlichen Nutzen versprechen sich die neuen Technik-Verfechter von den Innovationen, die derzeit entwickelt werden oder bereits am Markt erhältlich sind. Professor Sabo: „Hobbysportler neigen bekanntlich dazu, ihre körperliche Fitness falsch einzuschätzen und sich so zu über- oder unterfordern. Vor allem beim Skifahren oder im Lauftraining sind Fälle der Überschätzung keine Seltenheit. Während sich ja die Kondition rasch steigern lässt, kommt der restliche Bewegungsapparat oft nicht mit dem Trainingstempo eines ehrgeizigen Sportlers mit. Sehnen, Bänder und teilweise sogar Knochen leiden unter der Überforderung, Sportverletzungen sind oft die traurige Konsequenz. Hier können Hilfsmittel, die den Trainingszustand und die körperliche Verfassung des Sportlers überwachen und in harmonische Bahnen lenken, der Gesundheit und letztlich auch dem Trainingserfolg durchaus guttun.“

HERTZ ODER HERZ: WAS ZÄHLT WIRKLICH?
Präziser trainieren, Fehler vermeiden und Überlastungen und Verletzungen vorbeugen. All das will die neue Fitnesstechnik mit Hightech-Hilfsmitteln möglich machen. Klingt gut. Aber ist das auch neu? Es gab doch immer schon Trainer, die mit uns geübt, uns auf Grund ihrer jahrelangen Erfahrung korrigiert und motiviert haben. Kann ein lebloses Gerät wirklich das Band der Freundschaft zwischen einem Coach und seinem Schüler ersetzen? Und was ist eigentlich mit dem natürlichen Gespür für unseren Körper – unsere Selbsteinschätzung, die uns vor Überlastungen und Verletzten schützt?
Kennt uns die Technik heute etwa besser als wir selbst es tun? „Nein, das tut sie nicht“, entwarnt der Professor. „Technische Hilfsmittel ersetzen nichts und niemanden, sie ergänzen lediglich. Die Menschlichkeit sollte beim Training niemals verloren gehen. Damit gemeint ist vor allem das eigene Körpergefühl, das beim Sport stets im Mittelpunkt stehen sollte. Schenkt der Technik niemals mehr Gehör, als eurem eigenen Körper! Dieser sagt eindeutig, was ihm zuviel oder unangenehm ist. Und auch ein Trainer ist nicht zu ersetzen. Nicht zuletzt wegen der zwischenmenschlichen Komponente, aber vor allem auch wegen der Expertise, die er mitbringt. Technik kann nur funktionieren – ein Mensch kann interagieren. Das ist ein wichtiger Unterschied.“

SPASS AUF KNOPFDRUCK: DER ENTERTAINMENT-FAKTOR!
Technik kann also funktionieren; sie kann uns auch unterstützen. Und sie kann vor allem auch eines: Spaß machen. Denn so manche der neuen technischen Sport-Gimmicks wollen weder nutzen noch etwas beweisen, sondern lediglich begeistern – und damit die Lust auf und am Sport vielleicht zwar ein wenig technischer, in jedem Fall aber größer machen. Leichte Minikameras, die auf den Helm oder ans Trikot geclipt werden; Sportbrillen, die die neuesten Mails oder Facebook-Post auf einem integrierten Display anzeigen; wasserdichte Fotokameras oder hoch entwickelte Kopfhörer, die das Lieblingslied nahezu in Konzertqualität wiedergeben: All das sind technische Spielereien, die für den sportlichen Erfolg keinerlei Nutzen haben. Warum wir sie trotzdem haben wollen? Weil der Sport dann einfach noch mehr Spaß macht.

Video: Pasha Petkuns beim Freerunning mit GoPro-Kamera


FH-Prof. Ing. Anton SaboDER EXPERTE

FH-Prof. Ing. Anton Sabo lehrt und forscht seit 15 Jahren in den Bereichen Arbeitsmedizin, Sport-Biomechanik und Snowboarding, unter anderem am TGM und an den BAFLs von Wien, Graz und Innsbruck. Seit 2002 ist er auch an der Fachhochschule Technikum Wien tätig und leitet den Studiengang Sports-Equipment-Technology.


Zum Weiterlesen: