Vor 30 Jahren war sie umjubelter Skistar, dann der Knall und es wurde ruhig um Olympiasiegerin Petra Kronberger. Dabei hat die stille Persönlichkeit viel zu sagen über Winter ohne Skifahren, über wahre Größe und die Wichtigkeit von Sensibilität.
Prä-Lockdown-Zeit, halb Österreich im Nebel, aber ein sonniger, kalter Novembertag in der Salzburger Innenstadt. Mit einem rosigen Lächeln radelt Petra Kronberger über den Kajetanerplatz heran, nimmt den Helm ab und ein wunderbar entspanntes Gespräch beginnt, das sich auch später nicht wie ein Interview anfühlen wird. Petra Kronberger kann sehr gut zuhören. Selbst große Töne zu posaunen, verhindert eine fast schon aus der Mode gekommene Bescheidenheit. Residenzplatz, Mozartplatz, wir wechseln jedes Mal die Sitzbänke und in die Sonne, wenn der mächtige Dom seinen Schatten auf uns wirft. „In der Sonne ist es doch schöner“, sagt sie. Vereinzelt grüßen Passanten, Kronberger wirkt geschmeichelt.
Werden Sie eigentlich noch oft erkannt?
Nicht oft, aber ich bin erstaunt, dass mich Menschen noch – und trotz Maske – erkennen. Sind Sie nicht die Frau Kronberger? Die Menschen können sich tatsächlich an einzelne Rennen erinnern, wie sie vorm TV gesessen sind – und so was Nettes, Persönliches schätze ich wirklich sehr. Den großen Trubel mag ich nach wie vor nicht.
Sie wurden 1991 in Saalbach Abfahrtsweltmeisterin, jetzt kehrt die WM 2025 wieder in Ihr Heimatbundesland zurück. Angst, dass auch der Trubel um Ihre Person zurückkommt?
Nein, Angst nicht, und es ist ja legitim, dass man sich an damals erinnert. Es gibt wohl Unangenehmeres (lacht). Aber wie die Zeit vergeht. Stephan Eberharter, Ulli Maier, Rudi Nierlich ...
Ein Jahr später wurden Sie Doppelolympiasiegerin, das legendäre Time Magazine brachte Sie als erste Österreicherin auf dem Cover. „Petra, the Great“. Wo haben sie das Cover zu Hause hängen?
Momentan hängt es nirgends, früher war es im Elternhaus. Jetzt bin ich gerade am Überlegen, was ich mit den Trophäen, Pokalen und Zeitungsausschnitten mache, die sich zusammengesammelt haben. Es soll nicht überpräsent sein, es ist ein Teil von mir, aber man wird ein anderer Mensch, hat andere Interessen. Vom Time Magazine habe ich vier, fünf Exemplare.
Bedeutet Ihnen „Petra, the Great“ fast 29 Jahre später noch etwas?
Damals war das ein Wahnsinn, weil ich mir nicht erklären konnte, warum ich am Cover bin. Diese Überschrift: Petra, the Great. Wie gibt es das? Wer schreibt so was? Einschätzen konnte ich das als junger Mensch nicht, aber damals war so ein Rummel um mich und es ist so schnell gegangen, dass ich gut, erfolgreich und berühmt geworden bin. Mit dem umzugehen, war für mich sehr schwierig. Anfragen, Druck, Fans, viele Rennen – immer musst du 100 Prozent geben und mindestens am Stockerl stehen. Das Time-Cover war eine große Ehre und ist nach wie vor alles andere als selbstverständlich für mich. Ich verstehe es 29 Jahre später immer noch nicht (lacht). Wenn man erfolgreich ist im Sport, in der Schauspielerei oder in der Wirtschaft, ist es eine Kunst, dass man sich von solchen Überschriften und Erfolgen nicht verführen lässt. Achtung und Demut vor dem Höheren und dass man nicht unbesiegbar ist, sind ganz wichtig. Du beginnst zu schweben und kannst gar nichts dafür. Erfolg und Energie heben dich hoch und du spürst den Boden kaum noch. Je näher du am Boden bleibst, umso leichter findest du dann wieder zurück ins normale Leben.
Wie schaut jetzt ein privater Skitag von Petra Kronberger aus?
Wenn ich privat Ski fahre, was nicht so oft vorkommt, bin ich die Genussfahrerin. Vor allem bei Schönwetter und in aller Früh, wenn die Pisten super präpariert sind. Meistens mit meinem Lebensgefährten. Wenn ich beruflich viel mit dem ÖSV unterwegs bin, ist meine Priorität an freien Tagen nicht das Ski fahren. Im letzten Winter waren es vielleicht drei bis fünf Tage. Ich habe es schätzen gelernt, einzukehren und einen Kaffee zu trinken. Gemütlich und über allen Dingen, das taugt mir. Ich verstehe alle, die gerne Skifahren.
Blitzt die Abfahrtsweltmeisterin noch ab und zu durch? Gibt es noch Rennski?
Mit dem Alter wird man ängstlicher, das trifft auch auf mich zu. Risiko und Schnelligkeit liegen mir fern, da habe ich null Ambitionen, noch wo schnell runterzufahren oder zu springen. Einmal habe ich in den USA bei einem Legendenrennen mitgemacht und habe gemerkt, ohne Training geht nix.
Gehen Sie auch Skitouren?
Früher recht viel. Dann wollte ich nicht mehr in Gruppen dabei sein, die weiter rauf gehen und wo es gefährlicher wird und es Dinge wie Lawinenabschätzung braucht. In den letzten Jahren war nicht mehr die Zeit dafür.
Hatte die Weltmeisterin und Olympiasiegerin jemals einen Winter ohne Skifahren?
Unmittelbar nach dem Karriereende und zwischendurch gab es Jahre, wo ich gar nicht gefahren bin. Dann ist der Carvingski gekommen und du kriegst mit, wie toll der um die Kurven schneidet und wie viel einfacher das ist. Da habe ich wieder Freude gekriegt. Während des Studiums in Berlin und Hamburg bin ich dann auch nicht gefahren.
Ist Ihnen das Skifahren nicht abgegangen?
Das Skifahren nicht, aber was mir im Norden Deutschlands wahnsinnig gefehlt hat, waren die Berge. Das habe ich unterschätzt. Obwohl die Landschaft in Deutschland auch Klasse hat, die Ostsee, der Hamburger Hafen. Aber die Berge haben schon noch einmal was Eigenes. Beim Sporteln mache ich mir keinen Stress, ein bissl laufen, Rad fahren, schwimmen, wandern, aber komplett ohne Leistungsgedanken. Man spürt einfach, wie gut einem Sport tut.
Wäre also ein Winter ohne Skifahren denkbar und machbar?
Wir haben ja die Skitouren und viel mehr könnten das Langlaufen entdecken, das ist eine so schöne Sportart, so ganzheitlich. Schneeschuhwandern hat mir auch sehr gut gefallen, da bist du ganz für dich allein. Vielen würde es sicher schwerfallen, einmal nicht Ski zu fahren. In den Bergen gehört die Skikultur einfach dazu, viele Menschen genießen das und können entspannen, viel Geld und viele Jobs hängen dran. Aber unser Winter hat so viel zu bieten, wir sind ja gesegnet.
Wie würden Sie Ihren Job beim ÖSV beschreiben?
Beim Skiverband arbeite ich als Frauenbeauftragte, ich mache Begleitung und Beratung. Ich möchte da sein für die, die jetzt an der Spitze sind. Wenn sie wen zum Reden brauchen, bin ich da. Das hätte ich mir damals in meiner Zeit gewünscht. Auch beim neuen ÖSV-Projekt „Optimal Sports“ engagiere ich mich in der Prozessbegleitung.
Wenn du mehr ans nächste Posting denkst als an deine nächsten fünf Trainingsläufe, wird es kritisch.
Sind die Themen und Sorgen anders als 1992 – oder sind es die gleichen?
Es sind ähnliche Themen: Doppelbelastung Schule/Skisport zum Beispiel. Der Leistungsdruck, die Limits, die öffentliche Einstufung durch Medien, das Standing im Team. Wobei ich das Gefühl habe, dass es noch härter geworden ist. Man beginnt noch früher, fährt noch früher aggressives Material, macht noch mehr Fitness und die körperliche Belastung ist auch höher als früher. Mit Social Media – das hat’s zu meiner Zeit Gott sei Dank noch nicht gegeben – hast du das Gefühl, jeder muss sich präsentieren, regelmäßig Fotos posten, immer gut ausschauen. Das stresst Athletinnen, sagen sie mir. Aber kann man sich dem entziehen? Bist du dann weniger gefragt? Wenn du mehr ans nächste Posting denkst als an deine nächsten fünf Trainingsläufe, wird es kritisch.
Wie reagieren junge Läuferinnen auf Sie?
Die Jungen waren noch gar nicht auf der Welt, als ich meine erfolgreichsten Zeiten gehabt habe. Meistens kennen mich die Eltern (lacht). Meine Arbeit beginnt im Nachwuchs im ersten ÖSV-Jahr, also mit etwa 16 Jahren, und geht bis ins Weltcup-Team. Im Idealfall ist es ein Miteinander. Ich fahre hin, rede mit den Trainern und biete den Mädchen Einzelgespräche an. Wie schaut das Elternhaus aus? Wie geht’s in der Schule? Gibt es eine soziale Absicherung? Wie geht’s mit dem Essen und Schlafen? Fühlt man sich wohl in der Gruppe? Oft erkennt man schon im ersten Gespräch ein Thema und kann darauf aufbauen. Ich rede auch mit den Trainern, wenn gewünscht, bin aber sonst an die Schweigepflicht gebunden. Ich bin neutral, das ist wichtig, ich gehöre zu keiner Trainingsgruppe, sondern habe auf alle den Blick von außen. Das Angebot des ÖSV ist innovativ, gut und ausbaufähig.
Was würden Sie einer 23-Jährigen raten, die ihre erfolgreiche Karriere überraschend beenden will?
Ich würde ihr zuhören, sie fragen, was ihr zu viel ist und Alternativen zwischen Schwarz und Weiß aufzeigen. Kommt eine Pause in Frage? Ein Monat? Eine Saison? Was würdest du dir in einer Welt ohne Zwänge wünschen? Wenn jemand im Tunnel drinnen ist, versuche ich, das Bild wieder weiter zu machen, dass sie freier wird zu entscheiden.
Petra Kronberger (ganz links) hat als Frauenbeauftragte im ÖSV ein offenes Ohr für alle, für jede Traininsgruppe – und auch für Männer.
Hätte die Frauenbeauftrage Petra Kronberger die 23-jährige Petra Kronberger zum Weitermachen überreden können?
Dazu hätte ich vorher schon wen gebraucht. Mit 23 war schon alles verbrannt und verbraucht, da habe ich nichts mehr gespürt, worauf man aufbauen hätte können. Vielleicht hätte ich nur rechtzeitig eine Pause gebraucht. 1990 hatte ich im Sommer einen Autounfall und habe drei oder vier Wochen leicht verletzt pausiert. Danach bin ich mit so einer Freude Ski fahren gegangen, weil ich völlig unbelastet war und sich niemand was erwartet hat. Diese Unbelastetheit, Freude und Befreiung braucht es. Aber diese Zeit ist im System normalerweise nicht vorgesehen.
Öffnen sich Ihnen auch Männer, weil sie wissen, da ist eine Person, die zuhören kann?
Da habe ich tolle Erfahrungen gemacht, wenn sich mir jemand als Mann öffnet. Ich finde es schön, wenn hinter der stark wirkenden Fassade eines Menschen das Sensible herauskommt. Jeder hat Emotionen, ist traurig oder zweifelnd, das ist ja auch das Schöne am Menschen. Erst wenn jemand Schwächen zugibt, zeigt das wahre Stärke.
Welche Skifahrerinnen beeindrucken Sie aktuell?
Mikaela Shiffrin beeindruckt mich besonders, nicht nur wegen der Erfolge, sondern weil sie immer freundlich ist, nie abgehoben und immer diese Menschlichkeit zeigt. Das bewundere ich sehr. Mich beeindruckt auch das italienische Damenteam, wie sie sich pushen. Da scheint es keinen Neid und keine Konkurrenz zu geben, bei einer Goggia, einer Brignone oder der Entwicklung von Marta Bassino. Petra Vlhova bewundere ich auf ihrem Weg ganz alleine. Die Österreicherinnen will ich nicht beurteilen, da sind noch Persönlichkeiten im Entstehen.
Jemand, der zuhören kann: Wäre Petra Kronberger nicht die ideale ÖSV-Präsidentin?
Da bin ich die Falsche. Es braucht das Sportliche, aber auch die wirtschaftliche Komponente und die politische Vernetzung. Letzteres bringe ich nicht mit. Wichtige Positionen im Verband haben schon Michaela Dorfmeister, Claudia Strobl und Roswitha Stadlober. Eine Frau als Präsidentin? Da wären sicher einige geeignet. Danke für den Anstoß (lacht).