Blauer Himmel, frischer Schnee, leere Pisten, Powderparty. Nein, das spielt es nicht immer. Der perfekte Tag auf Skiern wird nicht auf den ­Pisten erzeugt, sondern in unserem Kopf.

Christoph Heigl
Christoph Heigl


Ob Michelangelo das Wort Perfektion im Hinterkopf hatte, als er seinen David aus einem Marmorblock schlug? Denn dabei schuf er das wohl „perfekteste“ Werk der Kunstgeschichte. Dachte Leonardo da Vinci an Vollendung und Vollkommenheit, als Mona Lisa fertig war? Oder Eddie Van Halen nach dem Solo für „Beat it“?

Leider kann man keinen der drei Meister mehr fragen. Wir sind aber ohnehin beim Skisport. „Kleinigkeiten sind es, die Perfektion ausmachen. Aber Perfektion ist alles andere als eine Kleinigkeit.“ Das könnte Stephan Eberharter nach seiner als „perfekt“ eingestuften Abfahrt in Kitzbühel 2004 gesagt haben. Hat er aber nicht, das Zitat stammt von Sir Frederick Henry Royce, einem englischen Pionier des Autobaus.

Ja, die Suche nach Perfektion ist eine verlockende, aber mühsame. Die Bilder auch in diesem Magazin sollen uns Gusto machen und zeigen, wie perfekte, vollendete Skitage ausschauen: leere Pisten, genial präpariert, die Sonne strahlt, blendend aussehende Freunde sind dabei, Fitness und Form passen, wir carven gottgleich wie Michelangelos Kreaturen. Flow stellt sich ein und alles geht in Wohlgefallen auf. Wer schon ein paar Monde auf diesem Erdball lebt, kriegt eine Ahnung, dass es nicht immer so ist. Den perfekten Skitag gibt es nicht, nur in unserem Kopf, als Fetzen der Wirklichkeit. Maximal auf Instagram.

perfekt /perfékt/ 
im Hinblick auf bestimmte Fähigkeiten oder die Ausführung von etwas so gut, dass nicht das Geringste daran auszusetzen ist.
Rennenglisch: having all the required or desirable elements, qualities or characteristics; as good as it is possible to be.
(Oxford Languages/Google Dictionary)

Szene 1: Der Skifahrer taucht unter einem blauen Himmel in einen unfassbaren Tiefschneehang ein, alles staubt auf. Er scheint bis zum Kopf im meterhohen Schnee abzutauchen, um sich dann Momente später wie auf einem unsichtbaren Trampolin wieder in die Höhe zu katapultieren und wieder zu versinken. Immer wieder, ein Dutzend Mal, alles in Superzeitlupe im HD-Video. „A perfect day“, strahlt der schneidige Typ dann unten in die Kamera. Sogar sein Abenteuerbart sitzt perfekt.

Szene 2: Fast keine Sicht, grüne Flecken statt weißem Pulver, der Skifahrer schultert seine Bretter auf der Suche nach Schnee. Später rattert er auf harschig-gefrorenen Resten von vier Wochen altem Schneefall zu Tal, überall ragen Steine raus, Vergnügen schaut anders aus. Der Skifahrer flucht. „Sh*t-F*ck-Skiing“ nennt er später seinen Video-Edit. Sein Gesicht ist zerfurcht.

The perfect day is today: Wie man das Beste aus einem Tag im Schnee holt...

Der Skifahrer ist in beiden Szenarios derselbe, er heißt Johan Jonsson. Was war nun der perfekte Skitag? Der erste im Pulver oder der zweite auf den Steinen? Der schwedische Freerider mit Hang zum Philosophischen zeigt eine andere Antwortmöglichkeit auf. „Der perfekte Skitag ist immer der heutige Tag“, sagt der 40-Jährige. The perfect day is today, eine Grundeinstellung. Für ihn sind die äußeren Umstände nur ein Puzzleteil, das einen gelungenen Tag ausmacht. „Wer immer nach diesem einen perfekten Tag im ganzen Winter Ausschau hält und auf diesen Moment wartet, wird ihn nie erleben“, glaubt Jonsson. Der perfekte Tag wird nie kommen. Und wenn doch, hast du 20.000 Skifahrer neben dir auf der Piste und bist erst wieder nicht im Flow. Sh*t. F*ck.

Also sieht er zwei Möglichkeiten: Nie diese Perfektion zu verlangen oder in jedem Moment das Perfekte zu sehen. „Live the Moment“, sagt der Schwede dazu, lebe im Moment. Jonsson erzählt, dass schon ein einziger Schwung ein geglückter Moment sein kann, oder der Umstand, dass seine Freunde mit ihm am Berg sind, möglicherweise auch, dass der Abend mit einem gepflegten Bier zu einem gelungenen Abend werden kann. Und das ist wirklich nicht zu viel verlangt.

Jonsson verbringt die Winter üblicherweise in seiner schwedischen Heimat und im Schweizer Engelberg, wo er in der Regel die allerfeinsten Bedingungen (z. B. für ­Videos wie Szene 1) vorfindet. Man könnte meinen, mit großartigen Skitagen ist der Mann gesegnet. Dabei hat auch er viele richtig schlechte Tage am Berg, „viel mehr, als auf meinem Instagram-Account zu sehen sind“, meint er augenzwinkernd. Die perfekten Tage kann er an den Fingern einer Hand aufzählen. Der Rest? „Ist einfach so zu akzeptieren, kein Stress, Spaß mit Freunden kann man auch bei Schlechtwetter haben.“

Auch sein vermeintliches Winter-Schlaraffenland Schweden ist nicht immer das Paradies. „Zu Beginn der letzten Saison konnte ich nichts anderes tun, als mit dem Auto die 100 km nach Aare zu fahren, wo genau ein Lift in Betrieb war. Also stöpselte ich mir Musik in die Ohren und bin die ersten Runs auf der buckeligen Piste richtig scheiße gefahren. Aber weißt du was? Nach ein paar Fahrten hat das plötzlich so viel Spaß gemacht, dass ich immer besser und schneller gefahren bin und nur eines gehofft habe: dass dieser eine verdammte Lift hoffentlich nie mehr aufhört zu fahren.“

Man kann also dem Trugbild des perfekten Tages hinterherlaufen oder die Bedingungen so akzeptieren, wie sie sind. Stau bei der Anreise, Parkplatz weit weg von der Gondel, Brille vergessen, Kinder, die aufs Klo müssen, null Sicht, Wind, lästiger Anruf, dann Akku leer, Fitness doch nicht wie erhofft auf Weltcupniveau. Oder aber: Live the moment. Besser wird’s nicht.

„Wir sind mit unseren Gedanken gleichzeitig an so vielen Plätzen: Kinder, Job, Freunde, Politik, die Umwelt, Geld. Dabei noch genügend Schlaf finden. Ich glaube, man nennt das: Leben. Und dann kann man eben nur versuchen, jeden Moment so gut wie möglich zu leben.“ Und was den Anspruch an Perfektion betrifft, zitiert der Skifahrer den amerikanischen Psychologen und Autor Barry Schwartz: „Das Geheimnis des Glücks sind niedrige Erwartungen.“ Das setzt der sympathische Schwede auch privat um, der heurige Winter schert sich ja wenig um perfekte Bedingungen. „Sollten die Reisen und Berge in der Schweiz heuer nicht möglich sein, werde ich zum Wintercampen in den Norden Schwedens aufbrechen, z. B. in den Sarek National Park, und in den kleineren schwedischen Bergen genauso glücklich sein. Hier bei mir in Jämtland gibt es auch noch genug zu erforschen.“ Und das klingt nach einem perfekten Plan. 

Johan Jonsson
Johan Jonsson

40, aus Schweden, Profi-­Freerider, freiberuflicher Journalist und Producer für Partner wie Blizzard, Tecnica, Fjällräven und POC.
Hobbys: Schreiben, Mountainbiken, Fliegenfischen, Kaffeetrinken.
Verheiratet, zwei Kinder.
Web: www.johan-jonsson.com
Social: instagram.com/jonsbert/