Der ­Skitourismus ist in vielen Regionen eine Überlebensfrage. Wie findet die Branche die richtigen Antworten darauf? Dem sind beim „Forum Zukunft Winter" die Experten auf der Spur gewesen. Im Hörsaal und auf der Piste. SPORTaktiv war dabei.

Von Klaus Molidor


Die Branche ist beinahe so riskant wie das Börsengeschäft, so sensibel wie der Aktienhandel ist sie allemal. Die Rede ist vom Wintersport. In der vorigen Saison hingen die Mundwinkel nach unten, weil Anfang Dezember noch kein Schnee lag. Krisengeheul brach los – und am Ende stand vor der Bilanz der Wintersportgebiete im ganzen Land erst wieder ein Plus. Zum diesjährigen „Forum Zu­kunft Winter" sind Seilbahner, Skihersteller, Touristiker und Skilehrer schon Anfang November mit einem breiten Grinsen nach Kaprun gekommen. Kein Wunder. Selbst im Tal waren die Wiesen schneebedeckt, die Berge ringsum sowieso, die ersten Lifte fahren – und das nicht nur auf dem Gletscher. Also sind die Gesichtszüge allenthalben entspannt.

Da muss auch Günther Aigner lachen. Der Kitzbüheler ist Skitourismus-Forscher und weiß, wie emotional aufgeladen das Thema Schnee und Skifahren in Österreich ist. „Wir tendieren daher dazu, immer vorschnell ein Urteil zu fällen. Wenn es im November noch keinen Naturschnee gibt, heißt es gleich: Das wird ein schlechter Winter. Umgekehrt strahlen jetzt alle schon wegen ein paar Zentimeter Schnee und bejubeln ebenso schnell den heurigen Winter."

GROSSE INVESTITIONEN
Irgendwie verständlich. Denn vom Wintersport hängt hierzulande eine Menge ab. Österreich ist nicht nur gefühlt eine Skination, sie ist auch in den Bilanzen der Gasthäuser, Hotels und Liftbetreiber eine Skination. „Der Tourismus hängt am Wintersport", sagt Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. „Er ist eine Überlebensfrage. Sonst wandern Leute ab und Orte sterben aus. Dann hätten wir Verhältnisse wie in einigen Seitentälern in Italien oder Frankreich." Alle anderen Arten des Tourismus sind ein Zubrot, können den Wintersport aber nicht ersetzen. Die Zahlen unterstreichen das: Bei den Liften und Seilbahnen standen in der letzten Saison 52 Millionen ­„Ersteintritte" zu Buche.

Eine gewaltige Zahl, die aber ­Ferdinand Eder, den Vertreter der österreichischen Seilbahnwirtschaft, nicht nervös macht. Weil – siehe oben: Die Hänge sind schon weiß. „Außerdem brauchen wir uns mit unseren Anlagen im internationalen Vergleich nicht zu verstecken." Ganz im Gegenteil. Während vor allem in der Schweiz Liftanlagen älter und älter werden, haben die Österreicher kräftig investiert und modernisiert. Allein in Salzburg sind in den letzten zehn Jahren 1,1 Milliarden Euro in neue Seilbahnen geflossen. Das zahlt sich aus. „Denn dem Skifahrer geht es heute um Bequemlichkeit", sagt Franz Föttinger, Sprecher der heimischen Ski-Industrie. Das beginnt bei der Erreichbarkeit des Skiortes und geht weiter über den Skischuh, der individuell angepasst ­werden kann, bis hin zu Sitzheizung und Wetterhaube auf dem Sessellift. Convenience heißt das dann neudeutsch.

Der Markt brummt also, wie landauf landab, die Schneekanonen, wenn es kalt genug ist. Aber wie lange noch? Was ist mit dem Klimawandel? Was mit den stetig steigenden Liftkartenpreisen? „Der Klimawandel ist natürlich ein Thema", sagt Franz Schenner von der „Allianz Zukunft Winter". „Aber der kommt oder er kommt nicht. Wir müssen versuchen, jetzt schon das Beste daraus zu machen."

RASCHER PREISANSTIEG
Skitourismus-Forscher Günther Aigner sieht da die Schneedepots immer mehr im Kommen. „Sie sind für die Skigebiete im Vergleich zur Beschneiung eine günstige Angelegenheit." Dabei wird der Schnee, der am Ende der Saison übrig bleibt, zusammengeschoben und mit Sägespänen oder Wärmedämmplatten bedeckt. Darüber kommt eine Folie, die Wind und Regen abhält und durch ihre weiße Farbe Sonnenlicht reflektiert. „Je größer der Schneehaufen und je kleiner die Oberfläche, desto besser. Durch die große Masse kühlt sich der Schnee sozusagen selbst", sagt Aigner. In Kitzbühel betrug der Schneeverlust damit zuletzt über den Sommer nur rund 20 Prozent. „Ein super Wert, und das mit relativ wenig Aufwand."

Aigner hat aber auch zu den Liftpreisen geforscht und dabei festgestellt: Die Skikartenpreise sind zwar in den vergangenen 27 Jahren um jeweils drei Prozent pro Jahr gestiegen – „was nicht wenig ist". Im genau gleichen Maß sind aber auch die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr gestiegen. Deutlich ist hingegen der Unterschied beim Verbraucherpreisindex: Da ist das Skifahren im Vergleich doppelt so schnell teurer geworden. „Und trotzdem ist die Zahl der Skifahrertage in Österreich sogar gestiegen ..." Wird Skifahren also doch nicht zum elitären Sport, den sich der Durchschnittsbürger nicht mehr leisten kann? „Diese Preisdiskussion hätten wir schon vor 40 Jahren führen können. Denn billig war das Skifahren nie", sagt Ferdinand Eder von der Seilbahnwirtschaft. Er ist in den 1960er- Jahren in Bruck an der Glocknerstraße aufgewachsen. „Zwei Mal im Jahr sind wir mit dem Vater auf die Schmitten gefahren. Das war's", erinnert er sich. Sonst musste der kleine Dorflift ausreichen.

Aber gerade der „Lift hinterm Haus" stirbt zusehends aus. Kleinere Skigebiete kommen nicht mehr mit, weil die Konkurrenz steigt und die Schneesicherheit fehlt. Teure Beschneiungsanlagen können sich die „Kleinen" oft nicht leisten und die Spirale beginnt sich abwärts zu drehen, bis in die Insolvenz. „Klar kämpfen die Kleinen", sagt Ferdinand Eder, „aber jedes Land hilft dabei, auch diese Gebiete zu retten." Die skifahrerische Nahversorgung müsse schließlich – Stichwort Nachwuchs – gewahrt bleiben.

COOL WIE EIN SMARTPHONE
Der Lift ums Eck reicht aber noch nicht aus, um Kinder wieder auf die Bretter zu bringen. Viel mehr geht es auch darum, den Skisport wieder „cool" zu machen. „Das muss für die Kids wieder so sein wie das neueste Smartphone", sagt Forum-Chef Franz Schenner, der für Innovationen bekannt ist. Ende der Neunzigerjahre hat er der Skiindustrie den Begriff „Carving" für die taillierten Ski eingeredet. Und darum heißt es auch Funslope, Freeride, Freestyle.

Skifahren, da ist sich die Branche einig, findet heute nicht mehr nur auf der Piste statt, sondern in der Luft, im Tiefschnee, auf Schanzen. Kein Skigebiet ohne Funpark. Schon bei den ersten Saisonschwüngen auf dem Kitz- steinhorn zeigt sich: Viele Kinder und Jugendliche sind nicht auf der Piste, sondern probieren die Schanzen aus, rutschen über Rails und Tubes. Überhaupt ist schon viel los Anfang November. Obwohl es dicht schneit und die Sicht alles andere als gut ist. Skifahren funktioniert also noch – auch bei der Jugend: Die größten Zuwächse der letzten ein, zwei Jahre gibt es laut Statistik bei den 14- bis 25-Jährigen!

Aufwärts geht es auch bei den Wiedereinsteigern. Nicht nur, aber vor allem dieser Gruppe will man mit dem neuen Trend „Schönskifahren" wieder einen Anreiz bieten, die Latten anzuschnallen. „Die Beine zusammen und die Arme breit nach vorn strecken. Schau her, so", ruft Skilehrer Franz Ebner und legt gleich selbst Hand an seinem älteren Schützling an. Nach eineinhalb Stunden Training schaut das tatsächlich besser aus, wie das Vorher-nachher-Video beweist.

DAS PAKET MUSS STIMMEN
„Genau darum geht es", sagt Schenner, der selbst an dem Training teilnimmt. „Viele hören auf, weil nix mehr weitergeht, sie sich nicht mehr verbessern. Ein, zwei Tage mit einem Skilehrer und du fährst gleich ganz anders." Dieses Bewusstsein müsse in der Branche aber erst durchdringen. „Die Hoteliers wollen immer nur Betten verkaufen, aber kein Produkt. Bei den Seilbahnen ist es das Gleiche. Aber keiner kommt nur wegen einer tollen Bahn – das Paket muss stimmen." Damit sich das Bewusstsein zur Veränderung bei Hoteliers und Liftbetreibern, in Skiindustrie und Handel festigt, hat Schenner zum Zukunfts-Forum auch einen Coach eingeladen. Ilja Grzeskowitz, ein 41-jähriger Berliner, ehemals Filialleiter einer Warenhauskette, soll diese Veränderung anstoßen. „Im Erfolg macht man die meisten Fehler", lautet seine Botschaft. Anhand von persönlichen Erlebnissen veranschaulicht Grzeskowitz in seinem Vortrag, wie man Veränderung angeht und wie wertvoll sie sein kann. „Jeder weiß, dass Veränderung notwendig ist, jeder weiß, wie sie theoretisch funktioniert, aber keiner geht es an", sagt er.

Wie fruchtbar der Boden wirklich ist, auf den diese Aussagen gefallen sind, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Inzwischen läuft der Wirtschaftsmotor Wintersport auch so schon recht rund. Und das dank einem dicken Österreich-Bonus, der Leute aus dem Ausland wiederkommen lässt. Leute wie Grzeskowitz. Deutsche, Belgier, Niederländer, Russen, Engländer. Dieser Grund heißt: Gastfreundschaft! Die Herzlichkeit unterscheidet Österreich von vielen anderen Wintersportländern. Oder wie es Schenner im Wirtschaftssprech formuliert: „Das ist unser Asset." Die Gastfreundschaft gibt den Ausschlag, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis so gut ist. „So ist es wirklich", sagt Urs, ein Schweizer, am Schlepplift auf dem Kitzsteinhorn. „Die Lifte sind besser als in der Schweiz, die Tickets sind billiger, das Essen ist besser und die Leute sind viel freundlicher." Urs macht längst keinen Skiurlaub in seiner Heimat mehr, sondern nur noch in Österreich.

Keine Frage, in Europa ist das Wintertourismusland Österreich eine Marke. Und trotzdem wird Veränderung nötig sein, um neue Märkte zu erschließen. Als es vom Gletscher wieder runter ins Tal geht, steigt auch Norbert Karlsböck, Vorstandsdirektor der Gletscherbahnen Kaprun AG, mit in die große Gletscherjet-Gondel ein. „In Asien verbindet Österreich kaum jemand mit Bergen und Wintersport", sagt er. Wenn er auf seinen Reisen in China oder Japan erklärt, wo Kaprun liegt, sagt er immer: „An der Spitze Salzburgs in den Schweizer Alpen – weil die Leute dort bei Alpen und Wintersport fast ausschließlich an die Schweiz denken. An ,Audili', also Österreich, denkt in China keiner." Dabei liegt in Fernost riesiges Potenzial. Immer mehr Leute können sich Skifahren leisten, auch der Skiverkauf steigt. „Dort müssen wir unseren Naturraum viel stärker bekannt machen", sagt Karlsböck, der aber auch weiß, dass sehr wohl Gäste aus „exotischen" Destinationen zu uns kommen. „Im Mai", sagt Karlsböck, „kommt sogar eine Landschulwoche aus dem indischen Mumbai hierher auf den Gletscher ..."

Über die Grenzen schauen, die topografischen und die mental gezogenen – genau das wird der Wintersport und damit die gesamte Tourismusbranche in Österreich brauchen, um weiter Jahr für Jahr ein Plus vor die Bilanz schreiben zu können.

Netzwerk, Allianz & Forum: alles Winter
Der Hintergrund: 2006 konstituierte sich im Bundesland Salzburg das „Netzwerk Winter" als branchenübergreifende Plattform, um den Breitenskisport und Wintertourismus nachhaltig abzusichern. Tourismus, Seilbahnen, Skiindustrie und Skilehrerverband arbeiten darin zusammen. 2008 wurde das in Salzburg beheimatete Netzwerk um die bundesweite ­„Allianz Zukunft Winter" erweitert.
Und seit 2011 laden „Netzwerk" und „Allianz" Branchenvertreter und Journalisten jährlich zum großen Gedankenaustausch „Forum Zukunft Winter" ein. SPORTaktiv war Anfang November bei der 6. Ausgabe dieser „Denkfabrik für die Winterzukunft" dabei.
Infos:www.netzwerk-winter.at, www.allianz-zukunft-winter.at



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