Während so mancher gerade mal die Neueinführung von 27.5”, 29” oder Fatbikes verdaut hat, gibt’s am Bikemarkt schon wieder ein neues Maß. Diesmal geht’s allerdings nur bedingt um den Durchmesser, sondern vielmehr um die Reifenbreite. 650B+ oder kurz B+ nennt sich der kleine Bruder des Fatbikes.
Von Rene Sendlhofer
Der Trend zu breiten Reifen wurde nicht erst mit den Fatbikes eingeführt. Im Enduro- und All-Mountain-Bereich greift man schon längst auf 2.3 - 2.5”-dicke Schlappen zurück. Bessere Traktion und höhere Pannensicherheit sind die Hauptargumente. Aber während viele Ideen aus der Rennszene geboren werden und für diese konzeptioniert sind, kommt das B+-Format dem Allrounder entgegen. Mit dem Ziel, mehr Spaß und Sicherheit am Trail zu schaffen.
TECHNIK
Breitere Felgen mit 40-50 mm Außenmaß schaffen Platz für die dicken Dinger. Der Außendurchmesser mit einem B+-Reifen ergibt fast 29 Zoll, bietet aber vor allem mehr Auflagefläche. Beim Hersteller Schwalbe etwa sind das fast 28% zusätzlich. Durch das größere Volumen können die Reifen mit weniger Luftdruck gefahren werden. Dies erhöht Sicherheitund Fahrkomfort: Der Reifen verformt sich beim Aufprall auf ein Hindernis leichter und der Stoß wird besser abgefedert. Heißt: weniger Kraft auf Federelemente und Rahmen sowie auf die Gelenke des Fahrers. Die Reifen bieten auch erhöhte Pannensicherheit – und durch die breiten Felgen mit hohen Wangen rutscht der Mantel auch bei starken Kurvenschräglagen nicht so leicht von der Felge.
FAHRVERHALTEN
Während das Fahr- und Lenkverhalten bei Fatbikes eher träge wirkt, spürt man am B+-Bike erstmal keine nennenswerten Unterschiede: Der Rollwiderstand ist ähnlich zu normalen Reifen, auch beim Thema Beschleunigung lassen sie sich nichts anmerken. Der große Reifendurchmesser rollt aufgrund des flacheren Aufprallwinkels, wie bei 29”-Rädern, leichter über Hindernisse, der geringe Luftdruck dämpft die Schläge perfekt. Speziell am Trail eine echte Wunderwaffe.
Querungen oder leicht hängende Wege werden zum Spielplatz. Die Traktion schafft Raum für mehr. Während Fatbikes mit ihren 4”-Reifen dazu neigen, bei höherer Geschwindigkeit zu „hüpfen“, bleiben die B+-Versionen etwas ruhiger am Boden, ohne Grip zu verlieren.
Bei einem höheren Systemgewicht, etwa bei E-Bikes und schwereren Fahrern, ist aber mehr Luftdruck nötig, um keinen Durchschlag zu bekommen. Mit diesem erhöhten Druck fangen dann auch die B+-Pneus an zu springen. Hier würde sich das ProCore-System von Schwalbe empfehlen, um mit weniger Luftdruck fahren zu können und trotzdem Pannensicherheit zu gewährleisten .
Um etwas komfortabler und sicherer am Trail unterwegs zu sein, musste man bisher ein teureres Fully kaufen. Mit den dicken Reifen kann nun auch das Hardtail in Sachen Komfort, Sicherheit und Spielraum wieder locker mithalten – ohne auf Performance verzichten zu müssen. Für weniger versierte Fahrer sind die Reifen jedenfalls ein Sicherheits-Plus am Trail.
Im Schaufenster: Dreimal 650B+
Cannondales neue Habit-Serie verfolgt mit 120 mm Federweg und perfekt abgestimmter Trail-Geometrie nur ein Ziel: Mehr Spaß auf jedem Terrain. Das „Bad Habit“ ist auch mit dem neuen Reifenformat 27,5+ für maximale Traktion und Kontrolle verfügbar. UVP: € 3.499,– | Den Slogan „Jeder Trail, jederzeit“ hat Scott einst für die Genius-Serie kreiert – und für diesen Neuzugang im 27,5+-Format passt er noch besser. Die extragroßen Räder verbessern die Bodenhaftung, den Komfort und den Spaß des 140/130-mm-Bikes. UVP: € 7.999,– | „Stache“ nennt Trek sein neues Mountainbike-Konzept mit „29+“-Bereifung. Breite 3"-Reifen bieten endlosen Grip und weisen ansonsten alle Vorteile des 29er-Konzeptes auf. Optional können auch 27,5+ und normale 29”-Reifen montiert werden. UVP: € 3.699,– |
UMRÜSTEN?
Die neuen Reifen würden vom Durchmesser her problemlos in eine 29er-Gabel oder Rahmen passen. Allerdings sind die meisten Rahmen und Gabeln nicht für die Breite von bis zu 3” ausgelegt. Spätestens bei der ersten Kurve streift der Mantel an den Bauteilen. Mit dem Boost Standard (148 mm Breite am Hinterrad, 110 mm am Vorderrad) soll Abhilfe geschafft werden. Dies erlaubt einerseits bei breiten Felgen die Speichen flacher anzulegen, um die Seitensteifigkeit zu erhöhen, zudem wird dadurch mehr Platz für breitere Reifen geschaffen.
Manche Gabelhersteller haben bereits reagiert und es gibt erste Produkte von Fox und Rock Shox am Markt. Durch die breitere Hinterradachse wandert allerdings auch die Kettenlinie nach außen, was bei manchen Kurbeln Schaltprobleme verursacht. Somit sind auch eigene Kurbeln mit Zusatz B+ nötig.
Ein einfaches Umrüsten wird also nicht möglich sein. Es heißt abwarten, was 2016 auf den Markt kommt. Specialized bringt ihren Klassiker, den Stumpjumper, als Fattie-Version, und Scott hat schon die gesamte Palette vom Hardtail bis zum Enduro als B+-Variante vorgestellt. Aufgrund der vielen Laufradgrößen und -breiten sind auch die Händler gefordert: Die Lager platzen bald aus allen Nähten – wie gut und schnell die neuen B+-Teile lieferbar sind, wird sich zeigen.
FAZIT
Für uns ist klar: B+ macht Sinn. Fahrspaß pur gepaart mit massigst Grip freut jedes Bikerherz. Diese Bikes sind definitv am Singletrail zuhause, bei artgerechter Haltung werden sie viel Freude bereiten.
SPORTaktiv-TECHNIKCHECK: 650B+
Reifen und Felgen: | 2.8” bis 3” auf 650B+ (27.5”). Der Umfang ist nur wenig kleiner als bei 29”-Rädern aber um vieles breiter. Felgen haben ein Außenmaß von bis zu 50mm und sorgen somit für höhere Pannensicherheit. Reifen gibt es z. B. von WTB und Schwalbe (Nobby Nic und Racing Ralph). Durch die breiten Felgen mit hoher Wange gibt es auch kein Problem mit niedrigem Luftdruck in Kurven, der Reifen hält. |
Umbau: | Ist nur in den seltensten Fällen möglich. Die Reifen sind für die meisten Gabeln und Rahmen zu breit. Ein neues Einbaumaß, Boost, sorgt für 148 mm hinten und 110 mm vorne. Manche Hersteller haben bereits Produkte am Markt. Der Weg für 650B+ ist geebnet. Die Kettenlinie wandert um 3 mm nach außen, daher sind auch eigene Kurbeln nötig. Kurzum: ein eigenes Bike. |
Varianten: | Gibt es vom Hardtail (Scott Scale) bis zum All Mountain (Specialized Stumpjumper, Scott Genius) und Enduro (Scott Genius LT). Hardtails werden durch die dicken Reifen mehr Fahrsicherheit und Komfort aufweisen. |
Vorteile: | Durch flacheren Aufprallwinkel rollt der Reifen leichter über Hindernisse, wie bei 29” Rädern. Das große Volumen und der dadurch mögliche geringere Luftdruck dient zusätzlich als Dämpfung und sorgt für viel Traktion am Untergrund. |
Nachteile: | Etwas höheres Gewicht und die Verfügbarkeit – mehr Schläuche und Mäntel müssen bei den Händlern auf Lager sein. Dies wird sich im kommenden Jahr zeigen. |
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