Mikroabenteuer sind die schnelle Flucht aus dem Alltag. Taschenmesser, Feuerzeug, Zelt und ab ins Gemüse. Was man dabei alles vergessen kann? Tja, wir haben es am eigenen Leib erfahren.
Keine Zeit für Urlaub? Oder ist er schon vorbei? Und trotzdem Lust auf Entspannung, Entschleunigung und Abenteuer? Gestatten, micro! Ein Präfix aus dem Griechischen, das „klein“ bedeutet. In unserem Fall eine kleine Entspannung, eine kleine Entschleunigung, ein kleines Abenteuer. Micro hatte der Engländer Alastair Humphreys im Sinn, als er 2012 mit seinem Buch „Microadventures“ (dt. kleine Abenteuer) einen regelrechten Boom auslöste und seinen Fans, Kritikern und letztlich sich selbst bewies, dass man nicht die Welt mit dem Rad umrunden, über den Atlantik rudern oder zu Fuß Indien durchqueren muss (was Humphreys alles gemacht hat!), um als Abenteurer zu gelten.
Für den deutschen Begriff Mikroabenteuer gibt es unterschiedliche Definitionen, aber kein bindendes Regelwerk:
- Nah am Zuhause soll es sein, es darf nicht viel kosten, es muss im Alltag integrierbar und erlebbar sein, sagt Alastair Humphreys.
- Zwischen 8 und maximal 72 Stunden sollte ein Outdoor-Abenteuer dauern, es darf kein Auto benutzt werden. Die Übernachtung im Freien sollte ohne Zelt stattfinden, meint der deutsche Autor Christo Foerster, „das Freiheitsgefühl ist unschlagbar.“
Als Best-Practice-Beispiele gelten Übernachtungen im eigenen Garten, am Balkon oder im Wald. Wanderungen ohne vorher definiertes Ziel sind auch ein Hit. Oder barfuß. Leicht nachzuvollziehen ist der Tipp, einfach loszumarschieren und an jeder dritten Kreuzung oder Weggabelung abwechselnd links und rechts abzubiegen. Von Christo Foerster kommt die Empfehlung, am Bahnhof in den ersten Zug zu steigen, der von Bahnsteig zwei abfährt und so lange zu fahren, wie einen das Zugticket um 15 Euro bringt. Von dort zu Fuß nach Hause marschieren. Wanderungen entlang von Flüssen oder Bahnstrecken ermöglichen neue Blicke auf bekannte Gegenden, bestimmte Abschnitte könnte man schwimmen oder paddeln. Unterhaltsam kann auch sein, auf der Landkarte mit dem Zirkel einen Radius um den Wohnort abzuschlagen und den entstehenden Kreis möglichst liniengetreu abzuwandern, egal, was sich in den Weg stellt – Lebensgefahr (Felswand, sechsspurige Autobahn, Löwenkäfig) aber bitte vermeiden. So weit die Theorie. So ein Mikroabenteuer wollen wir unbedingt in der Praxis ausprobieren. Wir entscheiden uns für den „Klassiker“, eine kleine Wanderung samt Übernachtung und Sonnenaufgang am Berg.
18.08 Uhr. Zeit- und Treffpunkt wählen wir so, dass sich davor ein fleißiger Arbeitstag im Büro ausgeht, danach aber noch genug Zeit bleibt, die Wanderung zu schaffen, ohne dass wir die Zelte im Finstern aufschlagen müssen. Wir ziehen das Ding heute durch: Kollege K. und ich, unsere jüngeren Söhne (7, 11) haben wir als Aufpasser mit. Erste schwerwiegende Erkenntnis: Obwohl es nur eine Nacht ist, brauchen wir ganz schön viel Gepäck! Zwei Zelte, Isomatten, Schlafsäcke, Ersatzkleidung, Essen, Trinken, Klopapier, Handy, Taschenmesser, Zündhölzer – die Ausrüstung, die wir auf unsere Schultern wuchten, erweckt bei den Nachbarn wohl den Eindruck, wir trampen bis Usbekistan. Okay, die Hopfenkaltschale in Flaschenform drückt zusätzlich aufs Gewicht, aber darauf wollten wir nicht verzichten. Auf ein Handyverbot wollten wir uns auch nicht einigen, aber nur wegen der Taschenlampenfunktion, schwöre. Vier Männer wandern los und verlassen die Zivilisation. Frage: Haben wir genug mit?
19.25 Uhr. Zwischenstation am Bauernhof des Vertrauens. Dort haben wir vorab die Erlaubnis eingeholt, bei der dazugehörigen Hütte oben auf der Alm unser Nachtquartier aufschlagen zu dürfen. Wir bekommen auch den Schlüssel fürs Plumpsklo, das klingt ja fast schon nach Luxus. In Österreich ist es gesetzlich verboten, auf Wald und Wiesen zu zelten. Außer, man hat eine ausdrückliche Erlaubnis des Grundeigentümers. Das Wetter ist hochsommerlich warm, keine Gewitter oder Regenschauer blinken auf der App. Frage: Wie bekommt man genauere Wetterinfos?
20.49 Uhr. Schwitzend und hungrig erreichen wir unser Ziel, eine Almwiese mit liebevoll renovierter Hütte. Unter uns beleuchten die ersten Lichter die Dämmerung des steirischen Mürztales. Die Hütte ist verlockend, wir lassen sie aber links liegen und schlagen die Zelte daneben auf. Kollege K. macht das fachmännisch. Aber: Hätten wir den Hammer zum Einschlagen der Zeltheringe nicht zufällig bei der Hütte gefunden (Luxus! Sagen die Kollegen später), wer weiß, wie das Abenteuer ausgegangen wäre. Auf einen Hammer haben wir einfach vergessen. Auf der Feuerstelle (Luxus! Sagen die Kollegen später) lodert dank fertiger Holzscheite (Luxus! Sagen die Kollegen später) rasch das Feuer. Fragen: Wie viel Luxus braucht man? Wie und was isst man ohne offenes Feuer?
21.18 Uhr. Es wird finster und empfindlich kalt. Das Feuer spendet Licht, Wärme und ist jetzt so weit niedergebrannt, dass wir zum Abendessen schreiten. Die Kids hatten wir mit Taschenmessern losgeschickt, um Steckerl zu besorgen. Darauf wickeln wir jetzt Pizzateig-Streifen, spießen Frankfurter, Bratwürstel, Käsekrainer und (Achtung Geheimtipp) Chili-Braune auf. Männer und Feuer, was braucht es mehr für einen gelungenen Abend? Es schmeckt jedenfalls fantastisch im Vier-Hauben-Lokal unter freiem Himmel. Die neugierigen Kühe von der Weide nebenan ziehen sich zurück, es wird ruhig. So ruhig, dass neben dem Knistern des Feuers nur noch ein Geräusch zu hören ist: Die Käsekrainer pfeifen! Ein untrügliches Zeichen, dass der Käse heiß und die Würstel fertig sind. Die Kinder wiehern vor Lachen. Ach ja, Senf und Ketchup wären jetzt ein Hit, vergessen. Der Abend endet für die Kinder mit der Frage: Müssen wir heute Zähne putzen?
0.20 Uhr. Wir löschen das Feuer und auch Kollege K. und ich wollen uns gerade in die Schlafsäcke wickeln, als uns vom Tal unten ein dumpfer Knall irritiert. Wir denken an Schüsse eines Jägers. Dann wieder, vier, fünf Mal. Wir legen uns hin. Dass wir in der Früh die Nachricht aufs Handy bekommen, in der Stadt unten seien in einem brennenden Haus Munition und Wurfgranaten aus dem 2. Weltkrieg explodiert, gibt der Definition von „Abenteuer“ eine ganz neue Seite. Frage: Wann und wo könnte eine Nacht tatsächlich gefährlich sein?
5.00 Uhr. Erster Versuch, den Sonnenaufgang zu fotografieren, schlägt fehl. Alles grau in grau, Sonne schläft noch. Wir hauen uns wieder aufs Ohr.
5.29 Uhr. Hektisches Ruckeln an den Reißverschlüssen von Schlafsack und Zelt. „Schnell, die Sonne!“ Der Blick nach Osten zeigt den Horizont, wo im Grau langsam ein oranger Punkt erscheint. Die Kamera ist mit dem Farbenspiel und der Lichtquelle fast überfordert, für die Kinder ist es der erste Sonnenaufgang, den sie bewusst erleben. „Schöööööön.“ Erstaunlich, wie schnell uns die ersten Sonnenstrahlen wärmen, zum Aufbleiben ist es aber noch zu früh, noch einmal in die Waagrechte. Frage: Wie und wo kann man für seinen Standpunkt den genauen Zeitpunkt des Sonnenaufganges eruieren?
8.05 Uhr. Wir werden wach, weil es im Zelt schon fast unerträglich heiß ist. Schwitzend schälen wir uns aus den Schlafsäcken. Ist über Nacht denn eine subtropische Hitzewelle über uns hereingebrochen? Zelt auf, Gott sei Dank nicht, eine frische Bergbrise verweht die stickige Luft des Nachtlagers. Tief durchatmen. „Was gibt’s zum Frühstück?“, fragen unsere jungen Begleiter wie aus einem Mund und schnell folgt die Erkenntnis, dass die tollen Papis zwar an Feuerzeug, Bier und Taschenmesser gedacht haben, nicht aber daran, dass zu morgendlicher Stund ein kleiner Snack auch nicht schlecht wäre. Wir hungern. Frage: Fehlten weiblicher Touch und Fürsorge bei unserem Männertrip?
9.20 Uhr. Die Zelte sind abgebaut, alles zusammengeräumt (wieder was vergessen: ein Müllsack!) und die Rucksäcke sind abermals zum Zerreißen beladen. Viele Eindrücke beschäftigen uns, als wir ins Tal hinunterwandern und uns beim Bauernhof noch einmal für das Ermöglichen unseres Mikroabenteuers bedanken. Es bleibt nur eine Frage: Wann machen wir das wieder?