Snowboarden ist nicht mehr angesagt? Die einst hippe Szene auf dem Rückzug? Stimmt gar nicht, wie ein näherer Blick beweist: Im Winter 2016/17 zeigt sich der Sport fix etabliert – und vitaler denn je!

Von Wolfgang Kuhn


Für mich ist Snowboarden Leidenschaft, Beruf, Vergnügen, Herausforderung, eine Lebens­einstellung – mein Leben. Am liebsten bin ich jede freie Minute im Schnee und verbringe dort meine Zeit mit Gleichgesinnten und Freunden. Es gibt nur mich und den Berg. Ich fühle die grenzenlose Freiheit, wenn ich auf dem Brett stehe. Snowboarding is awesome!" Wenn Manuel Lindmoser, Junior Hardgoods Buyer beim Branchenprimus Blue Tomato, über Snowboarden spricht, hört sich das nicht so an, als ob die einst so wilde Szene jemals in eine Krise geschlittert wäre. Dennoch berichteten Medien in den letzten Jahren immer wieder über den Niedergang des Snowboardens – bezeichnenderweise oft Publikationen, deren Schreiber selbst nie auf einem Board unterwegs waren.


Dass ihr Befund so nicht stimmen kann, zeigt sich insbesonders am Beispiel Blue Tomato: 1988 vom ehemaligen Snowboard-Europameister Gerfried Schuller als kleine Snowboard-Schule im steirischen Schladming gegründet, operiert das Unternehmen längst international und zählt heute über 400 Mitarbeiter. 2015 erwirtschaftete Blue Tomate einen Umsatz von 69 Millionen Euro, rund 36 Prozent mehr als im Jahr davor.

Eines hat sich aber bei allem Wachstum nie geändert: Nach wie vor sind im Unternehmen in erster Linie begeisterte Snowboarder am Werk, die bei Neuschnee schon einmal ihre Arbeitsplätze im Stich lassen, um selbst ihre Lines zu ziehen.

Was allerdings schon stimmt: Am Berg teilen sie sich die Hänge heute mit ehemaligen Gesinnungsgenossen, die eben nicht mehr auf dem Snowboard unterwegs sind. Seit sich die Skiindustrie erfolgreich einige Tricks bei der „jungen" Konkurrenz abgeschaut hat, ist es dank Carving­skier nicht mehr so schwer, Skifahren zu erlernen. Auch der Abfahrtsspaß im Powder ist heute dank breiter Rocker-Latten (fast) genauso groß, wie er am Snowboard seit jeher war. Und der Aufstieg mit Touren­skiern funktioniert eben auch leichter und dank hippem „Freeski"-Design ist es sogar für die coolsten Dudes nun wieder legitim, Ski zu fahren.

NEUE BOARD-TECHNOLOGIEN
Doch Stillstand war noch nie die Sache der Snowboard-Macher, die längst auf die veränderten Marktbedingungen reagiert haben: „Und zwar mit vielen neuen, speziellen Produkten für jede Zielgruppe – zum Beispiel mit Splitboards sowie Bindungen und Boots für den Tourenbereich. Dem Snowboarder bietet man damit alle Freiheiten im alpinen Gelände und er wird zusätzlich mit der gewohnt lässigen Abfahrt im Powder belohnt", erklärt Manuel Lindmoser, der mit diversen Innovationen auf eine breitere Käuferschicht setzt. „Es gibt viele verschiedene, technische Updates in allen Bereichen. Mit dem Splitboard-Trend können wir jetzt unsere tourenorientierten Kunden sehr gut bedienen, den Einsteigern oder Gelegenheitsfahrern wiederum machen es diverse Reverse-Camber-Technologien um einiges leichter, das Snowboard zu steuern. Dann gibt es noch den ,Powder Surf Trend': Das sind eigens entwickelte Boards ohne Bindung, um das Surfgefühl noch besser in den Schnee zu bringen."

REVOLUZZER IM HERZEN
Doch nicht nur das Material hat sich geändert, auch die unangepassten Revoluzzer von damals sind erwachsen geworden. Die jungen Wilden von einst sitzen jetzt in Büros, ihr Sport ist nicht mehr Punkrock, sondern längst olympische Disziplin. Über die Entwicklung zu Letzterem hätte sich die Snowboard-Community beinahe komplett zerstritten, und die Frage, was Snowboarding heute überhaupt bedeutet, ist immer noch permanenter Diskussionsgegenstand: „Eine Szene zu definieren, die so stark wächst und sich verändert, ist schwierig. Um es bildlich auszudrücken: Aus dem Kern wurde ein Baum mit vielen verschiedenen Ästen wie beispielsweise Freestyle, Freeride, Touring, Race und Carving. Das Einsatzgebiet unterscheidet sich stark voneinander und auch die Ansprüche ans Material sind verschieden. Aber dennoch sind wir alle zusammen Snowboarder."

Auch die Aussage, dass die Szene „erwachsen" geworden sei, will Manuel Lindmoser so nicht stehen lassen: „Ich würde es ‚erfahrener' nennen. Wir wissen, was wir wollen beziehungsweise brauchen, um unseren perfekten Tag im Schnee zu erleben. Hier wird vermehrt auf Qualität und Funktionalität gesetzt statt auf schrille Styles. Aber dennoch sind wir auf der Suche nach Einzigartigkeit – und im Herzen sind wir immer noch wilde Revoluzzer."

5 FACTS ÜBER DAS SNOWBOARDEN HEUTE ...
  1. Soziale Medien. 5 der 9 Sportler mit den meisten Followern bei den letzten Olympischen Spielen waren Snowboarder.
  2. Großes Angebot. Bei eigenen Parks, Pipes und gekennzeichneten Powderlines kann man aus dem Vollen schöpfen.
  3. Kids on Board. Mittlerweile nehmen die jungen Wilden von einst ihre eigenen Kinder mit aufs Brett.
  4. Große Zielgruppe. War die Altersgruppe früher eingeschränkt, findet man heute problemlos Boarder zwischen 3 und 50.
  5. Frauenpower. Frauen-Snowboarding erlebt auf Pro-Level gerade ­einen unglaublichen Schub mit tollen, talentierten Stars.


KEINE SPUR VON ALTERSMILDE
Reicht das, um den Nachwuchs zu beeindrucken und für den Sport zu begeistern? Denn jede Szene lebt doch davon, dass sie mit frischem Blut vitalisiert wird. Das gilt erst recht für die Snowboarder, die in ihrem Selbstverständnis für immer jung und unverbraucht bleiben wollen: „Wenn Medien von einem ‚abklingenden Trend' berichten, beflügelt es sogar wieder mehr junge und neue Individualisten, damit zu beginnen. Hier bietet auch das Internet eine echte Chance: Wer Fotos von Bekannten im Schnee sieht oder Clips der neuesten Stunts von Ikonen im Web entdeckt, wird immer wieder aufs Neue begeistert und motiviert", weiß Lindmoser.

Vor allem aber gibt es mittlerweile wieder ein paar echte Helden, zu denen sowohl junge als auch alte Hasen aufsehen: „Junge, internationale Stars wie Kyle Mack, Marcus Kleveland oder Anna Gasser haben das Zeug, richtig viele Menschen zu begeistern. Sie treiben die Szene immer weiter nach vorne. Das pusht den ganzen Sport und gibt jungen Leuten die Motivation, noch härter an sich zu arbeiten." Snowboarden und Altersmilde? Nicht die Spur ...


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