Die Pandemie hat einen Lauf-Hype ausgelöst wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und der Großteil der Einsteiger sind junge Frauen – wie Anja Trieb, die sich gleich sehr viel vorgenommen hat.
Der erste lauwarme Frühlingstag zeigt ein ganz klares Bild. Viele, viele Läufer sind unterwegs, darunter viele Junge und darunter wiederum viele, viele Frauen. „Das ist ganz klar die größte Gruppe der Einsteiger“, bestätigt auch Michael Wernbacher vom Wemove Runningstore in Wien. Nicht Pace, Marathon und harte Intervalle stehen bei der Zielgruppe im Vordergrund, sondern Ausgleich, Frischluft, Psychohygiene, einfach ein Schritt hin zu einem gesünderen Lebensstil. Laufen ist für viele junge Frauen nicht mehr DER Sport, dem sie alles unterordnen, sondern einer von mehreren, den sie einfach mit Spaß an der Freude betreiben und genießen. „Die meisten machen vier, fünf andere Sportarten auch, kaufen sich aber einen hochwertigen Laufschuh, weil sie mit dem ins Fitnesscenter gehen können und laufen.“
Der Grund, warum gerade jetzt so viele vor allem junge Leute und da junge Frauen mit dem Laufen anfangen, liegt für Wernbacher auf der Hand. „Viele andere Sportarten waren oder sind im Lockdown nicht möglich. Zum Laufen aber brauch ich keinen Zweiten, ich kann direkt vor der Türe loslegen und erlaubt war es auch immer.“ Drei Viertel aller Laufeinsteiger hätten bis zum Ausbruch der Pandemie andere Sportarten betrieben und erst jetzt zu laufen begonnen. Den letzten derartigen Lauf-Hype hat es um die Jahrtausendwende gegeben. „Damals mit ausgelöst durch die Bücher von Ulrich Strunz“, erinnert sich Wernbacher an einen ähnlichen Lauf- Zulauf.
Ein Beispiel dafür ist Anja Trieb aus Kapfenberg in der Steiermark. Die Kindergartenpädagogin konnte dem Laufen nie viel abgewinnen. „Auf Facebook hab ich dann von einer Challenge der Virtual Runners gelesen, im Jahr 2021 exakt 2021 Kilometer zu laufen“, erinnert sie sich an den letzten Jahreswechsel. „Und weil man im Lockdown ja eh nicht viel machen kann und das Crossfit-Studio auch geschlossen ist, hab ich mir gedacht: Da meld ich mich an.“ Gesagt, getan. Ohne zu wissen, worauf sie sich da einlässt. Dass das bedeutet 168,4 Kilometer im Monat zu laufen – jedes Monat – oder täglich 5,5 Kilometer. Wobei sich das schnell ausrechnen ließ. „Was es aber körperlich heißt, jeden Tag mehr als 5 Kilometer zu laufen, hab ich natürlich nicht abschätzen können.“
Die ersten Tage waren hart – winterliche Temperaturen, schneebedeckte Straßen und Wege sowie wenige Tageslichtstunden haben das Unterfangen erschwert. „Meistens laufe ich nach der Arbeit, es kommt aber auch vor, dass ich früh munter bin und mir dann denke, es ist zwar erst halb 6, aber wenn ich schon wach bin, kann ich das Laufen auch gleich erledigen“, erzählt die 25-Jährige.
Man fühlt sich einfach fitter und es hat körperlich definitiv auch schon was verändert.
So schwer es am Anfang war, dranzubleiben, so sehr braucht sie das Laufen jetzt schon. „Drei Tage nicht zu laufen kommt mir schon komisch vor“, sagt sie und lacht. Und macht die Herausforderung ja noch größer. Normalerweise läuft Anja rund 7 Kilometer, manchmal, wenn es besonders gut läuft, auch 10. „Das Längste waren bislang 12 Kilometer und inzwischen schaffe ich 10 Kilometer auch schon in einer Stunde.“ Ein bestimmtes Tempoziel hat sie nicht, wie es ihr – Stand Mitte März – auch nicht vordergründig um den Trainingseffekt geht. „Es geht mir danach einfach gut. Oft bleibe ich auch stehen und mache ein Foto vom Sonnenauf- oder -untergang und freue mich einfach, so etwas Schönes zu erleben.“ Laufen schüttet Glückshormone aus – Anja Trieb ist der Beweis dafür, dass das kein leeres Marketinggewäsch ist.
Längst ist das Laufen für sie zum Selbstläufer geworden. „Es tut mir einfach so gut für den Kopf, ich denk an nix, das ist herrlich.“ Ihre Laufroutine ist allerdings außergewöhnlich. Sie läuft immer mit Musik. „Mit immer dem gleichen Lied pro Lauf“, sagt sie. Da kommt es schon vor, dass sie auf ihrer Laufrunde einen Titel 20 Mal hintereinander hört. Erinnert ein wenig ans Mantra vorsagen bei der Meditation. „Wahrscheinlich komm ich dadurch auch so richtig in eine Lauf-Trance“, beschreibt sie. Musik spielt in ihrem Leben auch eine zentrale Rolle. Im Kindergarten wird schließlich gesungen, dazu spielt sie Gitarre in einer Band und nebenbei macht sie eine Ausbildung zur Musiktherapeutin. „Wenn ich ein Lied lerne, schau ich mir auch nicht immer nur Noten und Text an, sondern höre es einfach so oft, wie es geht.“
Was als Challenge begonnen hat, ist für Anja Trieb schon zur Leidenschaft geworden.
Derzeit läuft sie auch noch so oft, wie es geht. „Aber jetzt war ich zwei Tage nicht, da wächst der Druck schon ein bissl“, sagt sie. Schließlich will sie die 2021 Kilometer schaffen, auch wenn ihr das Laufen zum fixen Bestandteil des Lebens geworden ist. „Man fühlt sich einfach fitter und es hat körperlich definitiv auch schon was verändert“, sagt Anja.
Nicht ausschließlich zum Positiven aber. Ein Blick auf die Beine verrät – Anja laboriert bereits am Shin Splint, also Schienbeinkantensyndrom, das eine klassische Folge von Überbelastung ist. Die bunten Kinesiotapes an der Unterschenkelinnenseite verraten sie. „Stimmt, dort tut es weh. Aber ich bearbeite das auch schon mit dem Faszienball, weiß, wie ich die Stelle richtig tapen muss.“ Anders als viele Läufer der „alten Schule“, die nach Plan auf einen Wettkampf und eine Bestzeit hintrainieren, hört sie auf ihren Körper und gönnt ihm eine Pause, bevor die Probleme so groß werden, dass sie nicht mehr laufen kann.
Anja weiß auch, dass es knapp werden könnte, rein mit Laufen auf die Kilometerleistung zu kommen. In extremis würde sie auch Spazierengehen gelten lassen. „Aber solange es mit Laufen geht, laufe ich.“ Und danach? Wenn die Challenge erfüllt, die Pandemie vielleicht im Griff ist und die Freizeitmöglichkeiten wieder mehr werden? „Werde ich trotzdem weiterlaufen“, sagt Anja. Laufen ist ein Teil ihres Lebens geworden. Ohne Wettkämpfe, dafür mit viel Spaß und Genuss. „Ich gehe sogar schon lieber laufen als shoppen – und das heißt was.“
Oft bleibe ich auch stehen und mache ein Foto vom Sonnenauf- oder -untergang und freue mich einfach, so etwas Schönes zu erleben.