Beim Marathon der Olympischen Spiele in Paris 2024 vertritt Julia Mayer Österreichs Farben. Was sie antreibt, warum ihr Daten im Training wichtig sind und warum die beste Laufleistung aller Zeiten von einer Frau stammt – das und mehr verriet sie uns im Vorfeld.

Christof Domenig
Christof Domenig

Mit welchem Gefühl wirst du am 11. August, dem Tag des Olympiamarathons, aufstehen?
Es wird zunächst einmal recht zeitig beim Aufstehen. Wir starten um acht, ich bin also sicher um vier munter. Ich hoffe, ich werde mich freuen, bin extrem gut vorbereitet und fühle mich bereit, einen der schwierigsten Olympiamarathons, die es je gegeben hat, zu laufen.

Wobei dir die Strecke liegen sollte?
Man spricht immer davon: Wem liegt ein schneller Kurs? Wem liegt bergauf, bergab? Ich glaube, dass all jene, die sich qualifiziert haben, die also 2:26 und schneller laufen können, gut genug sind, um jeden Marathon zu laufen, egal mit wie viel Höhenmetern. Das Niveau ist so hoch. Es wird eine Schlacht werden, sauheiß und mit 500 Höhenmetern wird es auch extrem hart werden.

Ist die Teilnahme an einem Olympiamarathon für eine Läuferin aus Österreich das höchste Erreichbare?
Ja, schon. Abgesehen davon, dass ich dafür den österreichischen Rekord um vier Minuten unterboten habe, ist eine Olympiaqualifikation das Höchste, was man erreichen kann. Was willst du auf der Langstrecke weltweit mehr? Das wären dann schon sehr abstruse Ziele, die man sich setzt.

Andererseits bist du erst vier Jahre Profisportlerin. Wenn man Interviews von dir und deinem Trainer Vincent Vermeulen verfolgt, dann ist oft von deinen noch viel größeren Entwicklungspotenzialen die Rede. 
Das schon. Ich möchte jeden Tag besser werden. Man weiß, man wird im Ausdauersport nicht von heute auf morgen gut. Das braucht Jahre, bis man ein Niveau entwickelt, um dann daran weiterzuarbeiten. Gerade bei mir: Vier Jahre professionelles Training, ich habe so viele Bausteine, an denen ich arbeiten kann: Laufökonomie, Technik, Geschwindigkeitsbereiche. Da bin ich noch lange nicht am Limit. In vier Jahren, Olympische Spiele 2028, wird man auch schon wieder ein bisschen schneller laufen müssen. Je höher das Niveau wird, desto dünner wird außerdem die Luft. 

Wir Hobbyläufer denken uns Leistungsverbesserung meist über die Ausdauerleistung. Bei dir stand zuletzt Lauftechnik im Fokus. Auch mit Videoanalysen, um dem perfekten Laufstil auf die Spur zu kommen.
Ja, unter anderem. Es sind immer verschiedene Aspekte, die wir zu verbessern versuchen. Derzeit sind es die Schrittlänge und die Kraft, die ich etwas besser auf den Boden bringen soll. Nicht über klassische Lauf-ABC-Übungen, zum Glück, denn das würde mir eh keinen Spaß machen. Sondern man versucht das ins Training so zu integrieren, dass man dennoch ein Lauftraining hat, das aber auf die Verlängerung der Schrittlänge abzielt. Im Video wird dann analysiert. Mein Trainer ist Physiotherapeut und weiß von der Anatomie, vom Bewegungsablauf, was falsch ist, damit ich das ändere und nicht vielleicht auf eine Verletzung zusteuere. Das sind Dinge, auf die wir großen Wert legen.

Hängt bei der Lauftechnik auch der Laufschuh dran? Der hat sich ja in den letzten Jahren – Stichwort Carbon – deutlich verändert.
Ich denke schon, dass man mit oder ohne Carbon einen anderen Laufschritt hat. Im Training machen wir alles ohne. Das ist eine individuelle Sache, ich spüre den Bodenkontakt so besser. Laufen ist hochkoordi­nativ und du musst dich spüren, um dich weiterentwickeln zu können. Sonst ist bei uns die Schuhthematik untergeordnet: Ich teste nicht 15 Paar Schuhe und schaue, welches am schnellsten ist. Das sind Sekundenbruchteile, die du rausholen kannst – oder im Endeffekt Kopfsache. Meiner Meinung nach. 
 

Die Rennen bestreitest du aber mit Carbonschuhen?
Ja, da vertraue ich Asics, dass sie mir die schnellsten Schuhe geben. Im Rennen brauchst du auch nicht über deine Schrittlänge nachdenken – du rennst da quasi um dein Leben.

Ihr arbeitet generell stark anhand von Daten – mit Wattmessung oder Zuckermessung zum Beispiel.  
Genau. Watt ist im Laufsport noch nicht so verbreitet, was verwunderlich ist. Im Radsport wird alles seit vielen Jahren mit Watt gesteuert. Zucker – ja, das ist ein wesentlicher Faktor, der für mich mittlerweile sehr wichtig geworden ist. Zur Ernährung, zur Regeneration. Im Endeffekt muss ich alles, was es gibt, heranziehen. Ich mach das ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern versuche besser zu werden. Erstens weil es mein Job ist und zweitens weil ich besser werden will. Da kann man nichts dem Zufall überlassen, muss sich faktenbasiert weiterhanteln von Training zu Training.

Es ist vielleicht eine Binsenweisheit: Aber um etwas erfolgreich zu machen, muss man es in der Regel mit Freude machen. Was ist es beim Laufen, was dir Spaß und Freude macht?
Laufen taugt einem oder nicht. Mir macht es grundsätzlich Spaß. Und dann, wenn du seit mittlerweile vier Jahren siehst, dass du dich Tag für Tag verbesserst, dann ist es gar nicht das Laufen an sich sondern das Spiel, das du spielst, um zu sehen, wie du besser wirst oder vielleicht auch nicht. Du reizt alles aus, was geht, und das ist das Spannende. Du bereitest etwas vor und siehst am Tag X, ob es funktioniert hat. Indem du 2:26 oder mitten aus dem Marathontraining einen schnellen Zehner läufst. Das sind die Dinge, die mich faszinieren.

Im Rennen brauchst du auch nicht über deine Schrittlänge nachdenken – da rennst du quasi um dein Leben.

Julia Mayer

Du hast mal gesagt, dass die beste menschliche Laufleistung von einer Frau erbracht wurde – auf den Marathon-Weltrekord von Tigist Assefa gemünzt. Wie lässt sich diese Einschätzung ­begründen?
Es bezog sich eigentlich auf zwei Leistungen – den Halbmarathon-Weltrekord in 1:02:52 von Letesenbet Gidey und auf den Marathon-Weltrekord 2:11:53 von Assefa. Die zwei Leistungen sind die besten jeher. Einmal, weil ich eine Frau bin und mir denke, das ist jenseits von Gut und Böse, die sind einfach irre. Sicher sind sie elf bzw. fünf Minuten hinter den Männer-Weltrekorden. Aber eine Frau ist nun mal eine Frau. Man kann sich aber auch bei World Athletics die Punktetabelle ansehen, wie viele Punkte eine Zeit bringt, die jemand gelaufen ist: Der Marathon-Weltrekord der Frauen hat die meisten Punkte gebracht.

Hättest du eine Idee, was sich ändern müsste, um solche Leistungen stärker in den Mittelpunkt zu rücken?
Ich glaube, das ist das Los von uns Frauen – egal in welcher Sportart: Wir sind immer hinten dran. Ich frage mich auch: Warum identifiziert sich jeder in Österreich mit der Fußball-Nationalmannschaft – zugleich haben wir in der Leichtathletik zwei Medaillengewinner, Schwimm-Europameister, und nach einer kurzen Meldung interessiert das niemanden. Von daher weiß ich auch nicht, ob man Frauen mehr in den Mittelpunkt rücken kann. Wir werden es vielleicht schaffen, wenn die Männer verstehen, dass es als Frau doch ein bisschen schwieriger ist, vor allem in sportlichen Situationen. Sonst haben wir vielleicht einfach die Arschkarte.

Paris wird dennoch eine tolle Bühne bieten für die angesprochenen Sportarten – und auch für dich als einzige österreichische Marathon-Teilnehmerin. Was wäre für dich ein erfolgreicher Ablauf?
Ich bin am Papier relativ weit hinten, weil ich mit 2:26 das Mindestlimit erreicht habe. Es gibt in Europa inzwischen viele Läuferinnen, die 2:23 bis 2:25 laufen, wenn ich da nur ein oder zwei hinter mir lassen kann und meine Papierform minimal verbessere, bin ich schon zufrieden. Mehr darf man sich, glaube ich, gar nicht erwarten, wenn man gegen die 82 Besten der Welt läuft. Eine minimale Verbesserung vom Papier her, ein richtig gutes Rennen abliefern und schauen, was rauskommt.  

Julia Mayer
Julia Mayer

Geb. 20. Jänner 1993, aufgewachsen in Bad Fischau (NÖ). 2017 Umstieg vom Fußball zum Laufsport, wo ihr auf Anhieb ein Staatsmeistertitel gelang. Seit 2020 ist die Pädagogin (Deutsch, Sport) Heeressportlerin und hält mittlerweile die österreichischen Rekorde über 5 km, 10 km, im Halbmarathon und im Marathon. Ihren eigenen Marathonrekord verbesserte sie in Valencia 2023 um über vier Minuten auf 2:26:43 und qualifizierte sich damit für den ­Olympiamarathon Paris 2024.

WEB: www.juliamayer.at