Ein „untypischer, verrückter Weg“ – so beschreibt Peter Herzog selbst seine spektakuläre Leistungsexplosion und die Reise vom Saalfeldener Hobbyläufer zum Olympiastarter in Japan. Übrigens: Er kann fliegen.
Ein Trainingsplan aus dem Internet? Das klingt nach „Bikinifigur in 3 Wochen“ und „Abnehmen ohne Hungern“ oder „Sixpack mit Netflix“. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man die Geschichte von Peter Herzog verfolgt. Tatsächlich mit Trainingsplänen aus dem Internet zog der Hobbyläufer aus Saalfelden bzw. Leogang los und mischte die heimische Laufszene auf. Zunächst noch gänzlich ohne Plan lief er seinen ersten echten Marathon in München bereits in 2:39 Stunden. „Ja, wenn das so einfach geht, will ich die 2:30 knacken und dann lass ich es wieder“, erzählt Herzog mit einem Lachen. Mit einem Vier-Wochen-Internet-Trainingsplan rennt er in Wien 2016 tatsächlich 2:30, lässt es aber nicht dabei bleiben. Der Salzburger saugt sich den nächsten Trainingsplan aus dem Netz, diesmal schon mit geradezu generöser Drei-Monats-Einteilung und rast damit in Frankfurt mit 2:21 ins Ziel. Spätestens jetzt nehmen der Verband und Restösterreich von Herzog, eigentlich Nachwuchstrainer im Skigymnasium Saalfelden, Notiz. „Da bin ich bei der Halbmarathon-Staatsmeisterschaft schon mit Valentin Pfeil mitgelaufen. Lustig, keiner hat mich gekannt“, grinst der 32-Jährige.
Also, wer ist dieser Peter Herzog?
Ein sportliches Ausdauer-Multitalent, möchte man meinen. Herzog machte in Jugendjahren Langlauf und Biathlon und war Klassenkollege des späteres Biathlonweltmeisters Dominik Landertinger, eine Freundschaft, die heute noch hält und motiviert. Mit zehn Jahren war eine zusätzliche Faszination ausgebrochen: Bike-Trial, das Manövrieren und Springen mit einem Rad auf und über künstliche Hindernisse ohne abzusteigen. Herzog war sehr talentiert, holte mit dem Trial-Bike bei der Junioren-WM Bronze. „Parallel dazu habe ich immer Ausdauer gemacht. Ich wusste, ich habe Talent und konnte locker mit den besten Läufern bei uns mithalten.“ Dann kippte er Hals über Kopf und sehr intensiv in den Triathlonsport, war beim Radfahren und Laufen schnell bei den Besten, nur das Schwimmen hat nicht funktioniert. „Ich bin geschwommen wie eine Werkzeugkiste und stieg immer mit acht, zehn Minuten Rückstand aus dem Wasser.“ Von heute auf morgen beendete er seine Triathlonambition, machte die Abendmatura und monatelang keinen Sport. Doch er spürte etwas, „das Sportlerblut in mir“, und ging bald wieder zwei- oder dreimal pro Woche laufen, ganz easy. Bis ihn ein Freund fragte, ob er ihn als Ironman-Vorbereitung zu einem Marathon begleitet. Herzog sagte zu und galoppierte unvorbereitet in München mit seinem Bekannten in 3:24 über die Ziellinie. „Mir hat alles wehgetan, aber das Laufen durch die Stadt und die Emotionen im Feld und im Publikum haben echt Spaß gemacht.“ Das Feuer hatte ihn wieder gepackt. Als er krank den Silversterlauf in Innsbruck als Zweiter finishte, zog er sich eine schwere Herzbeutelentzündung zu und musste abermals aufhören. „Ich konnte keine 30 Minuten laufen“, erinnert er sich. Herzog rappelte sich hoch, wurde gesund und startete in München mit den 2:39 nun endgültig seine rasante Reise durch die österreichische Laufszene.
Das Potenzial optimiert
2018 beim Vienna City Marathon (2:16) holte er sich das Ticket für die Europameisterschaft und einen Platz im Nationalteam. Die EM wurde zur Sternstunde: Der Pinzgauer lief in 2:15 Stunden neuen Salzburger Landesrekord und auf Rang zehn. Mit Lemawork Ketema (2:13) und Christian Steinhammer (2:20) holte Österreich überraschend EM-Bronze in der Teamwertung. Herzog war bis dahin berufstätig, beendete nun aber seine Arbeit im Gymnasium, wurde Profi als Heeressportler in Hochfilzen und bekam wertvolle Partner und Sponsoren. „Diese Chance kriegst du nur einmal“, wusste er. Ab 2019 wurde noch einmal alles optimiert, „denn ich hatte mein Potenzial noch lange nicht abgerufen.“ Ernährung, Höhentraining, Gewichtsoptimierung, vor allem die Regeneration wurden wichtiger und damit hat man eine weitere Leistungsexplosion eingeleitet, „die selbst für mich nicht vorstellbar war“. Er trommelte 2019 in Berlin die 42 km in 2:10:57 herunter – Rang drei in der ewigen Bestenliste Österreichs und das Ticket für Olympia 2020. Fast wie ein Traum, aber Herzogs Reise ist noch nicht zu Ende. „Ich werde immer mehr und mehr zum Marathonläufer und bin gemessen an Laufjahren noch jung und unverbraucht. Ich kann noch was drauflegen“, sagt der 32-Jährige. Wohl nicht bei Olympia, da gibt es keine Pacemaker und zu viel Trödeltaktik am Beginn, aber 2021 will er seine Bestzeit noch einmal verbessern.
Unverbraucht scheint auch sein Zugang zum Laufsport. Der Hobbyläufer steckt noch in ihm. „Klar macht es nicht immer Spaß, wenn du 200 km in der Woche trainierst, aber ich laufe, weil es mich wie früher befreit und mir Freude bereitet. Dieses Gefühl, wenn du richtig schnell läufst, das ist wie Fliegen. Das ist mega.“ Dass seine Leistungsexplosion (und sein nordischer Background) einigen verdächtig vorkommt, wischt er weg und geht in die Offensive. „Ja, eigentlich ist das eine klassische Dopingkarriere. Aber ich bin halt als Spätzünder eingestiegen und kann erst nach und nach mein Potenzial abrufen. Ein untypischer, verrückter Weg.“
Dabei kämpft er als ungelernter Läufer ohne Grundlaufschule auch mit der Technik. Hauptaugenmerk ist eine Ökonomisierung seines Laufstils. „Noch brauche ich zu viel Energie, weil ich zu kraftvoll laufe. Ich muss sehr bewusst laufen, damit es sich rund anfühlt. Die Schrittfrequenz haben wir schon um fünf, sechs Schritte pro Minuten steigern können. Klingt wenig, ist bei einem Marathon aber sehr viel.“ Seine frühere Anfälligkeit für Krankheiten nach Wettbewerben hat man nun gut im Griff. Auch, weil Herzog nicht mehr zwischen Schneehaufen auf der selbst freigeräumten Laufbahn in Saalfelden trainieren muss, sondern sich in Trainingslagern in Portugal auf Olympia vorbereitet. „Schnee und Eis machen starke Beine“, grinst der Überflieger, „aber für die Schnelligkeit brauchst du andere Einheiten.“