Er lief am Nordpol, am Mount Everest und im Death Valley. Ob in Bhutan, auf den Bermudas oder den Osterinseln – bis heute absolvierte er 287 Marathons. Eine unglaubliche Leistung. Für Helmut Linzbichler ist es aber weit mehr: Für den 72-Jährigen wurde das Laufen zu seiner eigenen Weltanschauung.
Helmut, kannst du dich noch an deinen ersten Marathon erinnern?
Aber natürlich! Als ich etwa 40 Jahre alt war, hatte ich eine Reihe von grippalen Infekten. Ich wollte mich abhärten und habe deshalb mit dem Laufen begonnen. Im Jahr 1985 bin ich dann in Graz meinen ersten Marathon gelaufen. Es war nur eine Quälerei. Gleichzeitig war ich unglaublich stolz. Trotzdem wollte ich mir so etwas eigentlich kein zweites Mal antun.
Was aber gründlich in die Hose ging: Bis zum heutigen Tag bist du 234 Marathons und 53 Ultra-Marathons gelaufen …
Tja, so läuft’s im Leben. Wenige Tage nach meinem ersten Marathon rief ein Freund an, ob ich mit ihm den Marathon in München laufen möchte. Da wollte ich nicht kneifen. So ging’s los. Und irgendwann wollte ich einfach wissen, was ich zu leisten in der Lage bin, welche Strecken ich bewältigen kann.
Addiert man allein die gelaufenen Marathon-Distanzen, kommt man auf stolze 22.650 Kilometer. Welche Kilometer davon waren die schlimmsten?
Ich denke, das war der Badwater Lauf im Death Valley. Dort steigen die Temperaturen auf bis zu 50 Grad. Bei Hitze hatte ich immer fürchterlich schlechte Zeiten. Also wollte ich es wissen – und habe mir den brutalsten Lauf rausgesucht. Ich wollte die 217 Kilometer in 48 Stunden schaffen. Am Ende waren es 58 Stunden. Das ist einer der wenigen Läufe, bei denen ich definitiv kein zweites Mal an den Start gehen würde.
Gab’s auch einen besonders schönen Kilometer?
Da denke ich an den letzten Kilometer in Sevilla. Ich war 54 Jahre alt und bin das erste und letzte Mal unter drei Stunden gelaufen. Bei Kilometer 40 habe ich die Uhr abgestellt, weil ich gesehen habe, dass ich es schaffen werde … das war ein großartiges Gefühl.
Im Laufe der Jahre wurde dein Hobby zur Weltanschauung. Du bist in Bhutan gelaufen, auf La Réunion und in 50 verschiedenen Staaten der USA. Welche Orte, welche Plätze sind dir heute noch besonders präsent?
Der Nordpol. Da sind wir bei minus 37 Grad gelaufen. Der Eismarathon in der Antarktis. Ebenso faszinierend. Das waren natürlich extreme Erlebnisse. Aber ich wollte nicht nur verreisen, sondern dabei auch immer eine Leistung vollbringen.
Was war denn die größte Leistung?
Das war wohl der Transamerika Lauf von Los Angeles nach New York. 4.265 Kilometer, insgesamt 528 Stunden in 64 Etappen. Da sagst du dir zwischendurch schon: Jetzt reicht’s wirklich! Aber dann stehst du doch wieder am nächsten Tag um 3.30 Uhr auf und um 5 Uhr früh am Start. Ehrlich – hast du es auch einmal übertrieben? Ja, da gab’s eine richtige Dummheit: Den Tenzing-Hillary-Marathon in Nepal bin ich genau 36 Stunden nach meiner erfolgreichen Besteigung des Mount Everest gelaufen! Das war natürlich kompletter Blödsinn und hätte ganz böse ausgehen können. Seitdem schalte ich auch mal einen Gang zurück. Ich strenge mich gerne an – aber ich möchte mich nicht mehr quälen.
Wie erlebst du die Grenze deiner Leistungsfähigkeit: Ist das eine Linie? Oder eher eine Zone, die unter höchster Anstrengung noch verschoben werden kann?
Mit Sicherheit gibt es einen physischen Punkt, an dem einfach Schluss ist. Aber die richtige mentale Einstellung eröffnet einem neue Kraftreserven. Ich sage mir immer ganz sarkastisch: Das war deine Idee, du Trottel … also bring’s jetzt zu Ende! Manchmal denke ich auch an Menschen, denen es viel schlechter erging, als ich mich jemals fühlen werde. An Menschen, die im Krieg vielleicht keine andere Wahl hatten, als immer weiter zu laufen. Es klingt ein wenig seltsam, aber solche Negativbilder verwandle ich für mich in positive Energie.
Wie kommunizierst du mit deinem Körper, wenn du deine Grenzen ausreizt?
Ich bin ein akribischer Beobachter meiner Physis. Wenn es nach 70 Kilometern links unten zu zwicken beginnt, dann weiß ich meistens: In drei Kilometer hört das auf. Dann geht’s rechts los. Nur wenn etwas Neues auftritt, dann gehe ich tief in mich rein, werde langsamer, versuche, etwas zu verändern. Meistens sind es muskuläre Probleme oder mal eine beleidigte Sehne. Die enge Beziehung zu meinem Körper war aber mit Sicherheit der Grund, warum ich bislang alle Marathons ins Ziel gebracht habe, bis …
… auf den in Myanmar. Da musstest du im vergangenen Jahr die Segel streichen.
Richtig. Da hat mich und auch andere Läufer eine Lebensmittelvergiftung erwischt. Bei Kilometer 27 ging’s los und bei Kilometer 31 habe ich dann abgebrochen. Ich habe am ganzen Leib gezittert. Vor zehn Jahren wäre ich vielleicht noch auf allen Vieren weiter gekrochen – diesmal war eben Schluss. Aber selbstverständlich fliege ich noch einmal hin. Ich will meinen Job erledigen.
Du bist jetzt 72 Jahre alt. Mit dem Alter hat deine Leistungsfähigkeit sukzessive abgenommen. War das nicht frustrierend – festzustellen, dass du immer langsamer wirst?
Diese Phase hat es gegeben. Aber es ist nur logisch. Nun sehe ich nicht mehr meine Bestzeiten, sondern ich vergleiche mich mit anderen Läufern in meiner Altersgruppe. Und ich nehme häufiger an Bergläufen teil, bei denen die Geschwindigkeit nicht so hoch ist. Außerdem stehen inzwischen der Spaß und das Erlebnis eindeutig im Vordergrund. So wie im letzten Jahr der Lauf auf den Osterinseln. Meine Frau und ich haben das mit einer Reise auf die Galapagos-Inseln verknüpft, wo wir schon immer mal hin wollten. Das war einfach wunderbar …
Trotz all dieser Reisen bleibt die Heimat dein Fixpunkt. Deinen 100. wie auch den 200. Marathon bist du in Graz gelaufen. Wird das auch der Ort für deinen 300. Marathon sein?
Ich weiß gar nicht, wie lange ich noch laufe. Ich laufe, so lange es mir gut tut – und es mir Spaß macht. Mein letzter Marathon könnte also auch Nummer 297 in Dschibuti sein. Aber wer weiß: Vielleicht wird der 300. wirklich in Graz stattfinden ...
DER WELTENBUMMLER
HELMUT LINZBICHLER wurde am 31. August 1941 in Graz geboren. Bis heute absolvierte er 234 Marathons und 53 Ultra-Marathons in mehr als 40 Ländern auf allen Kontinenten der Welt. Am 25. Februar 1996 lief er in Sevilla in 2:59:18 Stunden seinen schnellsten Marathon. Parallel zu seinen Laufabenteuern startete Linzbichler zahlreiche Expeditionen und Bergbesteigungen.
Bis heute ist er der älteste Europäer, der (im Alter von 66 Jahren) auf dem Gipfel des Mount Everest (8.848 m) stand. Nachdem er im Jahr 2009 den Mt. Vinson (4.892 m) in der Antarktis bestiegen hat, ist er zudem der älteste Mensch der Welt, der die höchsten Gipfel aller geografischen Kontinente (Seven Summits) bezwang. Der pensionierte Lehrer Helmut Linzbichler ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Kapfenberg (Steiermark).
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