Tourenskischuhe gibt es viele am Markt und alle ­haben ihren ganz spezifischen Einsatzzweck. Wer sich auf keinen besonderen Zweck festlegen möchte, der greift am besten zu modernen Allroundern.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Ein Skitourenschuh ist ein Schuh, mit dem man auf Skitour geht? Grundsätzlich richtig, aber dann auch wieder nicht. Denn Skitourenschuh ist 2024 längst nicht mehr gleich Skitourenschuh. Über den wachsenden Markt der Skimo-Racer wuchs auch die Auswahl an Modellen, die für maximale Höhenmeter pro Stunde optimiert sind, teils deutlich unter 1000 Gramm wiegen und eine bergschuhähnliche Beweglichkeit mitbringen. Die eingeschränkte Abfahrtsperformance dieser Schuhe macht sie gleichzeitig nur für Experten empfehlenswert. Am anderen Ende der Produktrange trieb die große Zahl an Freeridern, die für steile Rinnen oder herausfordernde Powder-Hänge in Liftnähe kurze „Hikes“ zum Einstieg ihrer „Lines“ in Kauf nehmen, die Entwicklung der stabilen, im Fahrgefühl einem Alpinschuh gleichen, aber in der Bewegungsfreiheit eingeschränkten und im Gewicht mit 1500 bis an die 2000 Gramm eher schweren Freerideschuhe voran.

Und dann wären da noch die Allrounder. Schuhe für Tourengeher, die zwar gerne bergauf marschieren, die aber mindestens genauso die Abfahrt genießen. Schuhe um die 1200 bis 1300 Gramm, die eigentlich überall am Berg eine gute Figur machen. In dieser Kategorie finden sich Modelle, mit denen so gut wie jeder Tourengeher glücklich werden kann. Tecnicas Thorsten Steiner und Dalbellos Riccardo Bonaiti nahmen sich die Zeit, um mit uns etwas tiefer in die Welt der Skitouren-Allrounder einzutauchen.

Für jede Tour gerüstet
„One size fits all“: Für das Gros unter uns Tourengehern muss oder soll ein Touren-Set für alles, was der Winter so bringt, herhalten. Beim Thema Ski mag mancher noch ein älteres Paar als „Schotterski“ für dünne Schneeschichten und felsige Untergründe behalten oder neben einem schmäleren Alltagsski noch einen breiten Freetourer für Powdertage im Keller pflegen. Doch spätestens beim Schuh, da setzt der geneigte Tourengeher dann doch mit recht hoher Wahrscheinlichkeit auf ein einziges, gut passendes Modell. Entsprechend vielseitig sollte der Schuh sein.

Auftritt also für die Touren-Allrounder. „Ich glaube, der Erfolg dieser Schuhe liegt in ihrer Vielseitigkeit“, benennt Riccardo Bonaiti das Offensichtliche. „Das geringe Gewicht ermöglicht es, lange Anstiege zu bewältigen, ohne sich  zu sehr zu verausgaben und lässt genügend Energie in den Beinen, um die Abfahrt zu genießen. Die Schuhe bieten ausreichend Unterstützung, um Sicherheit und Freude in einer Vielzahl von Schneebedingungen, von Pulverschnee bis hin zu Eis, zu gewährleisten. Derlei Schuhe funktionieren gut für die Mehrheit der Skifahrer mit Skiern um die 90 mm Mittelbreite – Experten können damit aber sicherlich auch auf über 100 mm Breite gehen“, so Bonaitis Einschätzung.

Bei Tecnica ist es die Zero G Serie, die in den Bereich der Allrounder-Tourenskischuhe fällt. Für Thorsten Steiner liegt der Kern der Beliebtheit der Kategorie im gelungenen Mix aus Komfort, Funktionsumfang und Performance: „Skitourengeher müssen sich nicht mehr zwischen einem schweren Skischuh für Sicherheit, Komfort und Abfahrtsperformance oder einem Leichtgewicht mit entsprechenden Abstrichen entscheiden. Die goldene Mitte vereint die besten Eigenschaften beider Welten. Man erhält einen Schuh, der sowohl bergauf als auch bergab überzeugt – ohne dass das zusätzliche Gewicht von ein paar Gramm negativ ins Gewicht fällt. Solange man nicht im Rennbereich aktiv oder gegen die Stoppuhr unterwegs ist, sind diese minimalen Unterschiede nicht spürbar“, sieht Steiner die Allrounder als optimalen Schuh für vielseitige Tourengeher.

Passform und Anpassbarkeit
Was die Wahl der Tourenskischuh-Größe betrifft, ist es für Steiner wichtig, die „Balance zwischen Halt in der Abfahrt und Komfort im Aufstieg“ zu finden. Für ihn zählen beim Fit die gleichen Anhaltspunkte wie im Alpinbereich: „Der Schuh sollte fest sitzen, ohne Druckstellen zu verursachen, und gleichzeitig genügend Bewegungsfreiheit für den Aufstieg bieten.“ Riccardo Bonaiti legt bei der Passform zusätzlich großen Wert auf den „Komfort im Vorfuß“, wie er es ausdrückt, um ein entspanntes Gehen zu gewährleisten: „Zu viel Druck kann bei langen Touren zu Zwicken und Krämpfen in der Fußsohle führen. Gleichzeitig kann ein zu kurzer Schuh sehr unangenehm werden, besonders in Flachpassagen“, weiß Bonaiti.

Wenn doch einmal etwas zwickt, sind Probleme an Skitourenschuhen für Bootfitter oftmals nicht ganz so leicht behebbar wie bei Alpinschuhen. Denn „Skitourenschuhe, die den Bedürfnissen der Verbraucher nach Leichtigkeit und Agilität gerecht werden, haben sehr dünne Wände aus sehr harten Kunststoffen, was oft Fräsarbeiten erschwert. Außerdem sind Polyamide – oft mit Carbon- oder Glasfasern – in dieser Kategorie viel häufiger anzutreffen als Polyurethane“, gibt Bonaiti zu bedenken. Allerdings könne ein guter Bootfitter mit etwas mehr Aufmerksamkeit auch diese Materialien bearbeiten. 

Thorsten Steiner verspricht für die Tecnica-Tourenskischuhe mit C.A.S.-Technologie dieselben Anpassungsfähigkeiten wie bei den Alpinmodellen. Thermische Verformungen seien trotz der dünneren Schalen und Innenschuhe problemlos möglich, die anatomische Formgebung der Schuhe hätte bei Tecnica aber den Bedarf an Anpassungen ohnehin stark ­reduziert.

Blickpunkt „Range of Motion“
Viel beworben und gerne diskutiert ist die R.O.M, die sogenannte „Range of Motion“: also der Bewegungsbereich des Schaftes bei gelöstem Gehmechanismus. Riccardo Bonaiti erkennt darin einen zwar nützlichen, aber teils auch irreführenden Parameter: „Der Bewegungsumfang eines gesunden Sprunggelenks beträgt etwa 50 bis 60 Grad. Bei Dalbello legen wir den Fokus auf die Qualität dieses Bewegungsbereichs und unser Dual-Link-System positioniert uns an der Spitze der Kategorie hinsichtlich Reibungswiderstand, was eine natürliche Bewegung ermöglicht.“

Es kommt also nicht auf die maximal mögliche R.O.M an, sondern auf eine möglichst effiziente Lösung im Bereich des eigenen anatomischen Bewegungsbereichs. Auch Schrittlänge und Körperbau würden, sagt Thorsten Steiner, zusätzlich eine große Rolle in der Effizienz beim Gehen spielen. „Unsere Zero G Peak-Modelle sind so konzipiert, dass die Rotation nahezu uneingeschränkt ist – eigentlich wird sie nur durch die Beweglichkeit des Fußes selbst begrenzt.“

Qual der Wahl
Fakt ist: Wer nicht ausschließlich mit schweren Freerideskiern nach Herausforderungen sucht oder auf der anderen Seite mit minimalistischem Equipment auf Rekordjagd geht, der ist mit Allroundern um die 1200 bis 1300 Gramm gut beraten. In unserer kompakten Übersicht findet ihr dennoch zwölf Modelle aus allen drei Kategorien. Wichtig, egal, wofür ihr euch entscheidet: Der Schuh muss einfach zum Fuß ­passen.