Hand aufs Herz: Wahrscheinlich jeder von uns hat es schon mal getan und die meisten tun es wohl ständig – auf den diversen Portalen (ob Garmin Connect, STRAVA oder Runtastic) die Trainingseinheiten anderer Athleten stalken.
Von Nicole Weiss / unicorn-racing.com
Die Beweggründe sind hierfür ja unterschiedlich: reine Neugier, Selbstgeißelung, Bestätigung, Motivation, eine Mischung aus all diesen Möglichkeiten oder einfach, weil man die gefühlt 40 Minuten dauernden Werbepausen auf Pro7 sinnvoll nutzen will. In meinem Fall als Langdistanz-Neuling endet das Scannen des Newsfeeds immer wieder in einer kleinen Panikattacken und die wirren Gedanken können nur noch durch eine große Tasse Kamillentee wieder egalisiert werden:
- Was? Das ist bei den anderen die Pace einer Grundlageneinheit?
- Die Radstrecke von Athlet XY hatte viel mehr Höhenmeter als meine und ich war dennoch viel langsamer ... fährt der E-Bike?
- Wieso haben die anderen schon wieder so viele Einheiten pro Woche geschafft? Haben die alle keinen Job? Schlafen die nicht? Oder – und das wird nur genannt, um alle Eventualitäten abzudecken – haben die einfach mehr Bock?
- Habe wohl schon wieder zu wenig in dieser Woche trainiert - kann ich meine Ironman-Registrierung vielleicht doch noch umtauschen ... in einen „Tanze deinen Namen"-Leistungskurs oder Ähnliches?
- Meine Uhr hat das GPS-Signal verloren/der Akku wurde bei der Hälfte des Laufes leer, war mein Training jetzt für die Katz?
Wenn man selbst mal für ein paar Tage nichts hochgeladen hat oder ein Trainingskumpel kein Training postet, geht man ja automatisch vom Schlimmsten aus: Ist sie krank? Ist er verletzt? Oh mein Gott, doch schon Karriereende? If it's not on STRAVA, it did not happen! Gerade unter Triathleten, die ja den Ruf der Gadget- und Equipment-Junkies innehaben, muss doch jedes Training unverzüglich hochgeladen werden. Wie soll man in seiner Community sonst entsprechend angeben und der vermeintlichen Konkurrenz das Fürchten lehren ... im Dezember ... Echt jetzt? Das neue Motto kann doch auch mal heißen „Hau weg, den Dreck!" und entspann' dich!
Seit Längerem verfolge ich ja einen neuen Ansatz. Auf Geheiß meiner sehr erfahrenen Trainer wird die Uhr immer öfter zu Hause gelassen. Körpergefühl heißt das Zauberwort. Mindestens 1x pro Woche darf die Garmin nun gar nicht mit zum Laufen – oder wenn, dann ist sie nur ein versteckter Begleiter. Ich kann dies jedem nur wärmstens empfehlen! Nicht nur, weil das Laufen so viel erfrischender und ursprünglicher ist, sondern weil man auch im Rennen davon profitiert. Egal, wie sehr man seine Gadgets hegt, pflegt und ihnen mit eigenen Instagram-Accounts die nötige Aufmerksamkeit verschafft, sie können im Rennen mal ausfallen. Mir ist das sogar in diesem Jahr passiert: Beim Ironman 70.3 in St. Pölten zeigte meine geliebte Uhr auf der Laufstrecke plötzlich für eine Weile eine Pace von 10:00 min/km an. Das GPS-Signal wurde durch die hohen Gebäude in der Altstadt wohl irritiert (oder pssssst ... ich war doch kurz Window-Shopping?!). Ich kannte meine Pace aber und wusste: Nope, wir sind immer noch bei 04:40 ... läuft. Wer also in solchen Situationen kein Gefühl für seine Pace und seinen Körper hat, wird sich möglicherweise verwirren lassen und das Tempo irrtümlich anziehen oder sehr drosseln. In jedem Fall kann dies im Rennen mäßig ausgehen.
Noch extremer ist die Gadget-Schlacht ja bei den geliebten Rädern. Und nein, ich meine damit nicht die schönen rosa Accessoires, die ein Lebensgefährt eben so braucht (sonst fährt es ja gar nicht!?), sondern Wattmessung, Tacho, Navi und was man sich nicht alles montieren kann. Da mein Trainer im Radclub nicht der größte Fan dieser Materialtüftelei ist, gab es kürzlich auch hier ein schönes Kontrastprogramm, um das Gefühl für das Radfahren in Reinkultur zu schulen: Ich durfte mit dem Club zum Bahnradfahren nach Wien. Keine Bremse, keine Schaltung, kein Radcomputer, dafür aber eine 45 Grad Steilkurve, eine starre Übersetzung und große Angst. Was man sich hinsichtlich der Radausstattung an Gewicht einsparte, wurde durch die volle Hose wieder ausgeglichen. Aber was sollte ich tun? Ich konnte mir ja als einzige Dame keine Blöße geben und außerdem: Ich hatte ja kein Gadget dabei ... ein mögliches Versagen würde also niemand auf Garmin Connect erfahren ... hehehe. Steilkurve – here I come!
Auf den ersten paar Runden im Oval hätte ich mir zwar Stützräder oder zumindest ein paar Relax-Tees gewünscht, aber nach einiger Zeit war das Fahrgefühl da und die Tussi traute sich auch in die richtig steilen Zonen der Bahn. Wenn man seinen Respekt mal abgelegt hat, macht Bahnradfahren wirklich Spaß, obwohl das Rad keine rosa Verzierungen aufzuweisen hatte und die Garmin nicht mit dabei war. Ja Leute, auch so geht Radfahren ... ganz ohne Aufzeichnungen und Schnickschnack ... quasi FKK-Radfahren. Trotz aller Ansätze der Elektronik-Abstinenz geht es im Training ja dennoch nicht ohne unsere Uhren, Computer und Auswertungstools. Und wir lieben sie! Immerhin brauchen wir ein bisschen Trainingssteuerung und ein bisschen Stalking. Man muss ja up-to-date bleiben, auch wenn wir ja alle wissen, dass wir nur für uns und unsere persönlichen Ziele trainieren. Hochgeladen werden jetzt einfach nur noch die paar bärenstarken Einheiten zum Ärgern der anderen Athleten ... ganz entspannt und ohne Panik mit dem Entspannungstee in der Hand.
Die Bloggerin | Mehr von Hobby-Triathlon-Bloggerin Nicole Weiss findest du auf unicorn-racing.com, in unserem Triathlon-Bereich sowie ihrer Facebook-Seite facebook.com/Unicorn-Racing. |
Was bisher geschah ...