Weltmeisterin ist sie schon, doch Eisschnellläuferin Vanessa Herzog hat sich auch für diese Saison hohe Ziele gesetzt. Hier erklären die Sportlerin des Jahres und ihr Trainer-Ehemann Thomas, wie aus dem fast schon besiegelten Karriereende eine nicht für möglich gehaltene Erfolgsstory wurde.
Mit der Jagd kennt sich Vanessa Herzog aus. Der nach Titeln und Rekorden. Und der auf der Eisbahn sowieso. „Wenn meine Gegnerin vor mir startet und ich sie auf der Wechselgeraden sehe, dann sage ich mir immer: Jetzt jage ich sie die Gerade herunter“, erzählt sie. In der vergangenen Saison war sie bei ihren Jagden so erfolgreich, dass sie plötzlich in ganz neuer Rolle in den Winter geht. Nämlich als Gejagte, als diejenige, die die anderen überholen wollen. Für die 24-Jährige trotz verpatztem Saison-Auftakt kein Problem: „Ich finde es angenehmer, die Gejagte zu sein. In dieser Position weiß ich, dass ich ganz oben bin und die anderen sich verdammt anstrengen müssen, um mit mir mithalten zu können.“
So spricht jemand, der auf eine Saison zurückblicken kann, die auch chronisch kühne Optimisten nicht für möglich gehalten hätten. Vier Siege im Weltcup. Konstante Leistungen auf Weltklasseniveau. Und als Krönung der Weltmeistertitel über 500 Meter im bayerischen Inzell, ihrer Hausbahn, der mit der Silbermedaille über 1000 Meter noch einmal veredelt wurde. „Vanessa hatte vergangenes Jahr eigentlich kein schwaches Rennen, konnte den ganzen Winter hindurch ein superhohes Niveau halten“, sagt Thomas Herzog, Trainer, Manager und Ehemann der frisch gebackenen Sportlerin des Jahres in Personalunion. „Nur wenn ihr das auch heuer gelingt, kann sie ihre Erfolge bestätigen und die hohen Ziele erreichen.“ Dass die beiden heute als Erfolgsduo gelten und beim Gespräch mit SPORT aktiv zukunftsschwere Worte wie „WM-Titelverteidigung“ oder „Weltrekord“ fallen, ist eine Geschichte der verworrenen Wege, die eine Sportlerkarriere eben manchmal nimmt. Denn eigentlich hatte Vanessa, die damals noch Bittner hieß, 2015 beschlossen, den Hut draufzuhauen und die Kufen an den Nagel zu hängen. „Ich hatte eine schlechte Saison hinter mir und wusste, dass ich in Innsbruck aufgrund der Bedingungen mein Potenzial nicht ausschöpfen kann. Dann bin ich zu einem Team nach Holland gegangen, wo ich nach den gleichen Plänen trainiert habe wie ein Olympiasieger. Da war der Umstieg viel zu groß und ich dachte: Scheiße! In Innsbruck kann ich nicht, in Holland klappt es nicht, also lassen wir es bleiben.“
Als Gejagte weiß ich, dass ich ganz oben bin und die anderen sich verdammt anstrengen müssen.
In dieser Phase kam Thomas Herzog, eigentlich als Manager angeheuert („Als ich gefragt wurde, kannte ich ihren Namen nicht, obwohl sie bei Olympia war. Da wusste ich, dass ihr Marketing alles andere als optimal war.“), auf die verwegene Idee, es als Trainingsduo zu probieren. Okay, sein Wissen über Eisschnelllauf war überschaubar, die Erfahrung als Trainer beschränkte sich auf Tennis- und Skikurse zu seligen Studentenzeiten. Andererseits gab es nichts zu verlieren. Also begaben sich die beiden nicht nur auf eine gemeinsame private Reise (2016 wurde geheiratet), sondern auch auf eine sportliche. „Mein Vorteil ist, dass ich Bewegungsabläufe immer gut analysieren konnte, die sind in vielen Sportarten gleich. Beim Eisschnelllauf geht es darum, deine Zubringer-Leistungen so zu bündeln, dass du einen perfekten Ablauf hast.“ Was Herzog mit Zubringer-Leistungen meint: Sprint, Sprungkraft, Schnelligkeit und Reaktionsvermögen beim Start. Nur wenn alle Parameter zusammenspielen, ist es möglich, eine perfekte Runde ins Eis zu kratzen. Dabei kommt Vanessa zugute, dass sie von Haus aus ein riesiges Talent für viele Sportarten mitbringt. Thomas: „Mit ihrer Zeit über 100 Meter wäre sie Dritte bei den Staatsmeisterschaften geworden, über 400 Meter Zweite. Beim Bahnradfahren würde sie jederzeit den Titel holen. Und beim Weitsprung kommt sie ohne viel Training auf 5,60, 5,70 Meter. Das sind schon sehr gute Voraussetzungen.“
Also wurde Vanessas Skepsis („Gemeinsames Training? Sicher nicht!“) vor der Saison 2016/17 zum Teufel gejagt und das Abenteuer gestartet. „Ich habe nach seinem Plan trainiert und schnell gesehen, dass ich auf einem guten Weg bin“, erzählt Vanessa. „Die Testläufe im Herbst waren dann schon richtig gut.“ Schnell war eine Entwicklung zu sehen, die zwar langsam, dafür aber kontinuierlich vonstatten ging. Die Zehntel wurden gesammelt wie die Schwammerl im Wald, wobei es vor allem der Start war, an dem mit Engelsgeduld immer und immer wieder gefeilt wurde. „Als wir angefangen haben, brauchte Vanessa 10,7 oder 10,8 Sekunden für die ersten 100 Meter. Damit hast du keine Chance“, erzählt Thomas. „Heute stehen wir konstant bei 10,4 Sekunden.“ Positiver Nebeneffekt: Der schnellere Start sorgt gleichzeitig für mehr Schwung, der auf der restlichen Distanz wieder Zeit bringt. Eine Entwicklung, die dazu führte, dass Vanessa im März dieses Jahres ihre Bestzeit über 500 Meter auf 36,83 Sekunden schraubte. In Calgary, zusammen mit Salt Lake City die schnellste Bahn der Welt. „Im Vorfeld war ich allerdings etwas krank, da ist sicher noch viel mehr möglich.“ Womit wir wieder bei den Zielen für die kommende Saison wären. Eines davon: den Weltrekord der Koreanerin Sang-Hwa Lee anzugreifen. Der liegt bei 36,36 Sekunden und ist mittlerweile mehr als fünf Jahre alt. Da trifft es sich gut, dass die WM auf der Highspeed-Bahn in Salt Lake City stattfindet, wo Vanessa ihren Titel verteidigen möchte. „Dort mit Weltrekord zu siegen wäre ein Traum, auch wenn es sehr schwer wird. Ansonsten möchte ich dieses Jahr konstant vorne mitfahren und vielleicht ein bisschen schneller werden. Ich bin bei allen Parametern, die man messen kann, besser als im letzten Jahr.“
Scheiße! In Innsbruck klappt es nicht, in Holland klappt es nicht. Also lassen wir es mit der Karriere doch lieber bleiben!
Eine Ansage, die die Konkurrenz nicht gerne hören wird. Und die auf einen enormen Trainingsfleiß zurückzuführen ist. Denn für ausgiebigen Müßiggang ist Vanessa wahrlich nicht zu haben. Nach der Eisschnelllauf-Saison gönnt sie sich gerade einmal eine Woche Pause, ehe sie sich auf ihre zweite Paradedisziplin stürzt, das Inlineskaten. Dort wurde sie sowohl auf der Bahn als auch auf der Straße bereits Weltmeisterin. „Ein ideales Sommertraining“, findet sie. „Dieselben Muskeln werden beansprucht, der Bewegungsablauf ist zwar nicht gleich, aber ähnlich.“ Bei einem Groß-event ist sie jedes Jahr dabei, danach beginnt wieder die konkrete Vorbereitung auf die Eiszeit. Ein Ehrgeiz, der Vor- und Nachteile mit sich bringt. Denn der Coach Herzog würde sich manchmal wünschen, dass Vanessa nicht bei jedem Training und jedem noch so kleinen Wettkampf versucht, das Beste aus sich herauszuholen. „Dieser hohe Anspruch, immer 100 Prozent aus sich herauszuholen, laugt Vanessa im Laufe einer Saison aus. Daher ist sie am Ende des Winters ausgebrannter als andere. Daran müssen wir noch arbeiten.“ Ob er da nicht auf Granit beißt? „Ich will halt immer mein Bestes geben, kann gar nicht mit halber Kraft laufen. Aber das hat ja auch sein Gutes.“
Einig sind sich alle Beobachter, dass Vanessa nicht nur auf dem Eis, sondern auch in der Persönlichkeitsentwicklung große Fortschritte gemacht hat. Galt sie früher als graues Mäuschen, das sich nur selten traute, mit Fremden zu reden, geht sie heute mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein durchs Leben. Das war auch zu sehen, als sie im Frühjahr bei „Willkommen Österreich“ zu Gast war, einer Sendung, in der man ohne eine gewisse Schlagfertigkeit schnell mal untergehen kann. „Für mich war das ein Test, weil ich wissen wollte, wie sie sich in diesem Umfeld schlägt“, erklärt Herzog. „Sie war gut vorbereitet und hat sich sehr gut aus der Affäre gezogen, finde ich.“ Wann immer es bei 200 Reisetagen im Jahr die Zeit erlaubt, ziehen sich die Herzogs auf ihr zwei Hektar großes Grundstück im kärntnerischen Ferlach zurück, wo sie seit drei Jahren gemeinsam leben und von wo es zur Trainingsbahn nach Inzell nur zweieinhalb Stunden Autofahrt sind. Hier kann Vanessa abschalten und stundenlang den Tieren der kleinen Landwirtschaft zuschauen. Da die Hühner allerdings immer wieder mal von Greifvögeln gerissen werden, haben die Jäger aus der Nachbarschaft schon öfter angeboten, die Tiere vom Himmel zu holen. „Aber das wollen wir nicht, da lassen wir lieber der Natur ihren freien Lauf“, sagt Vanessa. Irgendwann hat die Liebe zur Jagd selbst bei der Erfolgs-Jägerin ihre Grenzen.
Bei der WM mit Weltrekord zu siegen, wäre ein Traum! Auch wenn es schwer wird.