Berlin verus Feistritztal. Zwei Wettbewerbe, die unterschiedlicher kaum sein könnten, hat sich SPORTaktiv-Reporter Wolfgang Kühnelt für sein Lauftagebuch im Spätherbst vorgenommen. Eine sportliche Suche nach Parallelen und Unterschieden zwischen dem Mega-Marathon in einer Millionenstadt und einem beschaulichen ­Dörferlauf.

Von Wolfgang Kühnelt


Mehr als 41.000 Läufer treffen sich alljährlich Ende September in der Stadt an der Spree. Sie alle eint ein Ziel: den Berlin Marathon in voller Länge zu absolvieren. Dafür muss man allerdings Geduld mitbringen. Nicht bei der Startnummernabholung am Vortag des Rennens, denn so etwas gut Organisiertes hat die Welt noch nicht gesehen. Hunderte stellen sich gleichzeitig an – und in fünf Minuten hat man alle Formalitäten gecheckt und kann den Rest des Tages auf der riesigen Marathonmesse vertrödeln. Gelassenheit braucht man aber bei der Anreise, dann muss man sich elendslang bei den WCs anstellen, das Zelt mit der Kleiderabgabe und den richtigen Startblock finden. Nach dem offiziellen Start stehe ich jedenfalls noch einmal eine gute halbe Stunde, bis auch mein Block an die Reihe kommt. Das Kommando ertönt und wir traben in Richtung Siegessäule, hin zum größten Kreisverkehr Deutschlands ...

In Trattenbach vor dem Wirtshaus Hubertushof stehen knapp 300 Läuferinnen und Läufer. Während der Marathon in Berlin zum 43. Mal veranstaltet wird, hatte der Halbmarathon hier in der Buckligen Welt in Niederösterreich erst im Vorjahr seine Premiere. In Sachen Organisation merkt man aber nichts von fehlender Routine: Die Startnummer bekommt man in Windeseile, der Lkw mit dem Kleidertransport ist auch nicht zu übersehen. Doch auch hier heißt es ein wenig warten, da einige Sportsfreunde den Shuttlebus in Thomasberg nicht rechtzeitig erreicht haben. Endlich schnappt sich der Veranstalter das Mikrofon und verkündet: „Ich mach jetzt den Startschuss. Wenn es nicht klappt, lauft ihr trotzdem los, gell?" ...

In Berlin ist die Strecke flach und schnell genug für die Jagd nach dem Weltrekord. Außerdem sind die Straßen so breit, dass selbst bei tausenden Teilnehmern Überholmanöver leicht fallen. So hat man es mir vorher angekündigt. Das stimmt in etwa bis zur Hälfte des Rennens. Dann wird es immer schwerer durchzukommen. Unglaublich viele Nationen sind vertreten, aber ebenso unglaublich viele Läufer sind in eher zweifelhafter Verfassung an den Start gegangen. Das Publikum in der deutschen Hauptstadt freilich feuert jeden an, ob man federnd leicht über den Asphalt trippelt oder sich mühsam über die Distanz schleppt. „Bravo, Wolfgang, du schaffst das!" höre ich an diesem Tag nicht nur einmal ...

Im Feistritztal haben sich die Anrainer ebenfalls am Rande der Strecke versammelt. Und nicht nur sie. Auch die Kühe sind ganz aufgeregt. Wenige hundert Meter nach dem Start gibt es fast einen Unfall: Auf der feuchten Wiese neben der Laufroute gibt ein Rindvieh mit den Läufern Gas, gerät ins Rutschen und schlittert beinahe in den Bach. Eine nützliche Warnung für die menschlichen Sportler, die über einige regennasse und glitschige Holzbrücken müssen und dabei besser Vorsicht walten lassen. Ansonsten kommt man gut durch, ernsthafte Staus sind bei dieser Veranstaltungsgröße nicht zu erwarten. Bei Kilometer 10 schaue ich das erste Mal auf die Uhr: exakt 45 Minuten. Wenn das so weitergeht, ist die persönliche Bestzeit über die 21 Kilometer locker drinnen. Schnell ist die Strecke im Feistritztal nämlich auch. Es geht die meiste Zeit berg­ab, allerdings ist gerade jetzt bei der Halbzeit ein kräftiger Anstieg angesagt. Da heißt es, die Kräfte richtig einzuteilen.

AUF SIGHTSEEING-TOUR
Es gibt kaum einen besseren Weg, um Berlin kennenzulernen, als den Marathon. Er führt bei zahlreichen Sehenswürdigkeiten vorbei, aber nicht nur das. Auch den spröden Osten sowie die angesagten Bezirke Kreuzberg, Schöneberg, das charmante Steglitz und den mondänen Kurfürstendamm bekommen wir aus nächster Nähe zu sehen. Ich halte mein selbst gewähltes Tempo und stelle zufrieden fest, dass es auch nach Kilometer 30 schmerzfrei läuft. Kein Mann mit dem Hammer in Sicht. Wären da nur nicht die vielen anderen, die japsend von links nach rechts taumeln oder just vor der Labestation die Straßenseite wechseln wollen. Ich überhole an diesem Tag gut 16.000 Läufer, das habe ich mir später anhand von Start- und Ergebnislisten zusammengereimt.

Die Attraktionen im Feistritztal sind eher spärlich gesät. Dafür ist die Landschaft nett und auch die lang gezogene Steigung bei Kilometer 15 kann sich sehen lassen. Trotz des für mich hohen Tempos (Schnitt 4:36) kann ich sogar mit dem einen oder anderen ein paar Worte wechseln. Ab der Hälfte des Rennens holt mich dann mein persönlicher Tempomacher ein und hilft dabei, die Geschwindigkeit zu halten: Markus aus Wien ist vor Kurzem in der Wachau deutlich unter 1:40 geblieben und weiß daher, was er tut. Generell muss man sagen, dass das sportliche Niveau hier sehr beachtlich ist. Gemütliche Jogger oder erschöpfte Langdistanz-Spaziergänger wie beim Berliner Marathon findet man im Feistritztal nicht.


Video: Highlights vom Berlin Marathon 2016


In Berlin
werden ab Km 38 die letzten Kräfte mobilisiert. Der Speed passt noch, nur die Oberschenkelmuskulatur meldet sich doch schon recht deutlich. Umkurven muss man nun auch noch jene, die bereits an der Strecke ein spontanes Wiedersehen mit der Familie feiern, ehe sie das Ziel überhaupt in Sichtweite haben. Kein Wunder, dass mit den vielen Ausweichmanövern am Ende mehr als 43 km auf meiner Polar-Uhr stehen. Womit es sich dann mit den erhofften vier Stunden nicht ganz ausgeht. Was mir aber letztlich ziemlich egal ist. Vorbei am Potsdamer Platz durch das Brandenburger Tor – und da darf man dann auch einen Schrei der Erleichterung auslassen. Auf dem blauen Teppich durch das Ziel, die massive Medaille um den Hals, auf der Suche nach dem blau-weißen Stand mit dem alkoholfreien Bier. Die ersten Fotos, das Wiedersehen mit der Liebsten.

Im Finale zeigt sich wie am Beginn: Der Marathon in Berlin ist perfekt organisiert. Die Begegnungszone mit den großen Anfangsbuchstaben ist eine Superidee, die man sich auch bei größeren heimischen Läufen abschauen könnte. Glückstrahlend verkünde ich meiner Frau: „Das war sicher nicht mein letzter Marathon!" Sie hat es ohnehin schon befürchtet.

Kurz vor dem Ziel in Thomasberg haben wir das Feistritztal nun erfolgreich durchlaufen. Der kräftige Gegenwind bremst am Ende etwas und die letzte Schleife rund um das Firmengebäude von F/List gestaltet sich etwas mühsam. Doch auch hier ertönen Freudenschreie. Meine neue Bestzeit auf der Halbmarathon-Distanz mit 1:37:43 ist amtlich. Die Freude groß – nur das Bier ist leider gerade ausgegangen. Dafür tröstet die originelle Holzmedaille. Und die Gewissheit: Eine lange Laufsaison ist glücklich und gesund, aber vor allem auch erfolgreich zu Ende gegangen ...


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