Am Anfang jedes neuen Sportjahres steht – ein Ziel. Und der feste Vorsatz, dieses Ziel auch zu schaffen. Es ist nur der "eiserne Wille", auf den es ankommt. Sagt man. Und den hat man oder man hat ihn nicht. Ob das tatsächlich so ist? Christoph Strasser, als Österreichs bester Extremradsportler sozusagen die personifizierte "eiserne Willenskraft", über Wege und Mittel, wie auch ihr große Ziele erreichen könnt.
Von Gerhard Polzer
Christoph, du bist gerade 3.950 km nonstop von Perth nach Sydney geradelt, hast als erster Radsportler die Australien-Durchquerung in weniger als sieben Tagen geschafft. Ein Rekord mehr auf deiner langen Liste – schaut ganz so aus, als gäbe es für dich und deinen eisernen Willen nichts, was du nicht schaffen kannst.
"Wer mich in Australien gesehen hätte – mit all den Selbstzweifeln, die mich zwischendurch plagen; mit den Aussetzern durch den Schlafmangel, die Ängste und Halluzinationen, die dich packen, wenn du Tag und Nacht am Rad unterwegs bist – wer mich so gesehen hätte, der wüsste, dass es viel mehr braucht als nur den 'eisernen Willen'."
Aber du warst eben immer ein begnadeter "Beißer"; einer, der wahrscheinlich als Kind schon mit Disziplin seine Ziele verfolgt hat, oder?
"Ja, von wegen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich von den Eltern gehört habe: 'Christoph, kannst du nicht einmal etwas fertig machen, das du angefangen hast?' Und wenn es nur ein Puzzle war – ich hab immer schnell die Lust verloren, hab früher vieles angefangen und nichts zu Ende gebracht."
Das sagt einer, der dann beim "Race Across America" 4.860 Kilometer und 35.000 Höhenmeter am Stück herunterkurbelt und im Ziel 34 Stunden schneller ist als der Zweite. Was ist da mit dir passiert?
"Das ist ganz einfach: Heute mach ich das, was ich am liebsten mach! Das ist auch die wichtigste Botschaft für jeden Menschen, der sich ein Ziel setzt: Dieses Ziel muss etwas sein, was dich wirklich brennend interessiert, das du um jeden Preis erreichen willst. Wer etwas nicht gern tut, sondern nur, weil es von ihm verlangt wird, der scheitert schon an kleinen Zielen. Das ist ja im Beruf auch nicht anders: Der eine erbringt Höchstleistungen, weil er es gern macht – der andere rutscht bei der gleichen Arbeit ins Burnout."
Was man sich vornimmt, muss wirklich ein persönliches Traumziel sein.
"Genau. Aber selbst das reicht noch nicht – du musst diesem Traumziel auch einen tieferen Sinn geben!"
Sich fest vorzunehmen, endlich regelmäßig zu laufen oder überhaupt Sport zu betreiben – das hat doch Sinn genug?
"Nein, das genügt eben nicht! Man muss für sich selbst einen tieferen Sinn definieren, den man damit erzielen will. Warum will ich eigentlich meinen ersten Marathon laufen? Nicht, um dann erzählen zu können, dass auch ich die 42 km geschafft habe, sondern weil ich mir von Anfang an bewusst mache, dass eigentlich die monatelange Vorbereitung auf dieses Ziel das Beste ist, was ich für mich und meine Gesundheit bisher getan habe. Der tiefere Sinn kann aber auch ganz etwas anderes sein. Mein Kollege Gerald Bauer zum Beispiel ist 2013 beim RAAM mitgefahren – und der eigentliche Grund dafür war, im Ziel seiner Freundin einen Heiratsantrag machen zu können. Dieser Traum war sein eigentlicher Antrieb – und nichts hätte ihn von diesem Ziel abhalten können."
Es reicht also auch nicht, sich fest vorzunehmen, jetzt endlich mehr für seine Fitness zu tun oder endlich ein paar Kilo abzunehmen?
"Nein, auch solche traditionellen Ziele brauchen einen tieferen Sinn. Ich muss es deutlich vor mir sehen: Wenn ich fitter bin, kann ich Dinge machen, die mir bisher nicht möglich waren. Wenn ich ein paar Kilo abnehme, kann ich mir als Belohnung neue coole Mode kaufen. Wenn ich immer ein bestimmtes Bild vor Augen habe, was ich mit dem vorgebenen Ziel tatsächlich erreiche, dann wird auch der Weg zum Ziel um vieles leichter."
Bitte erklär uns: Wie schauen die Motivationsbilder aus, die du vor Augen hast, wenn du in Australien in die "Nullabor" einfährst und weißt, jetzt musst du dich in den nächsten Stunden über die mit 146 km längste Gerade der Welt quälen?
"Das ist gar nicht schwer: Ich sehe mich auf einer Bühne stehen; wie ich später in meinem Vortrag von dieser Tour und von meinen Erlebnissen erzähle. Ich rede und ich sehe die Menschen, die meiner Geschichte interessiert zuhören. Und ganz wichtig: Ich weiß, dass mich nichts und niemand zwingt, diese Gerade zu fahren – ich selbst habe mir dieses Ziel ausgesucht. Ich will das erleben, um später davon erzählen zu können. Denn das ist mein Beruf. Und den liebe ich."
Nicht jedes Ziel gibt am Ende eine spannende Geschichte her.
"Darauf kommt es überhaupt nicht an. Entscheidend ist, dass jeder, der sich ein bestimmtes und für ihn persönlich großes Ziel vornimmt, schon Gänsehaut bekommt, wenn er daran denkt. Das gilt aber nicht nur für das Ziel selbst – man muss Schmetterlinge im Bauch spüren, wenn man in der Früh aufsteht und denkt: Heut mach ich den nächsten Schritt zu meinem großen Ziel!"
Hört sich so an, als ob jeder Mensch jedes Ziel erreichen kann, wenn er es sich nur fest genug vornimmt. Womit wir wieder beim "eisernen Willen" wären ...
"Mit dem Willen allein funktioniert das natürlich nicht. Da gibt es jede Menge Stolpersteine, allerdings legen sich die meisten Menschen diese Steine selbst in den Weg. Das beginnt bereits mit der Auswahl eines falschen, eines unrealistischen Zieles: Ohne gescheite Vorbereitung einen Marathon laufen, zehn Kilo in sechs Wochen abnehmen, nach langen Jahren als Bewegungsmuffel dann in zwei, drei Monaten topfit sein – das sind unsinnige Ziele, bei denen das Scheitern in die Planung bereits mit eingebaut ist."
Wie sollte es also richtig ablaufen?
"Wie bei jedem Vorhaben: Alles beginnt mit einer Bestandsaufnahme! Bevor ich ein Ziel in Angriff nehme, muss ich doch wissen, was für mich überhaupt im Bereich des Möglichen ist. Im Sport ist das ohnehin so einfach: Man macht einen Leistungscheck bei einem Arzt oder Sportwissenschafter, lässt den Status quo ermitteln – und schon kennt man zumindest einmal sein körperliches Potenzial."
Und damit lässt sich schon ein klares Ziel definieren.
"Nicht ganz. Jetzt muss auch geklärt werden, wie viel Platz in meinem Alltag überhaupt für ein regelmäßiges Training ist. Wer 45 Stunden die Woche arbeitet, in der Freizeit auch die Familie nicht zu kurz kommen lassen will, der wird nicht zusätzlich 15 Wochenstunden fürs Trainieren freimachen können. Wer aber diese beiden Punkte – die körperlichen Voraussetzungen und die zeitlichen Ressourcen – sorgfältig prüft, der kann dann ziemlich genau abschätzen, ob sein Traumziel realistisch ist. Und wenn ja, dann kann er den Weg dorthin tatsächlich in Angriff nehmen."
Hast du vielleicht ein paar Tipps, die auf diesem Weg für "Marscherleichterung" sorgen?
"Ein guter Tipp lautet: Schafft euch Verbindlichkeiten! Das sind zum Beispiel Trainingspartner, mit denen ihr fixe Termine ausmacht. Denn die sind verbindlich, Termine will man auch dann einhalten, wenn einmal die Motivation eher gering ist. Eine ganz wichtige Verbindlichkeit schafft auch die Zusammenarbeit mit einem Coach, einem Berater, einem Trainer. Dessen Rückmeldungen auf Trainingsleistungen, auf Fortschritte oder auch Rückschläge sorgen immer wieder für neue Motivation, für frischen Antrieb. So ein Coaching funktioniert heutzutage ohnehin schon ganz simpel, sogar online: Im Internet gibt es jede Menge Coaching-Plattformen mit professionellem Feedback. Die einfachste Art aber, sich eine Verbindlichkeit zu schaffen, ist das Führen eines Trainingstagebuchs! Wenn man schwarz auf weiß seine regelmäßigen Trainingseinheiten sieht, dann macht das stolz. Wenn man nachlesen kann, wie sich die Leistung ständig gesteigert hat, oder auch, was man vor einem Jahr vor einem Wettkampf trainiert oder gegessen hat – da lernt und erfährt man viel über sich selbst. Auch das sind ganz wichtige Schritte Richtung Ziel."
Reden wir aber auch von Rückschlägen, die es auf diesem Weg immer wieder geben kann. Stimmt der Spruch, dass uns auch Niederlagen stärker machen?
"Ja, der stimmt schon. Aber nur, wenn auf eine Niederlage, auf ein Scheitern der richtige Prozess folgt. Nämlich aus den gemachten Fehlern zu lernen. Scheitern ist nur dann gut, wenn man daraus die richtigen Schlüsse zieht, Hilfe sucht, neue Wege einschlägt. Viele sagen: Bevor ich was falsch mache, mache ich lieber gar nichts. Ich sage: Fehler zu machen, ist nichts Schlechtes. Schlecht ist nur, einen Fehler zu wiederholen."
Was aber, wenn einen schließlich doch etwas Unvorhergesehenes aus der Bahn wirft?
"Klar, das kann immer passieren. Aber sogar Krankheiten oder ein Unfall können ein neuer Start sein. Im Leben tun sich immer neue Türen auf. Ich zum Beispiel habe jahrelang von diesem Australien-Rekord geträumt, aber es war zeitlich nie möglich. Dann hatte ich im Vorjahr einen schweren Unfall, musste die Teilnahme am RAAM absagen. Aber statt darüber zu verzweifeln, habe ich neu geplant: Ich hatte endlich Zeit für meinen Australien-Traum – und jetzt ist er wahr geworden."
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Reden wir über das Gefühl, wenn du ein Ziel erreichst hast. Was bewirkt das? Wie fühlt sich die Wolke 7 an?
"Ich sag's, wie es ist: Die Freude, das Ziel geschafft zu haben, ist eigentlich weniger groß, als man vorher geglaubt hat. Dieses Glücksgefühl – 'ja, ich hab's tatsächlich geschafft' – hält vielleicht noch zwei, drei Tage an. Ein Ziel zu erreichen, heißt ja auch, etwas zu verlieren: Es ist geschafft – es ist aber auch vorbei. Aber das ist ja gar nicht das, worauf es ankommt: Bei deinem Unternehmen 'Traumziel' sollst du an jedem Tag, bei jedem Schritt näher zu deinem Ziel ein Glücksgefühl erleben!"
Wie ist das zu verstehen?
"Man kann doch das Erleben von Glück nicht aufschieben, vielleicht bis zum 'großen Tag', wenn etwas vollbracht ist. Ein Glücksgefühl muss jeden Tag spürbar sein. Ein gutes Beispiel, das alle kennen: Wenn du einmal keinen Bock aufs Training hast, aber dann doch losziehst, weil du das Bild von deinem Ziel vor Augen hast – jede Wette, dass du nach diesem Training dieses besondere Glücksgefühl erlebst: Ja, ich hab mich überwunden! Ich bin auf dem richtigen Weg! Diese täglichen Glücksportionen, das ist die wahre und lang anhaltende Belohnung beim Unternehmen 'Traumziel'."
Christoph, hast du vielleicht noch einen kleinen Motivationstipp parat?
"Das Bild vom Traumziel, das man stets vor Augen haben soll, kann man sich sogar ganz real anfertigen. Du schneidest dir zum Beispiel ein Jubelfoto von einem sportlichen Vorbild aus, klebst aber dein Gesicht hinein und montierst es dann auf der Kühlschranktür. Oder du nimmst ein Bild von dir bei einem Rennen und darunter schreibt du die Traumzeit, die du heuer schaffen willst. Und immer, wenn du dieses Bild siehst und dabei an dein Traumziel denkst, wirst du eine Gänsehaut bekommen ..."
Der mit dem "eisernen Willen" | CHRISTOPH STRASSER, Österreichs erfolgreichster Extremradsportler, fuhr im Jänner in 6 Tagen, 10 Stunden und 58 Minuten die 3.950 km von Perth nach Sydney und unterbot damit die bisherige Bestleistung um mehr als 21 Stunden. Der 34-jährige Steirer hält auch den Rekord beim "Race Across America" (RAAM), bei dem er heuer im Juni seinen vierten Sieg anpeilt: 2014 fuhr Strasser die 4.860 km und 35.000 hm in 7 Tagen, 15 Stunden, 56 Minuten. Strasser hält auch mit 896 km den 24-h-Weltrekord auf der Straße – im Oktober will er den Bahnrekord (903 km) überbieten. Christoph Strasser ist mit seinen Motivationsseminaren vor allen in Unternehmen sehr gefragt, lädt aber auch zu öffentlichen Vorträgen. Nächste Termine: 23. 2. in Gleisdorf (St), und 25. 2. in Neustift im Mühlviertel (OÖ). Im April absolviert der Extremsportler auf Einladung der WKO eine Roadshow mit 12 Stationen quer durch die Steiermark. Alle Infos und Kontakt: www.christophstrasser.at |