Bei Österreichs bestem Straßenradfahrer läuft es rund: BOA-Athlet Patrick Konrad ist in diesem Jahr sowohl beim Giro d’Italia als auch bei der Tour de France am Start. Ein Interview im Stil einer großen Rundfahrt.
Patrick, wir starten mit dem Prolog: Wie entstand deine Liebe zum Radfahren?
Ich komme aus einer sportbegeisterten Familie. Mein Vater war Langstreckenläufer, seit 1989 leitet er den Vienna City Marathon. Den ersten Kontakt zum Radsport hatte ich bei einem Kindercup, dort gewann ich einen Pokal. Das hat mir gefallen, also bin ich weitergefahren, in der U15 auf der Bahn und in der U17 die ersten Straßenrennen.
Gab es da schon Gedanken an den Profisport?
Nein, das war noch weit weg. Wir sind am Wochenende in einem Bus mit sieben oder acht gleichaltrigen Jugendlichen zu den Rennen getourt. Räder aufs Dach und Abfahrt. Das hat einfach Spaß gemacht.
Wie ging’s weiter?
Mit 17 Jahren bin ich zum Bundesheer, habe mein eigenes Geld verdient, konnte mir mal ein neues Rad oder ein Trainingslager finanzieren. Es folgte der Nations Cup, in der U23 kam mit dem Giro del Trentino die erste Profi-Rundfahrt. Ich habe mir meine Ziele langsam höher gesteckt. So bin ich konstant vorangekommen und konnte mich in Ruhe entwickeln.
War es schwer, auf dieser langen Etappe die Disziplin zu wahren? Wärst du gerne mal ausgerissen?
Ich bin auch feiern gegangen, so ist es nicht. Aber der Radsport ist und war meine Leidenschaft. Ich habe getan, was ich tun wollte. Vielleicht habe ich die Hochzeit eines guten Freundes verpasst. Beim Stadtfest war ich der Erste, der nach Hause gegangen ist. Aber dafür war ich dann auch irgendwo in Europa bei einem Radrennen unterwegs.
Wir kommen in die Berge: Wann musstest du erstmals so richtig aus dem Sattel gehen?
Für meinen ersten Profivertrag. Ich war zweimal unter den Top 10 bei der U23-WM, stand bei der Tour de L’Avenir auf dem Podium. Trotzdem war kein Vertrag in Sicht. Ich dachte daran aufzuhören, aber mein Vater riet mir, für ein Continental-Team zu fahren. Ich wurde Vierter bei der Österreich-Rundfahrt und hatte schließlich doch meinen Profivertrag in der Tasche. Es war eine Fleißrunde, für die ich belohnt wurde.
Ein Highlight deiner bisherigen Karriere war der Sieg der 16. Etappe bei der Tour de France 2021. Wie hast du diesen Tag in Erinnerung?
Ich war zuvor auf einigen Etappen in Fluchtgruppen dabei, bin auf der 14. Etappe als Zweiter knapp gescheitert. Darüber habe ich mich geärgert. Aber es hat mich nicht frustriert, sondern Energie freigesetzt. Die 16. Etappe war meine letzte Chance einen Sieg zu holen. Also habe ich die Brechstange ausgepackt, ich wollte es unbedingt.
Ohne Plan?
Mit ganz genauem Plan! Nur, dass der genauso aufging, wie ich es mir vorgestellt habe. Am Col de la Core habe ich zu den drei Ausreißern ganz vorne aufgeschlossen. Ich wusste, dass ich sie brauche, um mich durch das lange Tal bis zum Col de Portet-d’Aspet zu bringen. Hier bin ich auf Anschlag gefahren und als Erster über die Kuppe. Die Abfahrt konnte ich zum Regenerieren nutzen und meinen Vorsprung auf den letzten, leicht abfallenden 35 Kilometern verteidigen.
Auf dem Gipfel hattest du 20 Sekunden Vorsprung. Wie steuerst du bei einer entscheidenden Abfahrt auf regennasser Fahrbahn das Risiko?
Du brauchst Vertrauen in dich und dein Material. Die nahtlose Verbindung zum Rad ist wichtig, hier spielt auch die Wahl des Schuhs eine Rolle – je besser er sitzt, desto kontrollierter bist du unterwegs. Du bremst die Kurven so spät wie möglich an. Bei trockener Strecke kann auch mal das Hinterrad blockieren. Im Nassen geht das nicht. Wie rutschig der Asphalt ist, merkst du aber schon in den ersten zwei Kurven. Du musst hochkonzentriert sein, die ganze Breite der Straße nutzen und ruhig bleiben.
Vor allem dann, wenn’s eng wird.
Öfter einen Schutzengel gehabt?
Wenn hundert Leute vor dir im Feld fahren, siehst du einen Fahrbahnteiler schon mal in der letzten Sekunde. Wir haben die Strecke auf den Radcomputern, können das aber nicht immer mitverfolgen. Gefahrensituationen wie eine enge Kurve sagt der sportliche Leiter durch. Aber dann gibt es vielleicht einen Ölfleck oder es liegt ein Stein in der Spur … Das ist Teil des Spiels.
Königsetappe! Bergankunft in Alpe d’Huez oder am Tourmalet. Wie hoch klettert dein Puls?
Mein Maximalpuls liegt bei 200 Schlägen. Wenn ich einen Berg auf Ergebnis nach oben fahre, liegt mein Puls bei 170 aufwärts.
Wie bleibst du an so einem Anstieg hart zu dir?
Ich mache mir klar, dass der Moment gekommen ist, für den ich trainiert habe: um leiden zu können und meine Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
Welcher war der anstrengendste Moment deiner Karriere?
Meine ganze Karriere ist anstrengend. Ich kann auch nur jedem Nachwuchsfahrer sagen: Es wird nicht leichter, sondern immer härter. Man muss das Quälen als Befriedigung sehen. Und man muss lernen, mit Rückschlägen umzugehen.
Ich mache mir klar, dass der Moment gekommen ist, für den ich trainiert habe: um leiden zu können und meine Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
Was war so ein Rückschlag?
Bei der Tour 2021 kam es auf der ersten Etappe zu einem Massensturz. Einen Aufprall mit 60 km/h muss der Körper erst mal wegstecken. Du hast Schürfwunden und Prellungen, kämpfst vom ersten Tag an. So in eine dreiwöchige Rundfahrt zu starten, ist auch mental fordernd.
Wir kommen auf eine Flachetappe mit der Zeit auf andere zu blicken: Welche Fehler beobachtest du bei Hobbyfahrern?
Im Frühjahr fällt mir auf, wie leicht viele Fahrer angezogen sind. Nur weil die Sonne scheint, würde ich bei elf Grad nicht mit kurzer Hose losfahren. Potenzial hat bei vielen die Sitzposition, ein Bikefitting erhöht Komfort und Performance. Ich lasse meine Position mindestens einmal im Jahr testen, auch wenn ich mich gut fühle. Körper und Beweglichkeit verändern sich, es gibt immer was zu justieren.
Abschließendes Einzelzeitfahren: Wie viel Watt trittst du?
Kommt auf die Pacing-Strategie an. Bei Gegenwind kannst du mehr Zeit gutmachen und trittst härter, als wenn du eh schon 65 km/h fährst. Je nach Strecke trete ich im Schnitt zwischen 350 und 420 Watt.
Wir erreichen die Champs-Élysées. Wärst du manchmal lieber ein Sprinter? Mitfahren, am Ende scharf antreten und die Lorbeeren ernten?
So einfach ist das leider nicht: Sprinter sind wilde Hunde, du musst fighten, dich in die Position bringen, um deinen Vollsprint fahren zu können. Und auf einer langen Bergetappe ist so mancher Sprinter ganz schön am Leiden. Ich bin mit meinem 66 Kilo ein relativ schwerer Bergfahrer, habe dafür einen guten Sprint, um eine Etappe unter Ausreißern für mich entscheiden zu können. Damit bin ich sehr zufrieden.
Wir sind im Ziel: Bei der Tour de France 2022 warst du 15. im Gesamtklassement, mit 56 Minuten Rückstand aufs Gelbe Trikot: Lässt sich das aufholen?
Ich bin Teil eines Teams und habe klare Aufgaben. Ich helfe Aleks Vlasov und konzentriere mich auf Etappensiege. Das heißt, dass ich auch mal Kräfte sparen muss und 45 Minuten auf einer Etappe kassiere, weil ich mit dem Gruppetto ins Ziel komme. Aber: Ich fühle mich stark und bin bereit, über drei Wochen einen guten Job zu machen.