Platz zwei bei seiner Premiere beim Race Across America (RAAM) bedeutete für den Oberösterreicher Lukas Kaufmann auch die Erfüllung eines Traums, der in der Kindheit wurzelt.

Christof Domenig
Christof Domenig

Acht Tage und 23 Stunden sind 215 Stunden, die Lukas Kaufmann von der Startlinie an der US-Westküste bis zum Ziel an der Ostküste brauchte. Von diesen 215 Stunden, in denen er 4900 Kilometer zurücklegte und 50.000 Höhenmeter überwand, verbrachte er nur 18 nicht im Bikesattel, 10 davon schlafend. „Ich war überrascht, mit wie wenig Schlaf ich ausgekommen bin“, erzählt er, „mitgeholfen hat sicher, dass ich im November 2023 Papa geworden bin und die Vorbereitung nicht gerade durch regelmäßigen Schlaf gekennzeichnet war.“ Während in den ersten 24 Rennstunden ans Schlafen aufgrund des Adrenalins ohnedies nicht zu denken wäre, machte sich der Entzug im Verlauf der guten Woche doch bemerkbar: „Du kriegst von der Landschaft, dem ganzen Drumherum nichts mit.“ Zu Beginn habe er zweimal täglich mit seiner Frau telefoniert, die letzten Tage bat er darum, die Anrufe daheim auf ein Mal zu reduzieren: „Weil ich gemerkt habe, die Gespräche kosten mich so viel Energie. Du bist in deiner eigenen Welt.“ 
 

Das Bild beim Sportdoc
Sein „Herzensprojekt“ RAAM wurzelt in der Kindheit. In seinem Heimatort Niederneukirchen gab es einen Mountainbikeverein („obwohl das nicht wirklich eine Gegend zum Mountainbiken ist“), der vom Papa seines besten Freundes geleitet wurde. Einmal pro Jahr waren die Biker bei einem Sportmediziner vorstellig. „Sein Büro war ganz weiß und aufgeräumt, wie eine Arztpraxis eben ist – nur an der Wand sind ein paar Bilder gehangen: Radfahrer in der Nacht. Ich hab gefragt, was es damit auf sich hat, und er hat mir erklärt: Einmal im Jahr fahren ein paar Verrückte quer durch Amerika.“ Ungefähr 13 war der kleine Lukas da und der Sportmediziner jener, der Wolfgang Fasching und in dessen Anfängen auch Christoph Strasser betreut hat. Ein prägendes Bild. „Hat mich dann später wer gefragt, welches Rennen ich unbedingt einmal bestreiten will, war für mich immer klar: das RAAM.“

Obwohl seine sportliche Heimat das Mountainbiken blieb, tastete er sich auch ans Straßen-Ultracycling sukzessive heran. 2020 und 2021 Teilnahmen beim Race Around Austria, das einen vergleichbaren Modus und ungefähr die halben Eckdaten des US-Vorbilds aufweist; Finish in etwas über vier Tagen. 2023 zeichnete sich ab, dass sich das RAAM 2024 finanziell ausgeht,  ab September war es fix. Das Mountainbike hatte in der Vorbereitung Pause. „Ich hab gewusst, ich muss Zeit am Zeitfahrrad verbringen. Meine größte Schwäche war – und ist immer noch – die Zeitfahrposition.“ Rund 10.000 Kilometer hat er in der Vorbereitung am Zeitfahrrad abgespult.

Brav trinken, am Rand fahren
Wie man sich neun Tage (fast) rund um die Uhr im Radsattel vorstellen kann? „Von meinem 13-köpfigen Team waren immer drei mit dem Pace Car bei mir. Die sagen mir den Weg an, sagen mir, wann wir das Rad wechseln müssen, haben mich mit Sonnencreme eingeschmiert; die Füße, den Sitzbereich einge­cremt. Sie haben mir die Getränke zubereitet – während der neun Tage habe ich mich ausschließlich flüssig ernährt, 114 Liter getrunken und 81.000 Kalorien zu mir genommen.“

Selbst versuche man sich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren: „Positionswechsel – die drei Kontaktpunkte zum Fahrrad, Füße, Hände und Gesäß, werden irgendwann fix zum Problem und das versucht man so lang wie möglich hinauszuzögern. Ich konzentriere mich auf die Atmung, schaue, dass ich brav trinke, keinen Unfall baue, schön am Rand fahre. Das ist drüben nicht anders als bei uns: Von zehn Autofahrern überholen dich acht mit einem passenden Abstand, die zwei anderen nicht so.“
Auch wenn der Körper heftig mit Schmerzen protestiert, sich spätestens ab Tag sechs auch gegen die Flüssignahrung höchster Widerstand einstellt, der Hintern als größte Schwachstelle malträtiert ist oder das Gehirn im Schlafentzug Abzweigungen imaginiert, die nicht existieren – so habe es immer wieder auch Phasen gegeben, die er genießen habe können. „Es ist nicht so, dass es neun Tage schrecklich war. Man hat immer wieder Phasen, wo es einem gut geht, und je länger das Rennen dauert, desto mehr Phasen sind es, wo es einem nicht gut geht – so ehrlich muss man sein. Aber es gibt immer wieder sehr schöne, coole Momente: Die Sonnenauf- und -untergänge, man überquert riesige Flüsse wie Mississippi und Missouri über riesige Brücken. Es war 10, 15 Jahre ein Traum von mir und ich habe gleichzeitig gewusst, dass es nicht neun Tage lang ein Spaß wird: Das wäre dann doch ein wenig Realitätsverweigerung.“

„Bin kein Ausnahmetalent“
Als Rookie lag Lukas Kaufmann die ersten Tage des Rennens sogar in Führung und beendete das Race Across America 2024 schließlich auf Platz zwei, rund fünf Stunden hinter dem schwedischen Sieger Jimmy Rönn, für den es ebenfalls die RAAM-Premiere war. Drei Stunden länger als Kaufmann brauchte der Salzburger Dominik Meierhofer, der das Podium 2024 als erstes reines Rookie-Podium der RAAM-Geschichte komplettierte. Unter 9 Tagen zu finishen, das ist in der RAAM-Geschichte vor dem 30-jährigen Oberösterreicher erst 18 Fahrern bei rund 700 Einzel-Startenden gelungen. Auch etwas, das die Leistung unterstreicht. „Man kann immer etwas verbessern“, analysierte Kaufmann runde zwei Wochen nach der Strapaz, „aber eines war nicht zu verbessern: Ich hätte mir kein besseres Team als meines wünschen können. Es war Weltklasse!“  

Warum ihn Ultracycling und im Kern dabei das Ausloten und Verschieben von Grenzen faszinieren? „Was ich beim Race Around Austria schon gesehen habe – das Limit bei uns Menschen ist nicht der Körper, sondern das Gehirn. Mir taugt das auch, wenn ich gewisse Dinge am eigenen Körper erfahre: Man kann in der Theorie sagen, wie die ideale Ernährung für einen Sportler ausschaut – aber wenn man es selbst in der Praxis anwendet und merkt, dass es funktioniert, dann ist das schon was Cooles.“

Noch etwas: „Ich bin ja kein Ausnahmetalent, überhaupt nicht. Wenn jemand das RAAM finishen will und in einem Alter ist, wo der Körper sich noch entsprechend entwickeln kann, dann kann das jeder schaffen. Man muss es wollen und einiges berücksichtigen, aber es geht. Ich selbst war vor 15 Jahren noch leicht übergewichtig und bin bei Mountainbikerennen Letzter geworden.“ Viele andere hätten da das Bike ins Eck gestellt. Lukas Kaufmann ist drangeblieben und hat sich vom Nachzügler zum Siegertyp entwickelt. Bloß dreieinhalb Wochen nach dem RAAM saß er übrigens bei der Salzkammergut-Trophy auf der legendären „A-Strecke“ mit 210 Kilometern und 7000 Höhenmetern wieder im angestammten Mountainbikesattel.