Diese Frau ist die Härte. Ihren Titel als Mountainbike-Europameisterin ließ sie links liegen, um stattdessen der Reihe nach in anderen Sportarten in die Weltspitze vorzustoßen. Niemand konnte Andrea Huser zu einer Profikarriere bewegen. Weil die Schweizer Ausnahme-Athletin nur eins haben möchte: ihren Spaß.

Von Axel Rabenstein


Andrea, in unseren Interviews sprechen wir normalerweise mit einem Athleten oder einer Athletin. In diesem Fall ist es so, als sprächen wir mit fünf Sportlerinnen auf einmal. Als was würdest du dich selbst bezeichnen?
"Ich denke, ich bin Ausdauersportlerin. Schnell war ich nie. Aber wenn's lange dauert, gehöre ich immer zu den Besten. Und am liebsten laufe ich. Aber nicht auf der Straße, das finde ich langweilig. Ich liebe es, ewig lange durch die Natur zu rennen."

Hast du dich in deiner Kindheit auch schon so gerne bewegt?
"Jaja, das ging früh los. Früher bin ich aber vor allem Skigefahren und habe viel Konditionstraining gemacht. In der Jugendgruppe bin ich dann erste Rennen gefahren, kam in den Junioren-Kader und meine Trainer waren der Ansicht, ich hätte das Zeug zum Profi. In dem Alter waren mir andere Sachen aber wichtiger."

Nämlich?
"Hauptsache kein Spitzensport! Das war mir zu ernst. Ich fand Snowboarden viel cooler. Dann stand ich mit den Jungs auf der Piste und habe Zigaretten geraucht. Meistens war ich eh mit den Buben unterwegs, mit denen konnte ich mich am besten austoben."

Wenn man deine Karriere als solche bezeichnen möchte, hat sie Ende der 90er mit dem Mountainbiken begonnen. Wie bist du dazu gekommen?Andrea Huser ist bei Ultra-Trailläufen mitunter schneller als der beste Mann. / Bild: Andrea Huser
"Das Biken hat mir schon Spaß gemacht damals, ich hatte Talent und bin 1997 meine ersten Rennen gefahren. Obwohl mich Wettkämpfe nie besonders interessiert haben. Profi wollte ich nicht werden, das erschien mir alles zu verbissen. Aber ich habe immer wieder gewonnen, dann kamen die Sponsoren und plötzlich war ich Europameisterin im MTB-Marathon."

Bei deinem EM-Sieg 2002 hast du die spätere Serien-Weltmeisterin Gunn-Rita Dahle stehenlassen. Warum hast du diesen Sport nicht zu deinem Beruf gemacht?
"Bei einem Sturz hatte ich mir 2003 einen Wirbel gebrochen. Das war natürlich eine Zäsur. Danach hängte ich noch ein Jahr als Profi dran, wurde WM-Vierte und gewann sonst eigentlich jeden Marathon, den ich in der Schweiz und Europa fuhr. Die Trainer wollten natürlich, dass ich weitermache. Ich hatte aber mehr erreicht, als ich mir je zu träumen gewagt habe. Und so war es einfach okay für mich!"

Im Jahr 2004 bist du nach Sigriswil an den Thuner See gezogen. Hat dich der See dazu inspiriert, mit dem Triathlon zu beginnen?
"Erst einmal war es immer ein Traum von mir, ins Berner Oberland zu ziehen. Hier wollte ich schon seit meiner Jugend wohnen. Die Gruppe der drei Berge Eiger, Mönch und Jungfrau ist überwältigend schön. Dazu der herrliche See. In dieser Region hatte ich zu jeder Jahreszeit fantastische Möglichkeiten, sportlich aktiv zu sein und meine Freiheit inmitten der Natur zu genießen."

Im Jahr 2006 bist du beim „Inferno-Triathlon" auf Anhieb Zweite geworden. Wie kam es dazu?
"Ich wollte eine Grenzerfahrung machen. Erst geht es 3,1 Kilometer durch den Thuner See. Dann werden 97 Kilometer auf dem Rennrad sowie 30 Kilometer auf dem Mountainbike zurückgelegt. Am Ende geht's auf einen Berglauf über 25 Kilometer. Insgesamt kommen 5.500 Höhenmeter zusammen. Das hat mir großen Spaß gemacht."

Du kamst noch zwei weitere Male als Zweite ins Ziel. 2011 und 2012 hast du diesen Triathlon schließlich gewonnen. Da hat dich dann schon der sportliche Ehrgeiz gepackt ...
"Ja, das stimmt. Nachdem ich dreimal Zweite war, wollte ich natürlich auch mal gewinnen."

So wie beim Neujahrsmarathon 2009 in Zürich. Den hast du gewonnen, warst sogar einige Tage Inhaberin der Jahresweltbestzeit. Marathonlaufen hat dich dann aber nicht weiter interessiert?
"Auf einer Straße zu laufen hat mir nicht viel gegeben. Dafür habe ich den Gigathlon für mich entdeckt, eine Kombination aus Inline-Skaten, Fahrradfahren und Laufen. Beim ersten Mal wollte ich es nur ausprobieren, aber es lief super und hat riesigen Spaß gemacht. Also habe ich 2012 am Swiss Olympic Gigathlon teilgenommen, ein Rennen über sechs Tage quer durch die Schweiz."

Müssen wir erwähnen, dass du gewonnen hast?
"Naja, es ist halt die Sache mit der Ausdauer. Das liegt mir irgendwie ..."


Ehe wir die Leser mit all diesen Wettkämpfen langweilen, machen wir noch einen kurzen Stopp beim Wintertriathlon. Was hat es damit auf sich?
"Da wird Crosslauf, Mountainbiken und Skilanglauf zu einem Wettkampf zusammengefasst. Ein Bekannter von mir hat einen Wettkampf in Sigriswil organisiert. Da haben auch viele internationale Profis teilgenommen."

Gewonnen hast trotzdem du ...
"Das stimmt. Damit habe ich mich dann für die Europameisterschaft qualifiziert."

Und wie lief das so?
"Ich wurde Dritte, habe den Wintertriathlon aber nicht weiter verfolgt. Weil mir das Laufen auf Trails einfach am meisten Spaß macht. Darauf konzentriere ich mich nun seit einigen Jahren."

Wir haben das mal nachgelesen: Seit 2013 bist du 3.488 Wettkampfkilometer auf Trails gelaufen. Was ist so schön daran, dass du davon nicht genug kriegst?
"Weil es so einfach ist! Du schnürst die Schuhe und schon kann's losgehen. Ich kann abschalten, mir die herrliche Landschaft ansehen ... das gibt mir ein besonderes Freiheitsgefühl. Natürlich hast du mal Krämpfe, kämpfst gegen Müdigkeit oder Übelkeit. Aber dann steckst du dir einfach das Ziel, den nächsten Berg zu erreichen. Und schon bist du wieder motiviert."

Von Frühling bis Herbst 2016 hast du monatelang alle zwei Wochen einen Lauf mit mehr als 100 Kilometer absolviert. Geht das nicht an die Substanz?
"Oh nein, ich könnte das dauernd machen. Auf so einem Ultratrail kommst du einfach in den Flow. Und viel Regeneration habe ich noch nie gebraucht."

Zuletzt hast du den Swiss Iron Trail gewonnen. Das waren 200 Kilometer mit 11.500 Höhenmetern in 35:00 Stunden. Schläft man da auch mal?
"Ich habe natürlich gegen die Müdigkeit gekämpft, mich auch kurz auf einem Stein niedergelassen und eine Minute die Augen zugemacht. Aber geschlafen habe ich nicht."

Und am Ende hast du sogar den Gesamtsieg gefeiert. Jimmy Pellegrini, der schnellste Mann, kam eine halbe Stunde nach dir ins Ziel ...
"Naja, der Pellegrini ist sicher kein schlechter Ultraläufer. Je länger es dauert, desto größer werden allerdings die Chancen für eine Frau. Und in diesem Fall ist es mir wohl besser ergangen als dem Jimmy."

Aber Andrea, denkst du dir nicht manchmal, du hättest nicht doch besser Profi werden sollen? In irgendeiner dieser Sportarten?
"Ach, wenn ich mir die Profis so ansehe, da hat man so viel Druck! Und verliert die eigene Lockerheit aus den Augen. Nationalmannschaft, Welt­meister­schaften, Olympische Spiele ... da hört für mich der Spaß auf. Ich brauche das einfach nicht."

Und was sind die nächsten Projekte?
"Trails laufen! An der Ultratrail World Tour teilnehmen. Das Ganze mit schönen Reisen verbinden. Den Ultra­trail Mont Blanc würde ich gerne mal gewinnen. Ich denke, das Potenzial dazu hätte ich."

Das denken wir auch. Und dann?
"Egal ... Hauptsache, ich habe Spaß dabei."

Andrea Huser / Bild: Mammut Archiv / Thomas Senf

Die Ausdauerkönigin
ANDREA HUSER (43) wurde am 11. Dezember 1973 in Alt St. Johann (Ostschweiz) geboren. Einige ihrer sportlichen Erfolge:
  • 2002 MTB-Europameisterin im Marathon. Sie gewann weitere internationale MTB-Rennen, ließ sich aber nicht zu einer Profikarriere bewegen.
  • 2009 siegte sie beim Neujahrsmarathon in Zürich.
  • In den Folgejahren gewann sie zwei Mal den „Inferno-Triathlon" im Berner Oberland.
  • 2012 gewann sie den Swiss Olympic Gigathlon und finishte als Dritte bei der EM im Wintertriathlon.
  • Seit Herbst 2013 blieb sie bei 17 Ultratrail-Läufen siegreich; beim Swiss Iron Trail im August 2016 ließ sie sogar den schnellsten Mann hinter sich.

Andrea Huser arbeitet als Pflegefachfrau in der Berner Reha-Klinik, ist ledig und lebt in Sigriswil am Thuner See.

WEB: www.facebook.com/andrea.huser.5