Wie grün muss der Winter werden, damit er Zukunft hat? Wer wird unsere Pisten befahren, wenn Skifahren elitärer wird? Und welche Anforderungen stellt der Skifahrer an Lifte, Material und Pisten? Dem sind beim „Forum Zukunft Winter" in Kaprun Experten auf der Spur gewesen.

Von Klaus Molidor


Ju Ess Pii – nichts hört man derzeit in der Winterbranche öfter. Egal, ob Seilbahner, Skilehrer, Touristiker, Hoteliers oder Skihersteller. Alle nehmen die drei Buchstaben in den Mund und lassen sie in englischer Version wieder frei. USP – dahinter verbirgt sich nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft des Wintersports. Unique Selling Point – oder ganz altmodisch untrendy und auf Deutsch gesagt: Einzigartigkeit.

Das braucht es. Sagt die Wirtschaftskammer und sagt auch Klaus-Dieter Koch, deutscher Markenstratege und Redner beim 7. Forum Zukunft Winter in Kaprun, dem Stelldichein und Gedankenaustausch der Wintersportbranche. Koch hat einen lockeren Spruch auf der Lippe und ist direkt. „Es kann etwas lange gut funktionieren. Und dann gibt es eine Entscheidung und der sogenannte Tipping Point ist erreicht, von dem aus sich die Lage exponentiell verändert. Nach oben, aber auch nach unten", sagt Koch und bringt das Beispiel mit dem Truthahn. Der freut sich jeden Tag mehr, wenn der Bauer kommt. Weil er weiß: Jetzt gibt es Futter. „Bis dann Thanksgiving ist und der Bauer den Truthahn schlachtet."

Die Wintersportbranche ist immer noch auf Kurs. Die Ski-Industrie feiert Zuwächse, die Tourismusgebiete auch und es werden auch weiterhin fleißig Seilbahnen gebaut oder erneuert. „Aber einfach so weitermachen wie bisher, das wird nicht gehen", glaubt Franz Schenner, Organisator des Forums und Urgestein der Skibranche. Damit es dem Wintersport nicht wie dem Truthahn ergeht, muss er sich auf die Dreifaltigkeit konzentrieren. Denn neben dem USP sind es drei Themen, die den Wintersport beherrschen. Und die lauten: China, Klima, Convenience.

In China liegt das größte Potenzial an Skifahrern. Staatschef Xi Jinping hat einen Ski-Boom angeordnet und will zumindest 50 Millionen, am liebsten aber 300 Millionen Landsleute mittelfristig auf die Bretter stellen. Der Grund: Leute, die reisen, sind zufriedener und revoltieren weniger schnell gegen ein Regime. Überschaubar wirkt da die Zahl der Ski, die Österreichs Hersteller aktuell nach China liefern: 120.000 Paar. Um diese Zahl in die Höhe zu bringen, sollen Skilehrer aus den Alpen Missionarsarbeit im Reich der Mitte verrichten, den Chinesen die Ambros-Doktrin näherbringen: „Skifoan is des Leiwandste, was ma si nur vuastelln kann." Sie sollen Wissen weitergeben und Skilehrer in China ausbilden. „Das geht nicht, ohne dass wir da vor Ort sind", sagt Franz Föttinger, Sprecher der heimischen Skiindustrie.

DAS RENNEN UM CHINA
Der Tourismus hat das Rennen um den Gast der Zukunft aufgenommen – im September mit B2B-Reisebüros, die chinesischen Veranstaltern ein Sport-und-Kultur-Komplettangebot für Österreich zusammenstellen. Was mit arabischen Gästen schon einige Jahre funktioniert, soll künftig auch mit Skifahrern aus China hinhauen. „Um den großen Markt reißen sich aber auch Japan, Australien, Frankreich und die Schweiz", sagt Norbert Karlsböck, Vorstand der Gletscherbahnen Kaprun. Da brauche es einen langen Atem, bis das Geschäft ins Rollen kommt. Nachhaltigkeit statt schnelle Münze, muss die Devise lauten. „Denn der chinesische Gast ist preisbewusst und kritisch", weiß Karlsböck. „Wenn da nicht alles passt, ist er schnell wieder weg."

Und die Skifahrer in unseren Breiten? Vielen ist es zu teuer geworden. Wie jedes Jahr klettern auch heuer die Liftpass­preise ein Stückchen nach oben. „Viele glauben auch nur, dass sie es sich nicht mehr leisten können", sagt Markenstratege Koch. „Und das ist das Schlimmste." Skifahren sei der einzige Sport, der über die Jahre den umgekehrten Weg gegangen ist. „Golf, Reiten oder Segeln sind von einem elitären Sport in die Breite diffundiert. Skifahren hat in der Breite begonnen und wird elitärer."

DER SKIFAHRER-FUSSABDRUCK
Was uns zum zweiten Teil der alpinen Dreifaltigkeit bringt, dem Klima. Wegdiskutieren lässt sich dieses Problem nicht. Dabei schaut alles gut aus. Auf dem Kitzsteinhorn liegt Anfang November viel Naturschnee, Freerider pflügen knietief durch den Pulver. Aber: Wenn auf knapp 3000 Metern die Schneekanonen brummen, sagt das viel über die Angst aus, mit dem natürlichen Weiß nicht über den Winter zu kommen.

Auf der einen Seite fehlt der Naturschnee, auf der anderen Seite kostet die technische Beschneiung Energie und Geld, was auch die Preise für die Wedler, Carver und Boarder antreibt. „Der grüne Fußabdruck des Bergerlebnisses wird ein entscheidendes Thema werden", ist Michael Rothleitner überzeugt. Der Tiroler war Vorstand der Mayrhofner Bergbahnen und ist jetzt Leiter des „Schneezentrums Tirol", einer Einrichtung, die nach effizienterer und ökologischer Beschneiung forscht.

„Immer noch wissen wir sehr wenig über den Gefrierprozess von Wasser", sagt Rothleitner. Zusammen mit dem SLF Davos, dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung, will man herausfinden, wie man beim technischen Beschneien die Verdunstung optimiert, oder den Verlust, der als Wasser wieder in den Boden rinnt, reduziert. Und vieles mehr. Vereinfacht gesagt: Wie man aus weniger Wasser und weniger Energie möglichst viel Schnee gewinnt und damit Ressourcen schont und Geld spart. Das zweite Thema sind die Wetterprognosen: „Super wäre, wenn wir eine gesicherte Prognose für drei bis 15 Tage hätten", sagt Rothleitner. Dann könnte man den Skigebieten einen Leitfaden in die Hand geben, wann sie wo beschneien sollen. Auch das senkt Kosten und verkleinert den ökologischen Fußabdruck.

„GRÜNE" BESCHNEIUNG
Die Überraschung des Forums bringt dann Franz Prettenthaler von „Joanneum Research" in Graz. Seine These: Die technische Beschneiung wirkt dem Klimawandel entgegen. „Vorausgesetzt, der Strom für die Schneekanonen kommt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien." Das würde Tirol schon fast erfüllen. „Dadurch, dass Pisten weiß statt braun sind, reflektieren sie Sonnenstrahlung wieder ins All. Das wirkt der Erwärmung entgegen."

Prettenthaler und sein Team haben sich für die Studie Skigebiete in Tirol und der Steiermark von 1980 bis heute angesehen. Zweifler konfrontiert er mit harten Zahlen: Seit der industriellen Revolution Ende des 19. Jahrhunderts ist die Durchschnittstemperatur weltweit um einen Grad gestiegen – im Alpenraum um zwei Grad. „Grund ist der fehlende Schnee." Auch wenn die Pisten im Vergleich zur gesamten Flächen einen kleinen Raum einnehmen: Wenn der Wintersport zumindest klimaneutral ermöglicht wird, ist schon etwas gewonnen. Klar ist aber auch: Das funktioniert nur mit Ökostrom. „Mit Strom aus tschechischen Kohlekraftwerken, der im Winter gerne eingekauft wird, geht sich das nicht aus", sagt Prettenthaler.

GEMÜTLICHKEIT GEHT VOR
Bleibt die Convenience. Leicht auf den Berg kommen, leicht wieder runter. Sitzheizungen auf Liften und in Gondeln gehören zum Standard, WLAN detto. Die Ski werden leichter, drehen leichter, fahren sich komfortabler und mit weniger Kraftaufwand. Alles Innovationen aus dem Tourenskibereich. „Weil die hochgezüchteten Renncarver eh keiner derfährt", sagt Schenner. Auch die Einstiegshürde soll niedriger werden. „Die Leute wollen im Voraus übers Internet Ski, Ausrüstung und einen Kurs für die Kinder buchen und bei der Ankunft alles an einem Ort abholen", sagt Thomas Maier, Skischulbetreiber und Verleiher aus Neukirchen am Großvenediger.

Öko-Verantwortung, Gemütlichkeit, China und Co. – passiert all das, ist die Chance groß, dass den Wintersport nicht das Truthahn-Schicksal ereilt ...

NETZWERK, ALLIANZ & FORUM: ALLES WINTER
2006 konstituierte sich im Bundesland Salzburg das „Netzwerk Winter" als branchenübergreifende Plattform, um den Breitensport und Wintertourismus nachhaltig abzusichern. Tourismus, Seilbahnen, Skiindustrie und Skilehrerverband arbeiten darin zusammen.

2008 wurde das Netzwerk um die bundesweite „Allianz Zukunft Winter" erweitert. Und seit 2011 laden „Netzwerk" und „Allianz" Branchenvertreter und Journalisten jährlich zum großen Gedankenaustausch „Forum Zukunft Winter" ein.

SPORTaktiv war Anfang November bei der 7. Auflage dieser „Denkfabrik für die Winterzukunft" dabei.

Infos:www.netzwerk-winter.at, www.allianz-zukunft-winter.at



Auch interessant ...